Über hohe Margen im Detailhandel reden viele – der Konsumentenschutz, der Schweizer Tierschutz (STS), die Medien – nur nicht die Detailhändler selbst. Sie geben eine Konkurrenzsituation als Grund für ihr Schweigen an und lassen Versuche der Offenlegung regelmässig auflaufen. Dabei scheint es im Schweizer Detailhandel gerade an Preiskampf zu fehlen: Preisüberwacher Stefan Meierhans sieht darin die Hauptursache dafür, dass hohe Bio-Margen überhaupt möglich sind.
Stille Einigkeit verschafft einen Vorteil
Discounter spielen im Schweizer Detailhandel mit einem Marktanteil von unter 20 Prozent kaum eine Rolle. Den Marktbeherrschern Migros und Coop attestiert Stefan Meierhans «Duldung statt Preiskampf»: Sie seien sich ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und insbesondere der Nutzlosigkeit aggressiver Unternehmensstrategien bewusst. Im wettbewerbsrechtlichen Sinne existiere wohl keine Absprache, die aber auch gar nicht nötig ist. Migros und Coop wissen mittlerweile, wie der jeweils andere agiert. Beide können von hohen Margen auf Bio-Lebensmitteln profitieren, ohne Kundschaft zu verlieren, solange keiner die Preise senkt. Rechtlich bewegen sich Coop und Migros im Graubereich, sollten die Vermutungen im Bericht des Preisüberwachers zutreffen. Die Verlierer beim Ganzen sind die Konsumenten, die überteuerte Preise bezahlen und die Bio- bzw. Label-Bauern, deren Produkte im Laden nicht konkurrenzfähig genug sind.
Die Unterschiede sind da, aber nicht zuzuordnen
Margen gelten als Geschäftsgeheimnis und auch der Bericht bleibt dazu vage. Im Vergleich von Bruttomargen verschiedener Bio-Produkte und Anbieter sind die Daten anonymisiert. Es sind zwar grosse Unterschiede erkennbar, sowohl zwischen den Produkten als auch den Anbietern, sie lassen sich aber nicht zuordnen. Es ist somit nicht ersichtlich, welcher Detailhändler bei welchem Produkt umgerechnet Fr. 5.- als Marge abschöpft, während sich ein anderer im gleichen Fall mit Fr. 1.50 zufriedengibt. «Es muss zur Wahrung des Geschäftsgeheimnisses eine sehr pauschale Betrachtungsweise genügen», heisst es im Bericht.
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Coop hält es laut Meierhans im Übrigen für sinnvoller, Nettomargen zu vergleichen. Diese enthalten neben dem Einkaufspreis auch Kosten für Verarbeitung und Vertrieb. So macht Coop z. B. höhere Liquiditationskosten geltend, da «Bio in der Regel schlechter läuft als konventionell, da es als teurer wahrgenommen wird.» Das erscheint doch ziemlich selbstverschuldet, zeigten doch vier von fünf der vom Preisüberwacher untersuchten Standardprodukte in Bioqualität einen höheren Preisaufschlag in Franken pro Gebindegrösse als beim konventionellen Pendant.
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Dass auch Werbemassnahmen in die Nettomargen gerechnet werden, erachtet Stefan Meierhans als besonders fragwürdig. Schliesslich diene verstärktes Marketing für bzw. mit Bio-Produkten eher der Positionierung des Unternehmens als besonders nachhaltig, denn dem Ankurbeln des Absatzes im Bio-Sortiment.
Die Höhe ist eigentlich nicht das Wichtigste
Der STS hat dem Detailhandel mehrfach vorgeworfen, billigere Produkte mit hohen Bio- bzw. Labelmargen querzufinanzieren und damit deren Absatz zu limitieren. Darin sieht auch Stefan Meierhans das eigentliche Problem: «Es geht nicht primär darum, dass die Marge per se zu hoch ist (auch wenn dies nicht von der Hand zu weisen sein dürfte)», schreibt er. Angesichts der Schweizer Nachhaltigkeitsziele sei es aber problematisch, dass die Preisunterschiede zwischen konventionellen und Bio-Produkten zu gross seien. Hohe Margen auf Letzteren seien mit ein Grund dafür.
Kurz: Hohe Margen machen Bio teurer, was die Nachfrage senkt und damit auch die biologische Produktion ausbremst, die die Agrarpolitik eigentlich vorantreiben möchte.
Keine Hand zur Lösung
Stefan Meierhans präsentierte den Detailhändlern nach eigenen Angaben eine Lösung: Sie sollten sich bereit erklären, ihre Bio-Margen zu begrenzen. Biologisch produzierte Ware sollte so nicht mehr als 20 Prozent teurer sein, da eine Studie bei Konsument(innen) eine Mehrzahlungsbereitschaft in der Grössenordnung von 10-30 Prozent festgestellt hat. «Bedauerlicherweise waren die eingeladenen Unternehmen zu dieser mit Preissenkungen verbundenen Zusage nicht bereit».
Neuseeland wäre ein Vorbild
Auf der anderen Seite der Erde kämpft man offenbar mit einem ähnlichen Problem. In Neuseeland hat die Handelskommission ein Duopol aus zwei grossen Playern im Detailhandel, die nachweislich Preis, Qualität und Angebot der Lebensmittel beeinflussen. Die Regierung hat reagiert und will die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um die Lage zu verbessern. In der Schweiz könnte ein ähnliches Vorgehen sinnvoll sein, findet Stefan Meierhans.
Das Thema bleibt unter Beobachtung
Im Bericht ist von Zwischenergebnissen die Rede, der Preisüberwacher will das Thema «unter ständiger Beobachtung weiterverfolgen». Er endet mit einer Reihe offener Fragen, so sieht er die kollektive Marktbeherrschung nicht als bewiesen an. Wichtig scheint die letzte Frage in der Liste:
«Wurde mit dem neuen Tatbestand der relativen Marktmacht auch beim Bio-Lebensmittelmarkt und seiner Wertschöpfungskette ein neues Zeitalter eingeläutet?»
Eine relative Marktmacht liegt kurz gesagt dann vor, wenn ein Unternehmen derart marktmächtig ist, dass andere Firmen bei Angebot oder Nachfrage ohne Alternative von ihm abhängig sind. Das allein ist nicht verboten, eine solche Position auszunutzen hingegen schon. Die entsprechende neue Regelung im Kartellgesetz ist Anfang 2022 in Kraft getreten und bietet der Wettbewerbskommission (Weko) die Möglichkeit, einzuschreiten.
Das Parlament ist bereits aktiv
Das fordert die Stiftung für Konsumentenschutz in einer Mitteilung. Denn die Situation in der Schweiz präsentiere sich sehr zum Nachteil der Konsument(innen) und Bauern, was Marktsituation, Preise und Margen betreffe. Nationalrätin und Präsidentin des Konsumentenschutzes, Nadine Masshardt hat Mitte Dezember 2022 einen entsprechenden Vorstoss eingereicht. Sie fordert mehr Transparenz im Lebensmittelmarkt durch Optimierung der Marktbeobachtung. Hängig ist zudem eine Kommissionmotion der WAK-S, die einen Bericht zur Wettbewerbssituation im Schweizer Agrar- und Lebensmittelmarkt fordert, der die Lage analysieren und bewerten soll.
So schnell dürfte die Sache für Coop und Migros also nicht gegessen sein.
Bio Suisse hat einen Anteil
Stefan Meierhans stellt die Kernfrage, ob die absoluten Bio-Margen standardmässig zu hoch sind oder sie sich rechtfertigen liessen. Die Kostensituation in der Schweiz scheint als Erklärung nicht zu genügen, vielmehr liegt es offenbar an zu wenig Wettbewerb (siehe Haupttext). Wie aus den Überlegungen des Preisüberwachers hervorgeht, hat aber auch Bio Suisse einen gewissen Anteil an den Margen: Der Verband tätige hohe Rückstellungen und weise «auffallend hohe» Ausgaben für Werbung und Marketing aus. Mit minimalen Abgaben für die Labelnutzung gerechnet würden so rund 2 bis 5 Prozent der Margen des Detailhandels auf die Kosten für Leistungen von Bio Suisse zurückgehen. «Ein nicht unerheblicher Betrag», findet Meierhans, «allerdings nicht ausreichend, um die hohen Margen zu rechtfertigen».