Wenn ein Kind fünf Wochen über Stunden intensiv für eine Prüfung lernt und eine Note Drei schreibt, dann muss es nicht noch mehr lernen – sondern anders.
Genauso verhält es sich mit der Schweizer Agrarpolitik in Sachen Biodiversität. Seit 2015 läuft das Monitoringprogramm ALL-EMA, durchgeführt von Agroscope im Auftrag des Bundes. Es untersucht Pflanzenvielfalt, Tagfalter, Brutvögel und ihre Lebensräume in der Landwirtschaft. Nun liegt die zweite Erhebung vor – und das Ergebnis ist ernüchternd: Stagnation auf breiter Front. Die Artenvielfalt ist in den letzten zehn Jahren kaum gewachsen. Einige gefährdete Vogelarten wurden sogar seltener.
Viel Investition, aber zu wenig Resultat
Das ist nicht neutral – es ist ein Rückschritt unter dem Deckmantel der Stabilität. Wenn 7 % gefordert wären und in der Tat sogar über ein Viertel der ganzen Landwirtschaftsfläche als Biodiversitätsförderfläche (BFF) gilt, aber die ökologischen Ziele nicht erreicht werden, dann ist das Resultat nicht «gut genug» – es ist ungenügend. Das bisherige Engagement im Bereich der Biodiversität heisst: Wir investieren viel – erhalten aber zu wenig Resultat. Es ist, als ob ein Schüler zwar täglich lernt, aber den Stoff nicht versteht.
Die politische Schlussfolgerung daraus kann nicht sein, das Lernen einzustellen (also: die ökologischen Massnahmen zu reduzieren oder gar abzuschaffen), sondern die Methode zu hinterfragen. Wie kann Biodiversität wirksam gefördert werden – nicht nur flächenmässig, sondern funktional?
Nicht in Prozentpunkten messen
Ein Viertel der Fläche sei bereits Biodiversitätsförderfläche – war denn auch die zentrale Botschaft der jüngsten Kampagne gegen die Biodiversitätsinitiative. Die Aussage stimmt formal – und führt dennoch in die Irre. Denn Biodiversität misst man nicht in Prozentpunkten auf dem Papier, sondern in lebendiger Vielfalt auf der Fläche. Die Bilanz ist klar: ein Viertel Fläche, aber zu wenig Wirkung. Das entspricht einem Schüler, der fünf Wochen für eine Prüfung lernt – und trotzdem eine Drei schreibt. Nicht, weil er zu wenig gelernt hat, sondern weil er falsch gelernt hat. Der Vergleich mit den Biodiversitätsförderflächen: Es wurde auf Fläche gesetzt – nicht auf Qualität, Pflege oder Standorttreue. Dabei zeigt der gleiche Bericht aber auch: BFF können sehr wohl wirken – wenn sie ökologisch hochwertig und sinnvoll vernetzt sind. Genau das ist aber heute viel zu selten der Fall.
Aktuell kursiert das Gegenargument: Man habe genug für die Ökologie getan – nun müsse die Ökonomie wieder Vorrang haben. Dieser vermeintliche Schwenk ist gefährlich. Wer nach einer ungenügenden Note in Biologie beschliesst, künftig nur noch Mathematik zu lernen, löst kein Problem – er verschiebt es nur. Artenschutz ist keine Schönwetteraufgabe, die man sich leistet, solange es gut läuft. Er ist Teil der landwirtschaftlichen Basisarbeit. Eine Landschaft ohne funktionierende Ökosysteme produziert auch keine gesunden Lebensmittel. Wer also den Biodiversitätsschutz nun dem Preisargument opfern will, verkennt die Zusammenhänge.
Das System hält langfristig nicht stand
Gerade mit Blick auf die Verhandlungen mit dem Detailhandel kann sich die Landwirtschaft keine Scheinsicherheit leisten – auch nicht, wenn sie statt des Artenschutzes jetzt die Klimadiskussion führt. Dort wird immer häufiger nicht nur die Produktqualität geprüft, sondern auch, wie produziert wurde. Nachhaltigkeitslabels, Herkunftsnachweise, Ökobilanzen – das alles setzt glaubwürdige Umweltleistungen voraus. Ein System, das hohe Flächenanteile ausweist, aber kaum Resultate liefert, hält dieser Prüfung langfristig nicht stand.
Zudem ist es kurzsichtig, die Verantwortung für globale Umweltprobleme nach China oder Indien abzuschieben. Die Schweiz mag klein sein, doch sie gehört zumindest pro Kopf zu den ressourcenintensivsten Ländern der Welt. Gerade deshalb hat sie eine Vorbildfunktion – auch im Artenschutz. Eine Agrarlandschaft, die artenreich und ökologisch stabil ist, ist nicht nur ein Beitrag zur Biodiversität, sondern ein politisches Signal: Wir nehmen unsere Verantwortung ernst – lokal und global.
Die dritte Erhebung von ALL-EMA, die dieses Jahr angelaufen ist, wird endlich untersuchen, wie effektiv die biodiversitätsfördernden Direktzahlungen tatsächlich sind. Das ist überfällig. Wenn Geld in Ökologie fliesst, muss Wirkung daraus entstehen. Die Landwirtschaft kann sich eine weitere Note Drei nicht leisten – weder ökologisch noch politisch.
Die Bauern tragen Verantwortung – aber auch Gestaltungsmacht. Zwei Drittel der Landesfläche liegen in ihrer Hand. Es ist ihr Handwerk, ihre Fläche, ihre Zukunft. Wenn sie zeigen, dass sie Biodiversität ernst nehmen, stärken sie nicht nur die Natur, sondern auch ihre Position gegenüber Politik, Gesellschaft und Markt. Dann geht es nicht mehr um das Gegeneinander von Ökonomie und Ökologie, sondern um das, was es eigentlich sein sollte: ein Zusammenspiel, das funktioniert – und das Resultate liefert.
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