Die Familie Tschol ist mitten in der Corona-Pandemie vom schaffhausischen Wilchingen nach Argentinien ausgewandert. Kein einfaches Unterfangen, «die Unsicherheiten stiegen ins Unermessliche», erzählt Egon Tschol. «Der Plan war, im Sommer 2020 unseren Hof in der Schweiz zu verkaufen und alles vorzubereiten, damit wir im August, nach Abschluss der Ausbildungen der beiden Töchter, den Umzug nach Argentinien umsetzen konnten», sagt er. Zunächst sei alles planmässig verlaufen, doch dann kam Corona und Argentinien war von März bis Oktober des vergangenen Jahres im kompletten Lockdown. «Wir mussten die Auswanderungspläne verschieben», so Tschol.

Keine Europäer erwünscht

Erschwerend war, dass selbst nach Aufhebung des Lockdowns keine Europäer nach Argentinien einreisen durften. Mit einer Sonderbewilligung, die allerdings bis zum Zeitpunkt der Abreise noch nicht gesichert war, fand die Familie eine Möglichkeit, dennoch einzureisen. Neben den vier Personen sollten auch sechs Urfreiberger mit. «Vor der Abreise mussten die Pferde in Quarantäne gehalten werden und mehrere Tests durchlaufen. Die ganze Logistik war eine riesige Herausforderung, damit Ende November alles klappen konnte», erinnert sich Egon Tschol. Am 26. November war es dann so weit, die Pferde wurden auf dem Hof eingeladen und fuhren zusammen mit drei Katzen nach Frankfurt (D), wo sie in der sogenannten «Animal Lounge» für kurze Zeit in Zweierboxen kamen. Rund eine Stunde vor Abflug wurden sie in die Transport-Container geführt. «Dort ist es sehr eng. Immer drei Pferde stehen getrennt, aber eben auch sehr eng in einem Container, wo es vorne ganz wenig Platz für Heu und Wasser hat. Wir füllten also zwei Container, die dann mit einem riesigen Lift in den Bauch des Flugzeuges gehievt wurden», erzählt der Auswanderer, der zusammen mit einem argentinischen Flugbegleiter hinter dem Cockpit Platz nehmen konnte.

21 Stunden im Flugzeug

Der Flug dauerte 21 Stunden mit zwei Zwischenlandungen in Dakhar, Senegal, und Sao Paolo, Brasilien. Endstation war Buenos Aires. Während Tschol dort mit einer möglichen Ungültigkeit seines Visums beschäftigt war, schafften seine Frau Bea und die beiden Töchter Lara und Fiona die Einreise über Holland mit einem Linienflug. Gleichzeitig standen die Pferde am Zoll. Geplant wäre gewesen, dass diese nach dessen Passieren eine Quarantäne auf dem neuen Hof, also in ihrem künftigen Zuhause, absolvieren sollten. Es kam aber anders. Stattdessen wurden sie in einen Quarantäne-Stall in Buenos Aires gefahren. «600 km von mir entfernt», so Tschol. «Sie wurden auf argentinische Weise, Kopf an Hinterteil, verladen und abtransportiert. Ich blickte ihnen wehmütig nach», erinnert er sich.

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Diese Bild vom Verlad der Pferde entstand vor dem Abflug. Die Reise dauerte 21 Stunden. (Bild Egon Tschol)

 

RRFB geht einen eigenen Weg

Der Eidgenössische Verband des reinrassigen Freibergerpferdes (RRFB) setzt sich für die Erhaltung des Urfreibergers ein. Es handelt sich um eine gesamtschweizerisch tätige Züchterschaft. Der Verband RRFB wurde 2008 gegründet und finanziert sich auf privater Basis. Er wurde vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) bislang nicht als Zuchtorganisation anerkannt, wurde aber als für den Urfreiberger alleine zuständig erklärt.
Ziel des RRFB ist, «die Freiberger Ur-Rasse vor dem Untergang zu retten.» So will man den «alten Schlag» bzw. die alte Rasse des Freibergerpferdes, (früher Jurapferd genannt) erhalten. Dabei spricht man beim RRFB vom Gen-Pool bis 1950.

 

Ziel sind unabhängige Blutlinien

Nach bangen Tagen und ungewissen Stunden, wie es den Urfreibergern geht, kam der Anruf, dass die Pferde sich auf dem Weg in ihr neues Zuhause befänden. Dann hiess es Aufatmen. Endlich konnten sie auf die Weide gelassen werden; Urfreiberger in Südamerika. «Bei den Urfreibergern geht es uns darum, die Erhaltung der Rasse auch auf einem anderen Kontinent zu fördern. Der Vorteil könnte einmal sein, dass es in 15 bis 20 Jahren zwei unabhängige Blutlinien von Schweizer und Argentinischen Urfreibergern gibt und man dadurch ohne Einkreuzung den Inzuchtgrad drastisch senken kann. Drei meiner Stuten sind von drei verschiedenen Hengsten tragend. Wir hoffen jetzt, dass ein Hengstfohlen dabei sein wird», sinniert Egon Tschol, der auch Geschäftsführer des Eidgenössischen Verbands des reinrassigen Freibergerpferdes (RRFB) ist. Und das will er derzeit auch bleiben, wie er erklärt. «Corona hat uns gezeigt, dass man nicht immer physisch anwesend sein muss. Vieles geht über Zoom oder E-Mail, Facebook usw. Das geht natürlich nur, wenn man ein tolles Team im Rücken hat, das einen physisch vertreten kann und das haben wir im RRFB. »

Vom Manager zum Landwirt

Ganz ähnlich, wie Egon Tschol heute nach Argentinien ausgewandert ist, kam er einst zur Landwirtschaft. Er ging einfach. «Ich absolvierte das KV in einem Garagebetrieb, wechselte zur Bank, machte ein betriebswirtschaftliches Studium und machte mich 2003 als Vermögensverwalter und Fondsmanager selbstständig. Es lief gut, doch dadurch fand ich meine Erfüllung nicht. Ausgelaugt zog ich mich dann eines Tages auf die Rigi mit meiner Familie auf 1200 Meter zurück, mit nur zwei Handvoll Kunden, die ich von dort betreute», erzählt er aus seiner Vergangenheit. «Dort, auf der Rigi, umgeben von Bergbauern, keimte der Wunsch, mehr über Naturzyklen, Pflanzen, Tiere, Maschinen und Nahrung zu erfahren. Ich entschied mich dann zur Ausbildung als Nebenerwerbslandwirt. Anschliessend suchte ich einen geeigneten Hof und wurde in Wilchingen fündig. Dort übernahm ich einen konventionellen Betrieb und stellte ihn auf Regenerativen Landwirtschaft und auf Demeter um», berichtet er weiter.

Weiterhin im engen Korsett

Doch Egon Tschol fühlte sich in seinem Alltag als Landwirt sehr bald eingeengt. Und so begab er sich wieder auf die Suche. Auf die Suche nach dem richtigen Land, das ein Landwirtschaftssystem haben sollte ohne Direktzahlungen. «Ich habe in der Schweiz während elf Jahren die Erfahrung gemacht, dass man für einen jährlichen Betrag, der kaum zum Leben reicht, seine Freiheit verkauft und seine Kreativität beschneiden lässt. Wer zahlt, befiehlt. Ich wurde in vieler Hinsicht zu sehr eingeschränkt. Obwohl ich mit meiner Anbaumethode ins extensive Extrem ging und viel zur Biodiversität und Bodenregenerierung beitrug, fühlte ich mich nicht unterstützt», erinnert er sich.

Grosse Unterschiede erlebbar

Wenn auch Familie, Freunde und Kunden fehlen – etwas, das die Familie Tschol mit Blick zurück gar nicht vermisst, sei der enge Raum in der Schweiz und die immer grösser werdende Flut von Einschränkungen, Weisungen und Gesetzen. «Wer hier auf seinem Land einen Teich anlegen will, der muss keinen Antrag stellen und auch nicht, wenn er einen Stall oder ein zusätzliches Haus baut. Man ist hier auf seinem Land komplett frei, weil einem das Land gehört. Diesen Eindruck hatte ich in der Schweiz nie», schliesst Egon Tschol ohne Wehmut.

 

Eine ganz andere Welt

Die Familie Tschol  bewirtschaftete in Wilchingen SH den Aspenhof mit einer Fläche von 15 ha. Vier Hektaren Pachtland der Gemeinde gingen dann mit vorzeitiger Kündigung an die übrigen Bauern. Egon Tschol produzierte unter dem Demeter-Label mit bodenschonenden Massnahmen und Mischkulturen. «Das meiste Saatgut produzierte ich selbst. Dazu gehörten Dinkel, Emmer, Einkorn, Süsslupinen, Saflor, Hafer, Sonnenblumen, Leindotter, etwas Kartoffeln und Mais. Beim Mais vermehrte ich drei Jahre lang 26 verschiedene Sorten und brachte dann eine Mischung für Polenta (ursprüngliche Sorten, rote, orange, weisse, gelbe) maschinell ein. Ich drosch selbst mit einem gezogenen Mähdrescher, trocknete die Ware selbst und reinigte sie, verarbeitete sie weiter zu Polenta, Bramata, Popcorn, Teigwaren, Lupinenkaffee und presste Öl aus Leindotter, Sonnenblumen und Saflor. Wir hielten bis zu zehn Urfreiberger mit Fohlen, Hühner und Ziegen», erzählt Tschol.

Bald soll der Betrieb 250 Hektaren gross sein

In Argentinien besitzt die Familie nun 150 ha Land. Weitere 100 ha sollen hinzukommen. Auf dem Hof stehen derzeit neun Pferde, zwei Rinder, sieben Hunde, elf Katzen und 30 Hühner. Zunächst stehe im Vordergrund, sich an die neuen Faktoren zu gewöhnen.

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Tornquist liegt im Südosten der Provinz Buenos Aires in Argentinien und zählt knapp 12 000 Einwohner. Die Lebenshaltungskosten seien tief, was dieses Auswanderungsziel attraktiv macht. (Bild Familie Tschol)

Wieder im Nischenbereich

Tornquist befindet sich rund 700 km südlich von Buenos Aires an einer kleinen Bergkette. Es herrscht ein Klima, ähnlich der Toskana, also eher trocken mit Niederschlägen um 400 bis 500 mm. Wasser habe es auf dem Areal der Tschols in 20 bis 26 Metern Tiefe zur Genüge. In dieser Region halten sich Weideviehhaltung und Ackerbau die Waage. Es werden Angus gehalten und auf den Feldern werden pfluglos Weizen, Hafer, Mais, Soja, Luzerne, Sonnenblumen und Sorghum angebaut.
«Wir sind mit unserer Fläche erneut sehr klein und fahren eine Nischenstrategie», erklärt Egon Tschol. Daher will er zunächst nach seinen bisherigen Kenntnissen in kleinen Einheiten Mischkulturen anbauen, welche der Trockenheit gegenüber resistent sind. «Zudem möchte ich Agroforst betreiben, da es hier gilt, den Wind zu bremsen, den Boden zu beschatten und Wasser zu halten, respektive es von tieferen Schichten nach oben zu bringen», erklärt er seine Strategie.