Es ist ein Privileg, auf einem Bauernhof aufgewachsen zu sein. Auch wenn man diese Aussage als Kind, wenn alle anderen in der Badi sind und man zu Hause heuen muss, nicht unterschreiben würde. Es ist ein Privileg, weil es den Weg in eine vorurteilslose landwirtschaftliche Laufbahn ebnet: Es verschont einen vor skeptischen Blicken in landwirtschaftlichen Runden, es schützt einen vor Vorurteilen anderer, es schmückt einen mit dem gewissen Etwas, es umgibt einen ein gewisses Gemeinsamkeitsgefühl. Nicht zuletzt lehrt es einen so viel über Natur und Tier. Damit will ich keinesfalls behaupten, alle Bauernkinder seien gleich, eine homogene Masse – das trifft natürlich nicht zu. Spätestens bei der Frage Horn oder hornlos, Simmental oder Braunvieh, Bio oder ÖLN, Mast oder Milch wird das allen klar.

Wenn Sie auf einem Betrieb aufgewachsen sind, wissen Sie trotzdem, von welchem Gefühl ich spreche. Oder was soll ich sagen: Ich vermute, dieses Gefühl kennen alle, die auf einem Betrieb aufgewachsen sind. Denn obwohl ich meine behütete Kindheit in einem weit abgelegenen Bauernhaus im Schwarzenburgerland verbringen durfte, werde ich wohl während meiner gesamten landwirtschaftlichen Karriere deklarieren müssen, nicht auf einem Betrieb, sondern neben einem Betrieb aufgewachsen zu sein.

Dem Muni nachtrauern - das kenne ich 

Meine Eltern sind nicht in der Landwirtschaft tätig, wir wohnten lediglich in einem Bauernhaus. Das heisst aber nicht, dass ich als neugieriges, wildes Kind nie kalbern half, nie meiner Nachbarin zusah, wie sie frischen Minztee aus dem Garten zubereitete und im Brunnen vor unserem Haus kühl stellte, nie am Sonntag beim Heuen dabei war, nie alleine die Kühe von der abgelegenen Weide holen ging, nie im Heustock spielen und schlafen durfte, nie die Ponys, Ziegen und Kaninchen mistete, nie auf einem Kuhrücken sass, kein Kalb taufen durfte, dem hässigen Hahn nie davonrannte, keinem Muni nachtrauerte, der in den Schlachthof musste, nie nachmittags nach der Schule Kies aus dem Land rechte, nie im Futtertenn Rollerblades gefahren bin (weil es der einzige flache und betonierte Ort in unserem Wiler war) und nie meinen Nachbarn zusah und schon damals staunte, wie sie unermüdlich arbeiteten und dennoch am Samstagabend nach dem Stall mit uns Käse-Cervelats grillierten.

Ich bekam das alles mit – als Nicht-Bauerntochter. Ich bekam es zwar nicht in die Wiege gelegt, dennoch begleitete mich «ds Bure» meine gesamte Kindheit. Immerhin. All diese Momente brachten mich vielleicht dazu, nach dem Gymnasium den Weg in die Landwirtschaft einzuschlagen – oder anders gesagt, es brachte mich dazu, in die Landwirtschaft zurückzufinden. Nutztiere halten, Kulturpflanzen pflegen, Nahrungsmittel produzieren. Als Teenager lebte diese Faszination aus meiner Kindheit wieder auf. Deshalb entschied ich mich vor einigen Jahren für ein Praktikum auf einem kleinen aber intensiv geführten Familienbetrieb.

Die Frage lautet immer gleich: «Chunsch du vom Bure?»

Die Frage lautet allerdings immer gleich: «Chunsch du vom Bure?». Das ist die Frage aller Fragen in unserer Branche (oder geht es nur mir als junge Frau so?).

Nun haben Sie meinen nostalgischen Umweg über meinen Bezug zur Landwirtschaft gelesen. Was antwortet man da? «Nein», «ein bisschen», «nicht ganz»? Ich bin bis heute unsicher. Ich würde mir als Nicht-Bauerntochter, aber Voll-Nachbarsbauerntochter wünschen, eine andere Frage zu beantworten. Anstatt woher man kommt, fragen Sie lieber, was einen in die Landwirtschaft gebracht hat. Schlussendlich kommen viele Leute «vom Bure», schlagen dann aber einen komplett anderen Weg ein. Umgekehrt kann dies eben genauso der Fall sein. Weil ich das Gefühl kenne, im Vornherein beurteilt zu werden, muss ich mich konzentrieren, nicht bei anderen dasselbe zu tun. Sprich: Zu behaupten, alle Landwirte würden einem skeptisch gegenüberstehen. Denn auch das ist in der Tat nicht so: So begegnete mir mein damaliger Chef beispiellos vorurteilsfrei: Er bevorzugte es sogar, eine Quereinsteigerin auf dem Betrieb auszubilden – zumindest erklärte er mir das so.

Und anstatt zu fragen, ob ich auf einem Betrieb aufgewachsen bin, öffnete er mir (zusammen mit seiner Familie) kommentarlos die Tore in die Landwirtschaft und gab einer Nicht-Bauerntochter somit die Chance, an diesem Gemeinsamkeitsgefühl teilzuhaben.