Am 22. Mai war internationaler Tag der Biodiversität. Bundesrätin Simonetta Sommaruga eröffnete zu diesem Anlass eine Baumallee von 150 neu gepflanzten Hochstammbäumen in Arth SZ (wir berichteten). Bei dieser Gelegenheit beantwortete sie der BauernZeitung einige Fragen zur Bedeutung der Biodiversität.

Frau Bundesrätin, wie stufen Sie die aktuelle Situation bezüglich Biodiversität in der Schweiz ein?
Simonetta Sommaruga: Ich mache mir Sorgen. Die Vielfalt an Pflanzen und Tieren ist rückläufig, aus verschiedenen Gründen. Und mit der Klimaerwärmung gibt es zusätzlichen Druck. Wenn beispielsweise die Fliessgewässer zu warm werden, können Kleinsttiere nicht überleben, und es gibt ein Problem für die Fische. Wir sind ja in einem Kreislaufsystem von Boden, Wasser, Pflanzen und Luft. Wenn dieses Zusammenspiel nicht mehr funktioniert, hat das gravierende Auswirkungen.

Die Artenvielfalt ist unsere Lebensgrundlage und hat eine grosse Bedeutung auch für die Landwirtschaft und unsere Ernährung. Wenn man sich dessen bewusst ist, so haben wir allen Grund, uns gerade am internationalen Tag der Biodiversität gut zu überlegen, was wir machen können und müssen, und wer was tut.

Wie beurteilen Sie diesbezüglich die Rolle der Landwirtschaft?
Die Sensibilität in der Landwirtschaft ist sehr hoch, sie ist sich der grossen Bedeutung der Artenvielfalt bewusst. Natürlich gibt es auch Druck, mehr zu produzieren. Aber Artenvielfalt und Lebensmittelproduktion sind kein Widerspruch. Die Realität zeigt, dass sich das gut verbinden lässt. Diese Erkenntnis ist bei vielen Bauern auch vorhanden, und sie wird entsprechend umgesetzt. Verbesserungen sind aber möglich.

In diesen Wochen geben die möglichen Folgen derAgrar-Initiativen viel zu reden. Die Gegner meinen, bei Annahme werde die Umweltsituation noch schlechter, die Biodiversität gefährdet, wegen der möglichen Intensivierung. Wie beurteilen Sie das?
Der Bundesrat lehnt diese Initiativen ab, weil sie aus seiner Sicht zu weit gehen. Doch es ist klar, dass es Massnahmen braucht, wenn es um den Pestizideinsatz oder um den Stickstoffeintrag geht. Der Bundesrat hat Vorschläge gemacht, so auch in der Agrarpolitik 2022+, welche leider im Parlament unterbrochen wurde. Aber ich denke, alle sind sich einig, dass es Verbesserungen braucht.

Die sind ja mit dem beschlossenen Absenkpfad vom Parlament auch bereits aufgegleist. Gibt es weitere Verbesserungen, welche der Bundesrat für die Landwirtschaft im Bereich Biodiversität vorsieht?
Es ist ja eine Volksinitiative zu Stande gekommen, welche mehr Massnahmen im Bereich Biodiversität fordert. Diese Initiative lehnt der Bundesrat zwar ab, aber er will ihr einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen und auf Gesetzesstufe Verbesserungen erwirken. So sollen mehr Schutzflächen ausgeschieden werden. Und es braucht Verbesserungen beispielsweise bei Mooren, viele sind in den vergangenen Jahren ausgetrocknet. Es sollen mehr Lebensräume für Pflanzen und Tiere besser erhalten werden, und diese sind auch besser zu vernetzen. Diese Vorschläge kommen schon bald ins Parlament.

Sie haben die Klimarelevanz für die Biodiversität schon erwähnt ...
In der Tat schadet die Klimaerwärmung der Artenvielfalt. Deshalb sind Massnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses wichtig. Der Schweizer Bauernverband hat auch darum die Ja-Parole zum CO2-Gesetz beschlossen. Das ist ein starkes Signal. Den Bauern ist nämlich bewusst, wie bedrohlich der Klimawandel ist. Und wie wichtig es ist, dass die Schweiz in den Klimaschutz investiert. Die ländlichen Gegenden und die Bergkantone sind vom Klimawandel stärker betroffen. Deshalb unterstützen gerade auch diese Kantone und Gemeinden und auch die meisten Parteien das CO2-Gesetz: Die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete sagt Ja, ebenso die Gebirgskantone und der Gemeindeverband. Das Gesetz ermöglicht, dass ländliche Regionen und die Berggebiete künftig mehr Unterstützung erhalten, beispielsweise für Schutzbauten gegen Naturgefahren oder für eine bessere Waldpflege.

In der Landschaft wurde mit einigen Massnahmen schon viel für mehr Biodiversität erreicht. Bräuchte es künftig nicht mehr Grün in den Städten, auch wegen der Klimaerwärmung?
Der Bundesrat will mit dem Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative auch die Städte und Agglomerationen vermehrt in die Pflicht nehmen. Denn auch hier ist wegen des hohen Versiegelungsgrads die Biodiversität ein grosses Thema. Die Raumplanung muss dafür sorgen, dass die Natur nicht noch mehr zurückgedrängt wird. Es braucht Massnahmen bei der Gestaltung von Städten und Parks und bei der Art des Bauens. Die zunehmende Hitze in Städten erfordert mehr Grün, mehr Beschattung, mehr Wasserflächen, mehr Natur.