Klimawandel. Artenverlust. Naturschutz. Nachhaltigkeit. Themen mit viel Brisanz und Themen, welche die Bauern stark betreffen. Die Ansprüche der Gesellschaft sind gestiegen und sind wohl auch vielfältiger geworden. Das stellt die Landwirtschaft unweigerlich vor Zielkonflikte. Während der Tierschutz fordert, Nutztiere möglichst artgerecht draussen zu halten, warnen Umweltverbände vor den dadurch verursachten schädlichen Folgen durch Emissionen. Zwischen Ansprüchen der Bevölkerung und Fakten der Wissenschaft steht die Landwirtschaft. Was können die Bauern tun, um den Herausforderungen angemessen zu begegnen? Ein entscheidender Aspekt ist die Bildung. Um sich der Diskussion zu stellen und möglichen Angriffen zu begegnen, werden Landwirte künftig noch mehr Argumente brauchen. Ein wichtiger Bereich ist die Biodiversität. Die BauernZeitung hat dazu mit David Perler vom Inforama gesprochen.

 

Zur Person David Perler

David Perler ist Landwirt und Agronom. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Berater am Inforama (70%) in Zollikofen arbeitet er auf einem Landwirtschaftsbetrieb (30%) mit Schwergewicht Ackerbau und Schweinemast im Kanton Freiburg. 

 

Biodiversität ist in aller ­Munde. Aber was ist  eigentlich Biodiversität?  Wenn Sie diesen Begriff einem 10-jährigen Kind in einem Satz erklären müssten, wie würde der Satz lauten?
David Perler: Das ist sehr schwierig! Biodiversität ist die Vielfalt der Lebensräume, der Arten und der Gene beziehungsweise das Zusammenleben der Pflanzen und Tiere inklusive der allerkleinsten Lebewesen innerhalb eines Lebensraums. Beispielsweise leben im Wald verschiedene Tierarten wie Vögel, Würmer, Ameisen und Bakterien und alle haben eine Beziehung zueinander.

Der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) ist seit mehr als 20 Jahren Pflicht in der Schweizer Landwirtschaft und ist zugleich Voraussetzung  für den Bezug von Direkt- zahlungen. Derzeit muss man von einem eher ernüchternden Fazit ausgehen und wohl ­sagen, der ÖLN erfüllt die Erwartungen nicht vollumfänglich. Wo erfüllt er nicht und was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür?
Im ÖLN wird nicht nur die  Biodiversität berücksichtigt. In  vielerlei Hinsichten werden die Erwartungen erfüllt. Aber es ist eine Tatsache, dass gemäss Untersuchungen im Bereich der Biodiversität noch Luft nach oben besteht. In der strukturreichen Schweiz mit ihren verschiedenen Landschaftstypen gibt es nicht in allen Regionen gleich viel Handlungsbedarf. Im Mittelland und Talgebiet wären mehr Biodiversitätsförderflächen (BFF) wünschenswert. Doch genau in diesen Regionen besteht auch der grösste Ziel- konflikt. 

Können Sie ein  Beispiel ­nennen?
Ja. Auf den fruchtbaren, tiefgründigen und befahrbaren Böden möchte der Landwirt Nahrungsmittel produzieren. Damit ein wirtschaftliches Unternehmen geführt werden kann, müssen unter anderem die Maschinenkosten tief gehalten werden. Grosse zusammenhängende Kulturflächen wären eine Lösung dafür, was wiederum im Konflikt zu mehr Struktur und Biodiversität steht. 

Was kann denn  getan ­werden?
Wichtig ist es, die Qualität der einzelnen BFF zu steigern. Sei es mit Kleinstrukturen, besserer Vernetzung mit anderen BFF oder einer Vielfalt von wertvollen Wiesenpflanzen. Letzteres kann durch die Einsaat spezieller Saatmischungen und Begrünungen gelingen. Um die Pflanzen jedoch längerfristig halten zu können spielen der Standort der Fläche und die Bodenzusammensetzung eine wichtige Rolle. Vorteilhafte Flächen stehen dabei ebenfalls oftmals im Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion. Grundsätzlich gilt jedoch zu bedenken, dass Landwirtschaftsbetriebe Massnahmen umsetzen, welche von Bund und Kanton vorgeschrieben werden. Wie zielführend diese Nutzungsvorgaben sind, kann der Landwirt selbst nur bedingt beeinflussen. 

Sie sind Lehrer und Berater und vermitteln in Ihrer ­Tätigkeit Inhalte im Bereich Biodiversität.Wie kommt  die Thematik bei den Bauern und Schülern an?
Sehr unterschiedlich. Bei den Kleingruppenberatungen betreffend Vernetzungsprojekte, nehme ich auch den Frust von Betriebsleitenden wahr. Dies zeigt sich zum einen darin, dass viele überfordert sind mit der Vielzahl an unterschiedlichen Bewirtschaftungsauflagen und Programmen. Zum anderen kann es ermüdend sein, wenn sie sich bemühen, etwas für die Biodiversität zu leisten und trotzdem vermehrt die Landwirtschaft als grösster Sündenbock dargestellt wird. Wenn ich in der Beratung konkrete Themen zur Biodiversität anspreche, stosse ich auf viel Interesse. Mit dem Hinweis auf die  Lebensweise und den Appetit eines Hermelins kann zum Beispiel der Sinn und Nutzen und somit auch das Verständnis für das Anlegen von Ast- und Steinhaufen gefördert werden. 

Das heisst?
Die Landwirte sind grundsätzlich interessiert daran, die Biodiversität zu steigern. Doch dies wird oft als ein kleiner Teil ihrer Unternehmung betrachtet und nicht als konkreter Betriebszweig. Finanziell ist es bei diesen Flächen am offensichtlichsten, dass sie sich nur durch Beiträge von Bund und Kanton lohnen. Dies steht teilweise im Konflikt mit Betriebsstrategien, welche eine tiefe Beitragsabhängigkeit anstreben.

Und wie sieht es denn bei der jüngeren Generation aus?
Im Unterricht stosse ich auf viel Erstaunen und Neugierde. Vielen Lernenden ist gar nicht bewusst, dass Biodiversität so komplex, vielseitig und interessant ist. Das Verständnis für die Biodiversität kann oftmals gesteigert werden. Um praxisnah zu bleiben, werden natürlich auch die Bewirtschaftungsauflagen behandelt. Dort gestaltet es  sich oftmals als schwierig, den Durchblick zu verschaffen. Jüngere Lernende vertreten häufig die Meinung des Lehrmeisters oder der Eltern. Dementsprechend fallen diese positiv oder negativ aus.

Auf Nachfrage bei einem bald 50-jährigen Landwirt, was Biodiversität sei, sagt dieser: «Ein notwendiges Übel». Was sagt Ihnen diese Aussage und wie interpretieren Sie sie?
Zuerst möchte ich festhalten, dass dies eine individuelle Aussage ist und viele Landwirte diese Frage anders beantworten würden. In der Anfangszeit der Einführung des ÖLN in den Neunzigerjahren war das Wissen vieler Landwirte über die Biodiversität noch eher gering. In ihrer Ausbildung wurde diese Thematik wenig aufgegriffen und die Erwartungen der Verarbeiter und Konsumenten bezogen sich in erster Linie auf die Produktion von Nahrungsmitteln. Es war schlichtweg nicht die Aufgabe eines Landwirts, die Biodiversität zu fördern, sondern die Produktionsstrategie und die Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens zu steigern.

Was hat sich denn verändert?
Ehrlicherweise müssen wir festhalten, dass auch in der Politik und der übrigen Bevölkerung die Erkenntnis der Bedeutung der Biodiversität als Lebensgrundlage erst in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. Dadurch stieg der Druck auf die Landwirtschaft rasant an. Viele Betriebsleitende haben Mühe, mit dieser schnellen Entwicklung mitzugehen. Ich denke, dass jüngere Betriebsleiter sensibilisierter auf die Themen rund um die  Biodiversität sind. Ich persönlich habe Verständnis für die Antwort des Landwirts, bin aber überzeugt, dass mit dem nötigen Wissen und Interesse, die Biodiversität in der heutigen Zeit besser in ein Betriebskonzept eingebettet werden kann, als früher.

Massnahmen im Bereich der Biodiversität sind hinten rechts für den Landwirt meist nicht spürbar, ausser im Bereich der Direktzahlungen. Wo kann er denn den Mehrwert sonst erkennen?
Untersuchungen haben erwiesen, dass beispielsweise Blühstreifen im Ackerbau die Population von Bestäubern oder auch Nützlingen steigern können. Zudem dienen sie als Korridore für grössere Tiere wie Feldhasen, Hermelin oder Rehe, um von einem Versteck ins andere zu gelangen. Weiter werden BFF von Spaziergängern oft positiv wahrgenommen und sind in der heutigen Zeit ein wichtiges Element für das Image der Landwirtschaft. Zudem könnte die Biodiversität in der Vermarktung von Produkten miteinfliessen.

Wie sollte sich das Bildungssystem und der Bereich der Beratung in den kommenden Jahren entwickeln, will man den Ansprüchen der Gesellschaft und den Bedürfnissen der Natur auf den einzelnen Bauernhöfen gerecht werden? Oder anders gefragt: ­Verschläft da die Bildung nicht etwas?
Die Biodiversität ist ein topaktuelles Thema und schon heute ist sie ein fester Bestandteil der Ausbildung und wird dies auch in Zukunft bleiben. Es gilt jedoch immer zu bedenken, dass dies für einen Landwirt nur einen  Teil seiner Tätigkeit ausmacht. Häufig geht vergessen, dass Landwirte nicht «nur», sondern «unter anderem auch» für den Erhalt unserer Biodiversität eine wichtige Rolle spielen. Ich spreche hier nicht nur den Konsumenten an, sondern möchte auch Landwirte darauf aufmerksam machen, dass gerade sie das Potenzial und die Möglichkeiten haben, grossflächig etwas zu bewirken. 

Und welche Aufgabe haben hier Bildung und Beratung konkret?
Das Bildungsziel muss weiterhin bleiben, dass Landwirte den Sinn und Nutzen der Biodiversität erkennen und dass sie für ihre Bemühungen und Leistungen einstehen und diese auch weitergeben können. In der Beratung haben wir laufend unterschiedliche Anfragen betreffend Biodiversität, denen wir uns gerne widmen. Nebst Einzel- und Kleingruppenberatungen werden auch spezifische Kurse angeboten.  Auch in bestehenden Arbeitskreisen ist die Biodiversität regelmässig ein Thema. In Zukunft kann ich mir vorstellen, auch einen Arbeitskreis speziell zu diesem Thema aufzuziehen. Interessierte dürfen sich sehr gerne melden. 

 

Angebot am Inforama

Am Inforama fliesst die Bio­diversität in verschiedenen Bereichen in Bildung und Beratung ein:

  • Als Bestandteil der
    Grundausbildung
  • Im Modul Biodiversität in der Höheren Berufsbildung
  • Bei Einzel- und Kleingruppenberatungen für Vernetzungsprojekte
  • Bei Einzelberatungen für Landwirte und Nicht-Landwirte in verschiedenen Bereichen der Biodiversität
  • Im Kurs «Blühstreifen, Buntbrache und Co.» 
  • Im Kurs «Blumenwiesen (BFF QII) richtig bewirtschaften»
  • Die Thematik wird an diversen Anlässen (z.B. Flurbegehungen) regelmässig aufgegriffen. 

Weitere Informationen zum Angebot: www.inforama.ch.