Am 2. Oktober hiess es für den Bus von Urnäsch AR zur Schwägalp SG: Motor aus und erstmals eine Runde warten. Für ihn und den restlichen Morgenverkehr gab es an diesem Tag fast kein Durchkommen.

Die Passagiere nahmen es gelassen. Viele stiegen aus und gesellten sich zu den Hunderten von Zuschauern, die entlang der Strassen standen und die einlaufenden Landwirte mit ihren Kühen bestaunten. Wie jedes Jahr am zweiten Donnerstag nach dem Bettag führten die Bauern ihre Tiere zur Viehschau nach Urnäsch. Für sie und die Kinder ist es ein besonderer Tag.

«Es ist schön, mit der Tracht und den Tieren ins Dorf zu laufen und zu sehen, wo unsere Kühe stehen», sagt ein junger Bub in Appenzeller Tracht.

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Prächtiger Einzug mit Kühen und Schellen

«Dieses Jahr nehmen 30 Bauernfamilien aus Urnäsch mit jeweils rund 18 Kühen teil», sagt Johannes Koller, Urnäscher Landwirt, Zuchttechniker und Mitorganisator der Viehschau. Insgesamt kommen so deutlich über 500 Tiere zusammen. Diese werden von den Bauernfamilien herausgeputzt, geschmückt und frühmorgens zum umgestalteten Parkplatz beim Bahnhof getrieben.

Ein beeindruckendes Schauspiel für die zahlreichen Zuschauer, wenn die Bauern – in Appenzeller Tracht und jodelnd – ihre Tiere durchs Dorf führen. Auffällig sind dabei auch die grossen Schellen, die manche Kühe tragen.

«Das ist ein Senntumsspiel – 27 Bauern sind damit gekommen», erklärt Koller. Drei aufeinander abgestimmte Schellen bilden ein solches «G’spiel». Sie gehören im Toggenburg und im Appenzellerland zum Brauchtum und kommen bei der Alpauffahrt, der Viehschau, in Jodelchören als Begleitung zum Zäuerli und vereinzelt beim Silvesterchlausen zum Einsatz.

Besonders geschätzt wird der harmonische Klang – beliebt sind Tonabstände wie C, Dis, F oder Cis, Dis, F.

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Fast wie bei einem Walzertanz

Auf dem Schauplatz angekommen, lösen die Landwirte das «G’spiel» von den Tieren und befestigen es auf Holzböcken zur Besichtigung. Gleichzeitig übernehmen Helfer die Tiere, teilen sie einer der 42 Abteilungen zu und führen sie zum entsprechenden Anbindebalken.

Die Sennen und Bauern, die beim Treiben mithalfen, können nun erstmals verschnaufen – sie kehren in einer der zahlreichen Beizen und Restaurants im Dorf ein. Auf dem Viehschauplatz herrscht unterdessen reges Treiben. Innerhalb jeder Abteilung werden die Kühe von den Richtern begutachtet und mithilfe der Helfer rangiert – das heisst, sie werden losgebunden und gemäss der Reihenfolge der Bewertung neu aufgestellt.

Die zuschauenden Kinder verfolgen das Geschehen mit grossem Vergnügen. Denn nicht jede Kuh lässt sich klaglos umplatzieren: Manche versucht, im Sprung den Heimweg anzutreten – nur, um sich kurz darauf sichtlich erstaunt vom Helfer wie bei einem Walzertanz zurück an den Anbindebalken geführt zu sehen.

Ein Tag, der rot im Kalender angestrichen ist

«Die Viehschau ist ein Tag, der im Kalender rot angestrichen ist», sagt Gerry Schärrer aus Gams. Er ist Landwirt und seit über 15 Jahren als Richter an zahlreichen Viehschauen in den Appenzeller Kantonen und in St. Gallen im Einsatz – heute auch in Urnäsch. Mit scharfem Blick begutachtet er jedes Tier.

Wie sind die Rippen? Das Becken? Das Fundament? Das Euter? Diese Merkmale stehen im Fokus. Entscheidend ist jedoch auch das Zusammenspiel der Merkmale – und ein gewisses Etwas: «Wir suchen eine Kuh, die Eleganz ausstrahlt und in sich harmoniert», sagt Schärrer und zeigt auf die Brown-Swiss-Kuh Fiona von Niklaus Anderegg. Sie holt sich den ersten Preis in der Abteilung 9: «Kühe in der vierten Laktation».

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Und die Gewinnerinnen sind…

Die Auszeichnung bekommt Fiona zusammen mit den Siegerinnen der anderen Kategorien später am Nachmittag im kleinen Ring gleich neben dem Bahnhof Urnäsch.

Später wird es stiller auf dem Schauplatz. Die Siegerinnen sind geehrt, die Zuschauer ziehen weiter und die Landwirte und die Sennen bringen ihre Tiere zurück in den Stall.
Und auch der Bus in Richtung Schwägalp fährt wieder – vorbei an einem Dorf, das einen seiner wichtigsten Tage gefeiert hat.

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