Elmar Barmettler sieht sich als Verkäufer, und zwar an einen Marktstand – wenn auch nicht ganz wörtlich. «Die Kunden wollen in erster Linie Qualität, Frische und Geschmack», schilderte der Marketingleiter Agrar bei der Migros Luzern seine Erfahrungen. Sein Zitat einer Prognose des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, wonach in 10 Jahren 10 Prozent der benötigten Lebensmittel in der Schweiz aus vertikalem Anbau kommen werden, sorgte am «New Generation Farming Symposium» am Schluechthof in Cham für einige Diskussionen.
Ergänzung zum klassischen Gemüsebau
Für mehr Produkte aus vertikalem Anbau gibt es diverse Hürden, da waren sich die von LBBZ-Rektor Martin Pfister und dem Verband New Generation Farming (Negefa) eingeladenen Referenten einig. Die Pflanzen wachsen dabei in geschlossenen Systemen in mehreren beleuchteten Schichten übereinander in einer kontrollierten Umgebung, was etwa Feuchtigkeit und Temperatur angeht. Die Migros-Kundschaft zeigt sich laut Elmar Barmettler skeptisch, so gewachsener Salat werde als unnatürlich oder Konkurrenz für lokale Landwirt(innen) wahrgenommen. «Ausserdem gibt es dafür keine Bio-Zertifizierung, das Produkteportfolio ist klein und die Herstellungskosten sind hoch», ergänzt er. Als Chancen von Vertical Farming sieht Barmettler auf der anderen Seite die Qualität der Ware, dass die Produktion ohne PSM sowie regional (etwa auch in Städten) möglich ist. Eine Konkurrenz zum traditionellen Gemüseanbau soll Salat aus der Vertikalen aber nicht werden, «ich sehe es ergänzend, nicht verdrängend», betonte der Marketingleiter. Das Ziel müsse sein, Importe zu ersetzen.
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Lohnend ist, was ganz geerntet wird
[IMG 3]Das von Barmettler erwähnte, enge Produkteportfolio führte Christoph Carlen von Agroscope näher aus: «Man muss alles ernten und verkaufen können, damit das System zurzeit wirtschaftlich ist», so der Forscher. Bei einem Salat könnten die hohen Energiekosten für die Beleuchtung und die kontrollierte Umgebung (Temperatur, Lüftung) auf alle Pflanzenteile verteilt werden. Beeren kämen ungleich teurer, da es die Investition in die ganze Pflanze braucht, aber nur die Frucht verkaufbar wäre. Auch alles, was sich lagern lässt – etwa Getreide oder Soja – wäre im vertikalen Anbau nicht konkurrenzfähig. Daher geht es um Frischeprodukte, die mit kurzen Transportwegen und hoher Rückverfolgbarkeit punkten können.
Die Preisfrage bei Setzlingen
Gentechnisch veränderte Pflanzen als Bio-Reaktoren, z. B. für die Gewinnung von Wirkstoffen für den Pharmabereich wären ein anders interessantes Feld, oder auch Setzlinge. Hier ist die Schweiz um allergrössten Teil vom Ausland abhängig. Carlen stellte allerdings erneut die Preisfrage: «Schaffen würde man das sicher, aber ist ein solcher Setzling konkurrenzfähig gegenüber einem Setzling aus dem Gewächshaus? Dies bleibt abzuklären»
Generelles Interesse
Um die Chancen für Schweizer Landwirt(innen) im Zusammenhang mit Vertical Farming zu untersuchen, haben die Fenaco und Agroscope mit der Firma Yasai und der ZHAW ein Innosuisse-Projekt gestartet, 2022 kam das erste Basilikum aus gestapelter Produktion in einer Zürcher Pilotanlage bei Coop in den Verkauf (siehe unten). Die Migros-Kundschaft zeige ein generelles Interesse, berichtete Elmar Barmettler, der gute Geschmack und der kleine ökologische Fussabdruck würden geschätzt. Wegen des Vorbehalts der «Unnatürlichkeit» brauche es aber noch viel Aufklärungsarbeit am «Marktstand» Migros-Regal.
Wohin mit vertikalen Farmen?
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Landwirt(innen) kennen es allzu gut, dass bauliche Pläne in der Landwirtschaftszone von der Raumplanung durchkreuzt werden. «Man muss immer den Einzelfall anschauen», gab der Zuger Kantonsplaner René Hutter zu bedenken. Möglichkeiten sähe er im Kanton Zug – theoretisch – in Speziallandwirtschaftszonen. Dort könne bodenunabhängig produziert werden, «es bräuchte aber die Zustimmung der Gemeindeversammlung».
Einen Stallteil umnutzen
Die andere Möglichkeit wäre laut Hutter vertikaler Anbau als Nebenbetriebszweig oder die innere Aufstockung für Gemüsebetriebe, die allerdings in ihrer Grösse gedeckelt ist. «So könnte etwa ein ungenutzter Stallteil für Vertical Farming verwendet werden, auch ein Neubau wäre denkbar.» Die Vorschriften seien aber von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Grössere Anlagen gehören seiner Meinung nach klar in die Bauzone, z. B. auf eine Industriebrache. Die zentrale Frage sieht Hutter allerdings nicht in der Platzierung, sondern darin, welche Landwirtschaft die Schweiz schlussendlich will.
Futter aus dem Container
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Nicht nur im Ladenregal können vertikal angebaute Produkte landen, sondern auch in der Krippe. Diese Idee stellte Jörg Trübl, CEO der Mabewo AG vor, namentlich die vertikale Produktion von Gerstengras. Dieses gilt als proteinreiches Futtermittel und lässt sich laut Trübl mit vergleichsweise wenig Licht ziehen. «Das könnte auch interessant sein, wenn der Futterbau wegen Dürren zunehmend schwieriger wird», gab er zu bedenken. So gibt es z. B. Projekte in der Sahara, bei denen Gerstengras als Ziegenfutter die Produktion von Gemüse in einem Hydroponik-System kombiniert wird. Die Düngung ist gemäss dem deutschen Fraunhofer-Instituts in der Wüstengegend allerdings eine Herausforderung, da kein Mineraldünger verfügbar ist und lokale Stickstoffquellen wie Urin von Mensch oder Tier entweder wenig akzeptiert bzw. schwer sammelbar sind.
Stabile Milchgehalte durch Jahr
[IMG 8]In unseren Breitengraden könnte die gleichbleibende Futterqualität von vertikal gewachsenem Gerstengras für ganzjährig gute Milchgehalte sorgen, z. B. für die Käseproduktion, fuhr Jörg Trübl fort. Er sieht die Möglichkeit, solche Milch auch entsprechend auszuloben bzw. zu vermarkten. «Im Ausland wurde Weizengras aus dem Mabewo-Container bereits getestet und hat gereicht, um eine ganze Viehherde zu versorgen», berichtete der CEO. Mit der Container-Lösung seiner Firma sollen alle 10 Tage zwei Tonnen Gerstengras zur Verfügung stehen. 70 Tonnen vertikal angebautes Gerstengras pro Jahr würden demnach drei Grasschnitten auf sieben Hektaren Fläche entsprechen. Ein Container zur sofortigen Inbetriebnahme sei mit Kosten von rund 1’200-1'400 Franken/m2 Pflanzfläche verbunden. Die Mabewo AG entwickelt derzeit die Technologie und will sie 2023 zur Marktreife bringen. Das vollständige System soll gegen Jahresende vorgestellt werden.
Eigene Energie nutzen
Er wolle den Landwirt(innen) mit Indoor-Farming auch in beengten Platzverhältnissen ein «neues Werkzeug an die Hand geben», sagt Jörg Trübl. Um die hohen Kosten zu senken, sei die Verknüpfung des Pflanzenbaus mit eigener Energieproduktion z. B. via Agrophotovoltaik sinnvoll. «Dem Fachkräftemangel mit Automatisierung begegnen, Wasser einsparen und für planbare Qualität sorgen – all das sollte in eine Gesamt-Nachhaltigkeitsbetrachtung einfliessen», so Trübl. Für Landwirte könne das auch mehr Flexibilität und einmal ein freies Wochenende bedeuten.
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Ein System mit vielen Vor- und einem grossen Nachteil
«Neben dem Ertrag ist auch die Qualität wichtig, sowie die Anforderungen von Verarbeitern und Kunden», betonte Christoph Carlen. Der Agroscope-Forscher fasste die praktischen Vor- und Nachteile von Vertical Farming zusammen:
Vorteile: Ganzjährige, wetterunabhängige Produktion, auch in Städten oder Tunneln möglich, Automatisierbar, geringer Wasserverbrauch, keine Düngerverluste, keine Pflanzenschutzmittel, kurze Transportwege bei Frischware (v.a. im Winter), weniger Food Waste (dank kurzer Wege und Ernte nach Bedarf), mehr Transparenz/Rückverfolgbarkeit, zurzeit attraktiv für Investoren (mehr als für die klassische Landwirtschaft), neuer Einstiegsweg für Nachwuchs und Neueinsteiger in der Landwirtschaft.
Nachteile: Hoher Energiebedarf für LED-Beleuchtung (macht zirka 50 Prozent der Gesamtkosten aus).
Die Herkunft des Stroms sei der Knackpunkt in Sachen Nachhaltigkeit, ergänzte Carlen. Für die Rentabilität extrem wichtig sei die Düngung mit CO2 (900-1000 ppm) womit sich das Wachstum der Indoor-Kulturen stark steigern lasse. «Das ist nicht so teuer», meinte der Agroscope-Forscher. Auf derselben Fläche könne in einem solchen System mit sechs Ebenen übereinander in 10-15 Ernten pro Jahr z. B. 10x mehr Salat geerntet werden als in einem Gewächshaus oder 100mal mehr als im Freilandanbau.
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1000 Tonnen Salat auf 7,5 Hektaren
«In Europa herrscht Aufbruchstimmung, in den USA oder Asien werden gigantische Anlagen gebaut», so Carlen. In Dänemark werde eine Anlage erstellt, die auf 7,5 Hektaren rund 1000 Tonnen Salat und Kräuter in der «Nordic Harvest» produzieren soll. Auch hierzulande starten erste Firmen mit dem vertikalen Anbau, «ob sich das lohnt, werden die Pioniere in den nächsten Jahren herausfinden».
Fenaco lotet das Potenzial aus
2020 haben die Fenaco und das ETH-Spin-Off Yasai eine Schweizer Pilotanlage für Vertical Farming im Inland realisiert. Das erklärte Ziel der Genossenschaft ist es, eine Entscheidungsgrundlage für künftige Investitionen durch Produzenten zu schaffen und für sie ein profitables neues Geschäftsfeld zu erschliessen.
Yasai nutzt nach eigenen Angaben ausschliesslich Strom aus erneuerbaren Quellen, bereits vorhandenes CO2 und organische Dünger bzw. Abwasser zur Nährstoffzufuhr. Auch die Abwärme von der Beleuchtung finde an anderer Stelle Verwendung. Gearbeitet werde an weiterer Automatisierung der Systeme, um Personalkosten zu sparen und die Pflanzen besser vor Kontaminationen zu schützen. Das Ziel sind modulare Hightech-Farms, in denen künftig auch Beeren angebaut werden können.
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