Im letzten Herbst musste Urmela nach wenigen Tagen Krankheit erlöst werden. Woran die Zuchtstute von Christoph Saner erkrankt war, blieb ihm über lange Zeit ein Rätsel. Zu Beginn zeigte sie, und übrigens noch drei weitere Stuten in der Herde, Koliksymptome. Saner erinnert sich, dass es ein regnerischer Tag gewesen ist. Er ging davon aus, dass diese Bauchschmerzen bei einzelnen Tieren in der Herde einen Zusammenhang mit dem Wetter haben könnten. Während sich die anderen Pferde tags darauf erholten, ging es Urmela zunehmend schlechter. Auch der Tierarzt stand vor einem Rätsel. Die Urfreibergerstute, die ein Fohlen bei Fuss hatte, wurde immer schwächer. «Sie war ganz apathisch und teilnahmslos», beschreibt der Solothurner Landwirt den Krankheitsverlauf. Er sah keine andere Möglichkeit, als sie zu erlösen.

Auch wenn die Familie Saner eine grosse Pferdeherde hat, Urmela fehlte. «Sie war eine unserer wichtigsten Zuchtstuten», sagt der Bauer. Die Wochen vergingen, aber Urmela ging nicht vergessen. Immer wieder sinnierte der Landwirt, was wohl die Ursache für diese diffuse Schwäche der Zuchtstute gewesen war. «Ob jemand sie vergiftet hat?», stellte er sich selbst immer wieder die Frage.

Ein Gespräch mit einem befreundeten Landwirt aus Argentinien brachte Saner auf den vermutlich richtigen Pfad: «Unsere Pferde weideten in jenen Wochen in einer Naturwiese. Auf der 4 ha grossen Fläche in Höngen standen sie im hohen Gras – unter anderem im Goldhafer.»

Schmackhaft und giftig

[IMG 2]Goldhafer geniesst in der Schweiz einen ausgezeichneten Ruf. So wird gar ein Wiesentyp nach dem Gras benannt: Die Goldhafer-Wiese. Diese gehört laut Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues (AGFF) zur Intensitätskategorie der «wenig intensiv bewirtschafteten Bestände» und ist eine traditionelle, artenreiche Fettwiese. «Wo in tieferen Lagen ein später Heuschnitt und mässige Düngung zur Ausprägung der Fromental-Wiese führt, wächst mit zunehmender Meereshöhe bei gleicher Bewirtschaftung die Goldhafer-Wiese», so die AGFF. Einerseits liefere die Wiese ein feines, schmackhaftes Futter, das sich gut als Dürrfutter eigne. Andererseits habe sie das Potenzial für eine grosse Artenvielfalt und erfülle so oft die Anforderungenan Biodiversitätsförderflächen (BFF) gemäss Direktzahlungsverordnung.

Schwere Organstörungen

Fein und schmackhaft also – aber giftig. Im Rinderskript der Klinik für Wiederkäuer, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München D wird beschrieben, dass bei diversen Pflanzenfressern ein hoher Vitamin D-Gehalt, wie er im Goldhafer enthalten ist, zu Vergiftungen (enzootische Kalzinose) führen kann. Eine einzelne toxische Dosis könne den Calciumstoffwechsel so fehlleiten, dass diverse Calciumphosphatablagerungen (Verkalkungen) im Weichgewebe entstünden. Dem folgen schwerwiegende Organstörungen, begleitet von Symptomen wie Lethargie, Erbrechen, Durst oder Depression.

In der Schweiz bekannt

Das Schweizer Archiv für Tierheilkunde hat in seiner Fachzeitschrift für Tierärztinnen und Tierärzte die enzootische Kalzinose bei Ziege und Rind in der Schweiz bereits in den Achtzigerjahren beschrieben. Sie trete auf, wenn diese Pflanze als Teil der normalen Gräserpopulation von Weiden überhandnehme (>20 %). Bei der Kalzinose handle es sich meist um eine Gruppenerkrankung bei gleichermassen exponierten Tieren, «wobei aber eine deutliche Variation der Schweregrade entstehen kann».

Therapierbar ist die Erkrankung indes nicht. In leichteren Fällen könne sich nach Absetzen des goldhaferreichen Futters eine gewisse Besserung einstellen, stellen die Tierärzte in Aussicht. Im Fall von Urmela hat das nicht gereicht. «Ich habe keinen Nachweis, dass es sich um eine Goldhafervergiftung handelte, aber für mich ist die Sache eigentlich klar», erklärt der Landwirt.

Wohin damit?

Was nun mit diesem Goldhafer, der im Bundesprogramm BFF noch als förderungswürdig gilt? Die Klinik für Wiederkäuer in München rät zu häufigerem Schnitt. Eine intensive Düngung fördere dagegen Gräser allgemein und damit auch den Goldhafer. Weiter sei ein Umbruch oder eine Behandlung mit einem Totalherbizid mindestens eines Drittels der Grünflächen und anschliessende Neuansaat ohne Goldhafer eine der sichersten Methoden. Im BFF ist das aber alles nicht erlaubt. Dort empfiehlt sich die Heugewinnung. Bei der Verfütterung sollte dieses Heu aber unbedingt mit goldhaferarmem Heu «verschnitten» werden.

Für Christoph Saner eine ungenügende Behandlung. «Ich habe diese Flächen weder in der BFF noch in der Vernetzung», sagt der Landwirt, der zum Mulcher griff. «Ich habe noch nie in meinem Leben einen Mulcher eingesetzt, aber diese Fläche habe ich gleich zweimal gemulcht», sagt er. Nun soll sie zumindest zu Teilen unter den Pflug. Einen zweiten Fall wie den unersetzlichen Verlust einer der letzten Urfreiberger-Stuten aus der U-Linie will Saner nie mehr riskieren.