Vertical Farming gelobt viel: Zehnmal mehr Ertrag als im Freiland, 90 Prozent weniger Wasser, kaum Pflanzenschutzmittel und Dünger. Hält die Theorie was sie verspricht, würde sich das Konzept als die Lösung für praktisch alle drängenden Probleme der Landwirtschaft anbieten.

Das Konzept von Vertical Farming ist grundsätzlich einfach: Lebensmittel in der Höhe übereinander anbauen anstatt nur in der Breite und damit auf weniger Fläche viel mehr Ertrag erzielen. Die Idee ist nicht neu. So wurde an der Wiener Gartenschau 1964 ein 41 Meter hohes Gewächshaus mit einem Durchmesser von acht Metern vorgestellt. In diesem wanderte das Gemüse in einem Fliessbandsystem durch die kontrollierte Atmosphäre im Gewächshaus von oben nach unten, um allen Pflanzen zu genug Licht zu verhelfen, und auch die Bewässerung war bereits automatisiert.

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Erste Gehschritte in der Schweiz

Die Idee schwappte in die Schweiz über und so baute eine Gärtnerei im aargauischen Rüfenach vor 50 Jahren auch ein erstes Vertical-Farming-Gewächshaus – das Projekt scheiterte allerdings. Die Möglichkeiten sind dank Technologiefortschritt und Digitalisierung heute allerdings deutlich besser als noch damals und so verkündete die Detailhändlerin Migros Anfang 2020 schliesslich, dass sie zusammen mit dem Start-up-Unternehmen Growcer in Basel die schweizweit erste automatisierte Vertical Farm entwickle. Bereits im Sommer 2020 konnte die Migros im Grossraum Basel erste Produkte aus der Anlage wie beispielsweise Rucola verkaufen. Im Sommer letztes Jahr publizierte der «Beobachter» dann aber einen Bericht, wonach das Prestigeprojekt der Migros für regionalen Anbau von Kräutern und Gemüse in der Vertikalen überraschend eingestellt worden sei. Die Migros liess verlauten, dass die rund eineinhalb Jahre lange Pilotphase beendet worden sei und dass die Growcer AG nach Ablauf dieser Phase die Produktion nicht habe aufrechterhalten können.

Zu gut, um wahr zu sein?

Trotz grossen technischen Fortschritts ist es also nicht gelungen, das Projekt in Basel über Wasser zu halten und wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben. Hohe Investitionskosten sowie der Energieverbrauch könnten mögliche Gründe sein. Da natürliches Licht in diesen Anlagen nicht oder zu wenig vorhanden ist, werden LED-Lampen in allen möglichen Farbspektren eingesetzt und für eine ganzjährliche Produktion muss für ein entsprechendes Klima gesorgt werden. So attestiert eine Studie der Harper Adams University in Grossbritannien Vertical Farming im Vergleich zur konventionellen Produktion zwar zehnmal höhere Erträge und einen zehnmal geringeren Wasserverbrauch, die Studie kommt aber auch zum Schluss, dass Vertical-Farming-Anlagen teuer und energieintensiv sind. So verbrauchten solche hydroponischen Anlagen im Vergleich zur Freilandproduktion achtzigmal mehr Energie.

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Neue Projekte gestartet

AboChristian Gerig betreibt seit Mai 2021 eine Vertical Farm, in der er vor allem Basilikum produziert. Potenzial sieht er im Medizinal- und im Phytopharmabereich. Vertical FarmingChristian Gerig: «Wir sind richtige Youtube-Farmer»Mittwoch, 29. Dezember 2021 Trotz noch offensichtlichen Lücken gibt es in der Schweiz weitere Vertical-Farming-Projekte: Im St. Galler Sittertobel baut die Firma Lokal365 AG seit Mai 2021 in einer vertikalen Indoor-Anlage Kräuter an, die hauptsächlich über die Spar-Gruppe vermarktet werden. Und nun haben auch die Fenaco und Yasai eine Anlage in Betrieb genommen und Ende Januar angekündigt, dass der erste Basilikum aus der Anlage in rund 80 ausgewählten Coop-Filialen im Raum Zürich, Basel und Luzern erhältlich sei.

Im Sinne des Genossenschaftszwecks engagiere sich die Fenaco, Schweizer Landwirtinnen und Landwirte bei der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Unternehmen zu unterstützen. Dazu gehöre auch die Prüfung und Erschliessung von neuen Geschäftsfeldern, sagt Daniel Schwab vom Warengruppenmanagement Gemüse der Fenaco Landesprodukte und Projektmanager Vertical Farming. «Wir möchten herausfinden, inwiefern sich Vertical Farming für Schweizer Landwirtinnen und Landwirte als Ergänzung zum bestehenden Anbau eignet – dazu beleuchten wir anbautechnische, betriebswirtschaftliche und marktbezogene Aspekte», erklärt er. Entsprechend sollen im Rahmen des Projekts verschiedene Fragen beantwortet werden: Welche Investitionen sind nötig? Welche gesetzlichen Vorgaben müssen erfüllt sein? Wie rentabel ist die Produktion? Treten die erwarteten positiven Effekte in Bezug auf die Nachhaltigkeit tatsächlich ein? Stossen die Produkte bei den Konsumentinnen und Konsumenten auf Akzeptanz? Wie gross ist die Nachfrage? So sei die Investition in dieses Projekt als Vorleistung und Entscheidungsgrundlage für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern zu betrachten.

Erfolgsaussichten erhöhen

Um das Projekt mit Yasai erfolgsversprechend zu gestalten, liege der Schwerpunkt klar auf Skalierbarkeit, Automatisierung und Rentabilität der Lösung, meint Daniel Schwab weiter. So lasse sich mit der Anbaumethode beim Yasai-Fenaco-Projekt durch Skalierung schneller Rentabilität erreichen als beispielsweise beim Growcer-Migros-Projekt, ergänzt Eldrid Funck von der Yasai AG. So habe Growcer einen anderen technologischen Ansatz verfolgt, der an und für sich schwer skalierbar und somit mit sehr viel Handarbeit verbunden gewesen sei.

«Ausserdem haben wir auch ein Sounding Board mit Schweizer Landwirten einberufen – um einen Wissenstransfer und Austausch zwischen Technologen und Anwendern zu ermöglichen», sagt Daniel Schwab. Dies solle schlussendlich helfen, eine Lösung zu entwickeln, die am Markt gut aufgenommen werde und sich auch tatsächlich durchsetze.

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Kreisläufe schliessen

Die theoretischen Vorteile und Ziele von Vertical-Farming-Projekten sind breit anerkannt und auch wissenschaftlich abgestützt: Mehr Produktion auf kleiner Fläche, Einsparung von Arbeitskräften, reduzierter Pflanzenschutz, wegfallende Transporte sowie wetter- und jahresunabhängige Produktion. Vertical Farming verspricht viel Nachhaltigkeit – der hohe Energieverbrauch schmälert den Glanz der als besonders nachhaltig angepriesenen Anbaumethode aber. Daniel Schwab von der Fenaco räumt ein, dass Vertical Farming erst wirklich nachhaltig und vor allem sinnvoll sei, wenn erneuerbare Energien eingesetzt würden. Diesen Aspekt beziehe das Projekt aber auch mit ein: Die Pilotanlage im zürcherischen Niederhasli decke ihren Strombedarf zurzeit über einen regionalen Lieferanten aus hundert Prozent erneuerbaren Quellen. «Zudem hat die LED-Technologie in den letzten Jahren massive Fortschritte gemacht, der Energiebedarf sinkt deshalb kontinuierlich», erklärt er weiter.

Um die Energieaufwände ferner zu minimieren, setze das Yasai-Fenaco-Projekt auf Kreislaufsysteme, ergänzt Eldrid Funck von Yasai: «Wir nutzen die Abwärme unserer LEDs als Ressource, um andere Räume zu beheizen.» Alle organischen Abfälle würden ausserdem in Biogasanlagen in saubere Energie umgewandelt. «So verfolgen wir einen Ansatz, der auf einer Kreislaufwirtschaft und einem Kreislaufsystem basiert», führt Eldrid Funck weiter aus. Trotzdem sei der Energiebedarf einer Vertical Farm nach wie vor sehr hoch, was bei einer Standortevaluation auch zwingend berücksichtigt werden müsse, meint Daniel Schwab von der Fenaco. Durch Vertical Farming werde in der Schweiz aber die Möglichkeit geschaffen, Importe abzulösen und eine ganzjährige Versorgung aus der Schweiz zu gewährleisten, sind beide Unternehmen überzeugt. «Vertical Farming hat als Ergänzung zur Freilandproduktion in der Schweiz Potential, da durch unsere Anbaumethode eine ganzjährige Produktion bei gleichbleibender Qualität gesichert ist», sagt Eldrid Funck stellvertretend. Durch Vertical Farming könne somit die Resilienz der Lebensmittelsysteme verbessert werden und neue Arbeitsstellen lokal kreiert werden.