Ich erinnere mich gut an jenen Morgen, als wir in den Sand bei Schönbühl BE kamen. Die Anspannung war greifbar, auch uns gestandenen Journalisten war klar, das war ein Tag der in die Geschichte des Schweizer Tierschutzes eingehen würde – und in unsere Geschichte. Zu Versteigerung standen die Pferde des Hofs Kesselring – diejenigen die überlebt hatten.
Eine überstürzte Räumung
Ich trug zufällig einen pinken Pulli und erntete zahlreiche verschwörerische Blicke, stellte dann später fest, Tierschutzgruppen trugen als Erkennungszeichen pink, dass man sich nicht gegenseitig die Pferde raufbot. Die ganze Geschichte ein Krimi wie er im Buche steht. Der mediale Druck und die Belagerung des Hofes durch Tierschützer hatten zur überstürzten Räumung geführt. Nachdem jahrelang die Bemühungen der Ämter ins Leere gelaufen waren und man den Tierhalter hatte gewähren lassen müssen oder wollen.
Verurteilungen und ein bedrohter Amtstierarzt
Eine lange Reihe von Verurteilungen wegen Gewalt an Amtspersonen, Bedrohungen, systematischen Tierschutzverstössen reihen sich in der Geschichte aneinander – der Amtstierarzt wurde gar mit einer Waffe bedroht. Der Krimi gipfelte in der hurtig einberufenen Versteigerung der Tiere, sowie den über Nacht organisierten Rettungsplänen der Tierschutzgruppen – ein tierschützerisches Jahrhundertereignis, wie es sich hoffentlich so schnell nicht wiederholen wird.
«Hefenhofen-Pferde»: gefährlich, krank, nicht händelbar
Obwohl nur die vorzeigbaren Pferde in die Versteigerung kamen, wir hatten alle mehrfach Tränen in den Augen, das Leid, das die Pferde erlitten hatten, war einfach zu sicht- und spürbar. Ihr Anblick schmerzte das Herz jedes Tierliebhabers. Noch heute sind einige dieser Pferde als Wanderpreise unter den Tierrettern unterwegs. Gefährlich, krank, nicht händelbar. Vorgestellt werden diese Tiere in den Inseraten jeweils mit den Worten, es ist halt ein Hefenhofen-Pferd und alle wissen, welche physischen und psychischen Defizite zu erwarten sind. Diese Tiere leiden bis heute an den Folgen der Haltung auf dem Hof Kesselring.
Allem zum Trotz keine Beweise
Doch nachdem sie das strengste Tierschutzgesetz der Welt jahrelang nicht aus den Fängen dieses Tierhalters befreien konnte, was nachweislich zahlreiche Tiere das Leben kostete, bleibt auch jetzt die Bestrafung weitgehend aus. Obwohl über Jahre immer wieder verschiedene Ämter auf dem Hof für Ordnung sorgen wollten, es fehlen für eine umfassende Feststellung von Tierschutzverstössen die Beweise. Bis 2008 kaufte sogar die Armee noch Pferde von diesem Hof. Ein Hof, dessen Betriebsleiter wegen Tierquälerei, Morddrohungen und Gewalttaten verurteilt war. Ein Betriebsleiter, dessen Hof die Behörden nur mit Polizeischutz kontrollieren konnten, wobei die Polizei sowohl ihre Waffen ziehen, wie auch Pfefferspray einsetzen musste. Ein Betriebsleiter, der vor den Augen der Polizei ein Fohlen erschoss, das beschlagnahmt werden sollte. Es bleiben Ratlosigkeit, Wut und das Wissen, dass sich ein ähnlicher Fall jederzeit wieder ereignen kann und wir wie auch die Justiz scheinbar machtlos zusehen müssen.
Wie erklären wir das den Konsumenten?
Und über allem steht die Frage, wie erklären wir das den Steuerzahlern und Konsumenten? Nicht nur, dass es zahlreiche Verstösse gegen das Lebensmittelgesetz gab, bis 2013, vier Jahre vor der Räumung, bezog der Hof neben anderen Direktzahlungen auch Tierwohlbeiträge. Ein 2014 ausgesprochenes Tierhalteverbot musste wegen Verfahrensfehlern zurückgezogen werden, an die anschliessend vereinbarten Bestandesobergrenzen hat sich Kesselring nie gehalten.
Es bleibt ein Gefühl der Ungerechtigkeit
Was 2017 über Wochen die Medienwelt in Atem hielt und die Onlineforen füllte, ist heute, mitten im Bankendebakel nur noch eine kleine Meldung in den Radionachrichten wert. Fast als würde man sich schämen, es zu verkünden. Denn das Urteil für den Verursacher des grössten Tierschutzskandals der letzten Jahrzehnte lautet acht Monate bedingt. Und er bekommt eine Entschädigung von 6000 Franken für den erlittenen Rufmord. Es wird in keiner Art und Weise unserem Gefühl gerecht, das wir hatten, als wir die Fotos gesehen haben von diesen Tieren im Dreck, abgemagert bis aufs Skelett, tot, verletzt und misshandelt. Aber Justiz stützt sich auf das Gesetz und nicht auf Gefühle. Schon gar nicht auf die Gefühle von Tieren.
Er könnte genau so weitermachen
Bewiesen werden konnte aufgrund verschiedener Verfahrensfehler kaum etwas. Ja gar, die Räumung des Hofes sei unverhältnismässig gewesen, urteilt das Bezirksgericht Arbon diese Woche. In jedem Tierhalter, der die Bilder gesehen hat von den 93 Pferden und rund 200 Kühen, Schweinen, Ziegen, Hühnern und Lamas, die damals abtransportiert wurden, steigt bei diesen Worten die blanke Wut auf. Ein Grossteil der beschlagnahmten Kühe und Schweine wurde aufgrund ihres schlechten Zustands sofort geschlachtet. Es kann doch nicht sein, dass man so jemanden einfach gewähren lassen muss, dass es dagegen kein Gesetz gibt.
Während es auf der einen Seite den Zentimeter-Tierschutz gibt, der bei jeder Kontrolle an der Würde der gesetzestreuen Tierhalter kratzt, soll es gegen solche Zustände kein Mittel geben? Ja es wird gar auf Rufmord geklagt und eine Entschädigung gesprochen für den Tierhalter, dem offensichtlich nicht beizukommen ist.
Alle sehen es, alle schweigen
Aber gibt es sie nicht in fast jedem Dorf, diejenigen Landwirte, wo sich alle fragen, wie die jemals durch eine Kontrolle kommen können? Warum niemand bemerkt, dass dort nie ein Tier draussen ist? Wir alle sehen es und alle schweigen. So wie auch Hefenhofen geschwiegen hat. Aus Angst vor einem jähzornigen Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte. Aus Angst vor der Rufschädigung für den Ort, die Branche. Man hat zugesehen, wie er vor den Kontrollen Tiere verschwinden liess und die nötigsten Mängel vertuschte. Man hat es gesehen und geschwiegen und damit das Leiden der Tiere verlängert.
Die Gelegenheiten hat niemand genutzt
Ein solcher Skandal entsteht nicht über Nacht und er entsteht auch nicht unbemerkt. Es gibt bei diesem Fall zahlreiche Menschen, die zugeschaut haben, ihre Pferde dort in Pension hatten, geholfen haben den Hof vor den Kontrollen aufzuräumen, ja sogar «Bauer, ledig, sucht…» wurde dort gedreht. Direktzahlungen sind geflossen, während die Tiere gelitten haben. Es hätte viele Gelegenheiten für Zivilcourage gegeben. Doch die sind ungenutzt verstrichen. Weder Justiz noch Menschlichkeit konnten und können diesen Tieren helfen. Es bleiben Ratlosigkeit, Wut und eine riesige Enttäuschung. Aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Hoffnung stirbt zuletzt – weil es einfach nicht sein darf.
4