«Die Birnen machen uns etwas Bauchweh», sagt Hansjakob Zwingli. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins Obstsortensammlung Roggwil im Kanton Thurgau. Dieser pflegt 90 Hochstammbirnbäume, die je nach Jahr zwischen fünf bis zehn Tonnen Früchte produzieren. «Niemand will Mostbirnen oder alte Tafelbirnensorten. So kommt es, dass jedes Jahr grosse Mengen davon zu Boden fallen und verfaulen.» Und das sei auch auf anderen Betrieben nicht anders, meint Zwingli.
Erhalten der Obstvielfalt
Auf einer Fläche von rund 5 ha wachsen in der Obstsortensammlung Roggwil 400 Hochstammbäume: Apfel-, Birn-, Kirsch-, Zwetschgen-, Pflaumen- und Nussbäume. Es sind allesamt alte Sorten aus der Schweiz oder dem angrenzenden Ausland. Pro Sorte gibt es in der Regel nur einen Baum.
Der Verein der Obstsortensammlung Roggwil, der 1994 gegründet wurde, erhält nicht nur die Obstsortenvielfalt, er pflegt auch die Tradition des Obstbaus und das typische Landschaftsbild des Oberthurgaus. Seine 300 Aktivmitglieder leisten pro Jahr zirka 4000 bis 5000 Stunden Fronarbeit gegen den Bezug von Obst- und Obstprodukten.
Mehr Informationen: www.obstsortensammlung.ch
Seit Jahrzehnten verschwinden alte Birnbäume
Wenn ein Obstprodukt nicht nachgefragt wird, hat das Auswirkungen auf den Baumbestand. Laut Hansjakob Zwingli verschwinden seit Jahrzehnten jedes Jahr viele schöne, alte Birnbäume. Zusammen mit Fructus, der Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, hat der Verein deshalb letzten Herbst ein neues Projekt lanciert. Aus einem Teil der seltenen Hochstammbirnensorten wurden Dörrbirnen hergestellt. «Wir stehen aber erst ganz am Anfang», betont er mehrmals.
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«Früher waren Dörrbirnen weit verbreitet in unserer Esskultur», erzählt Hansjakob Zwingli. Das Birnbrot, der Toggenburger Schlorzifladen oder Gerichte wie «Schnitz und drunder» seien noch Überbleibsel davon. «Gerade das Birnbrot war etwas für arme Leute, da man wenig Getreide benötigte.»
Vor allem grosse Früchte eignen sich zum Dörren
Die Herausforderung beim Projekt ist laut Hansjakob Zwingli, herauszufinden, welche Sorten zum Dörren geeignet sind. «Von einigen wussten wir, dass sie eigentliche Dörrbirnen sind, doch die schmeckten nicht unbedingt am besten.» Ein Tipp, der weiterhalf, kam von der Dörrerei Oeler aus Lömmmenschwil SG: Vor allem grosse Früchte eignen sich gut. Der Betrieb konnte ebenfalls für das Projekt gewonnen werden. Die Birnen werden bei Oelers ganz und noch im Holzofen gedörrt.[IMG 3]
«Es ist ein spannendes Nischenprodukt auch für andere Produzenten.»
Hansjakob Zwingli, Vorstandsmitglied der Obstsortensammlung Roggwil über das Potenzial von Dörrbirnen.
Zusammen mit Fructus liess die Obstsortensammlung Roggwil rund 700 kg frische Birnen dörren, was etwa 175 kg Dörrbirnen ergab. Fructus selbst produzierte noch weitere Dörrbirnen, die aus einer benachbarten Obstsortensammlung stammten. «Wir packten 400 Säcklein à 400 Gramm ab, die wir für 6 Franken verkauften», erzählt Hansjakob Zwingli. «Da wir als Sortensammlung vom Bundesamt für Landwirtschaft finanziell unterstützt werden, haben wir bewusst keinen höheren Preis angesetzt.» Fructus platzierte den anderen Teil der Produktion in der Gastronomie, wo das Produkt auf gute Resonanz stiess. Weiter wird Fructus Mitte März im Culinarium Alpinum in Stans NW einen Tag durchführen, der sich ganz der Birne widmet; auch der Dörrbirne.
«Der Geschmack der Dörrbirnen ist sehr rund»[IMG 4]
Rico Büttner, Sie verarbeiten in Ihrer Küche Dörrbirnen. Woher beziehen Sie dasProdukt?
Rico Büttner: Mein Chef kennt Anna Dalbosco von Fructus. Sie hat uns eine Probe vorbeigebracht. Ich fand die Dörrbirnen geschmacklich sehr interessant.
Können Sie den Geschmack etwas genauer beschreiben?
Die Birnen bekommen durch das Dörren einen intensiven Ledergeschmack, der ins Umami geht. Durch die Restsäure und die Süsse haben sie eine Tiefe, was den Geschmack sehr rund und weitere Zusätze überflüssig macht.
Ausserdem finde ich spannend, dass es alte Birnensorten sind. Die Herstellung im Holzofen ist ebenfalls sehr speziell.
Was haben Sie aus den Dörrbirnen kreiert?
Ein Dessert: das Birnen-Ei. Dafür püriere ich die Birnenund vermische sie mit geschlagenem Rahm. Diese Mousse servieren wir in Kombination mit Schokolade. Zusammen schmeckt das dann wie ein Kinder-Überraschungsei.
Wie reagieren die Gäste darauf?
Überwiegend positiv. Es gibt aber auch Gäste, die können mit dem Geschmack nichts anfangen. Wenn es Fragen gibt, weiss das Servicepersonal Bescheid oder mein Sous-Chef und ich erklären den Gästen unsere Produkte auch gerne persönlich am Tisch.
Welche anderen speziellen Produkte würden Sie gerne in Ihrer Küche verkochen?
Ich koche vorwiegend mit regionalen und saisonalen Produkten, denen ich einen etwas anderen Twist verpasse. Sehr gerne würde ich vermehrt Produkte direkt bei den Produzent(innen) beziehen. Ich kann mir gut vorstellen, auch nächstes Jahr wieder Dörrbirnen zu verarbeiten.
Weitere Informationen: www.restaurant-chiffon.ch
[IMG 5]«Bei der Vermarktung müssen wir sicher noch besser werden», meint Hansjakob Zwingli. Der Verein müsse sich zudem überlegen, wie er die ganze Logistik mit Abpacken und Versand lösen wolle. Da die Ernte unregelmässig ausfalle, sei eine gute Information und Kommunikation bei der Zusammenarbeite mit der Gastronomie nötig. «Dörrbirnen sind ein spannendes Nischenprodukt. Es hätte sicher noch Potenzial für weitere Produzenten, die sich damit versuchen möchten.»