Sie heissen Moringa, Goji, Açai oder Chia und stehen zuoberst auf vielen der zahlreichen Hitlisten für Superfood. Doch weshalb exotisch, wenn das Gute eigentlich so nah wäre? Zum Beispiel Hanfkörner. Ernährungswissenschaftler kommen bei dieser geballten Ladung von Inhaltsstoffen ins Schwärmen. Sie enthalten alle acht essenziellen Aminosäuren, reichlich Omega-6- und Omega-3-Fettäuren, Gamma-Linolensäure, die seltene Omega-9-Gadoleinsäure und sind reich an Arginin. Das sind wahre Superlative. Da ist es nur ein kleiner Makel, dass Experten die Eiweisswertigkeit der Hanfkörner wegen dem geringen Lysingehalt tiefer als bei Ei- und Sojaprotein einstufen. Ein potentieller Schweizer Hanfbauer interessiert sich aber sowieso weniger für die Chemie der Inhaltsstoffe. Er fragt sich viel mehr: Soll er den Einstieg in den offenbar aufstrebenden Markt von Speisehanf wirklich wagen?

Hanf war einst weitverbreitet

Die Landi Freiamt im Aargau startete in diesem Jahr ein entsprechendes Projekt. Auf die Idee brachte sie Hanf-Pionier Roger Bottlang aus Villmergen, der sich bereits seit vielen Jahren mit den Ernährungseigenschaften der Pflanze auseinandersetzt und verschiedene Hanfprodukte anbietet, darunter eben auch importierte Hanfnüsse. Soviel vorab: Die Bezeichnung ist etwas verwirrend, denn es sind eigentlich nicht Nüsse, sondern geschälte Hanfkörner.

Die Landi verkaufte die Proteinbomben bisher bereits in ihren Läden. "Wir fanden aber, dass es eigentlich gescheiter wäre, die Hanfkörner bei uns in der Schweiz zu produzieren", sagt Projektleiter Daniel Appert. Und vor allem sah er eine Möglichkeit für Landwirte, in ein neues Produktionsfeld einzusteigen. Aber was heisst schon neu? Hanf war bis zum 18. Jahrhundert in der Schweiz als Nutzpflanze zur Herstellung von Öl, Kleidern, Seilen, Viehfutter und zu medizinischen Zwecken bereits einmal weitverbreitet. Klimatisch und anbautechnisch sollte das also funktionieren. Trotzdem muss die Kultivierung zuerst noch einmal neu erlernt werden.

 

Boom im Hanfbau

Der Hanfanbau erlebt in der Schweiz zurzeit einen Boom. Im letzten Jahr stieg die Anbaufläche um 85 Prozent auf offiziell 126 Hektaren an. Noch nicht eingerechnet sind die Flächen der Indoor-Anlagen. Für dieses Jahr gibt es noch keine offiziellen Zahlen, doch die Flächen dürften erneut gestiegen sein. Erlaubt ist der Anbau von Cannabisprodukten mit einem THC-Gehalt von unter einem Prozent. Besonders zugenommen hat der Anbau von CBD-Hanf für medizinische Zwecke (CBD = Cannabidiol). Die Anbaufläche vom finanziell weniger einträglichen Speisehanf für die Verwendung als Lebensmittel beträgt in diesem Jahr schätzungsweise rund 80 Hektaren.

 

Das Freiämter Speisehanf-Projekt soll mindestens drei Jahre dauern. In der ersten Phase in diesem Jahr wollte man herausfinden, welche Sorten und überhaupt welche äusseren Bedingungen ideal für den Speisehanfanbau im Aargau sind. Aktuelles Know-how dazu gäbe es eigentlich bereits: Schon vor knapp drei Jahren startete in der Ostschweiz die Firma "Alpenpioniere" mit dem Anbau von Speisehanf. In diesem Jahr bauten Bauern in deren Auftrag beachtliche 55 Hektaren an. Ihr Hanföl wird unter anderem im Coop verkauft, auch die Nüsse bietet die Firma an. Die im letzten Jahr mit dem Agropreis für besondere Innovationen ausgezeichneten "Alpenpioniere" scheuen aber die Konkurrenz und sind eher zurückhaltend mit der Herausgabe von Informationen. Trotzdem wird die Zusammenarbeit gesucht. Die Landi Freiamt befinde in Kontakt mit den "Alpenpionieren", sagt Daniel Appert.

Hanf als Bodenverbesserer

13 Bauern mit 20 Hektaren Anbauflächen liessen sich für die Teilnahme am Freiämter Projekt gewinnen. Einer von ihnen ist Hans-Peter Frey aus Muri. Er bezeichnet sich als grundsätzlich neugierigen Menschen, weshalb er den Versuch bei sich auf 1,6 Hektaren wagte. Die Hanfpflanze gilt im Anbau als anspruchslos und kommt ohne Kunstdünger und Herbizide aus, Krankheiten und Schädlinge sind kein ernsthaftes Thema. "Gerade bei den aktuellen kritischen Diskussionen in der Bevölkerung zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln passt eine solche extensive Kultur deshalb eigentlich ganz gut in die Fruchtfolge", findet Frey. Und agronomisch erhofft er sich von der tiefwurzelnden Pflanze einen positiven Effekt auf den Boden und die Folgekulturen. Die Landi bezahlt ihm für die Kultur einen pauschalen Beitrag von 3000 Franken pro Hektare, egal ob die Kultur gelingt oder nicht.

Denn Hanf ist aus politischen Gründen nicht direktzahlungsberechtigt. Immer noch gilt Cannabis in der Schweiz rechtlich als Betäubungsmittel. Die für den Anbau als Nutzhanf zugelassenen Sorten enthalten allerdings nur geringe Mengen des berauschend wirkenden Tetrahydrocannabinols (THC), weshalb eine Änderung der Regeln eigentlich angebracht wäre. Gegenwärtig sind Diskussionen dazu im Gang. Im November findet in dieser Angelegenheit beim Bundesamt für Landwirtschaft eine nächste Sitzung statt, bei der auch die Landi Freiamt vertreten ist. Ohne deren finanzielle Entschädigung wäre es zweifellos schwierig geworden, Interessenten für die Teilnahme an ihrem Projekt zu finden. "Drauflegen will ja letztlich niemand, so bleibt am Schluss wenigstens noch etwas übrig", findet Landwirt Frey.

Problem mit Unkraut

Fast drei Meter hoch sind die Hanfpflanzen von Hans-Peter Frey jetzt Anfang Oktober. Der von der Landi extra aus Deutschland bestellte Spezial-Vollernter soll in den nächsten Tagen die Ernte einfahren. "Dann werden wir sehen, wie es mit den Erträgen aussieht", sagt Appert. Auf den Parzellen der 13 Landwirte wurden drei verschiedene Sorten sowie unterschiedlich Anbau- und Ernteverfahren getestet. "Meine Parzelle ist eine der Schönsten", sagt Frey stolz. Andere Kollegen hätten teilweise grosse Probleme mit Unkraut gehabt und wenig Ertrag. Bei ihm sind die Blütenstände prall gefüllt mit Hanfkörnern. Er glaubt den Grund dafür zu wissen: Der Erfolg der Kultur beginne vorab mit der richtigen Bodenbearbeitung. Das Saatbeet müsse relativ fein und frei von Unkraut sein. Zudem gab er seinem Hanf etwas Gülle als Dünger. Bekannt ist, dass Hanf viel Sonne braucht und Mühe auf verdichteten Böden hat. Und wenn der Hanf zu hoch ist, brechen die Stängel bei starkem Wind.

Infotafeln für die Bevölkerung

Mit unmittelbar vor der Parzelle aufgestellten Infotafeln zum Hanfprojekt nahm die Landi kritischen Spaziergängern gleich vorab den Wind aus den Segeln. Alle Parzellen sind zudem bei der Polizei angemeldet, obwohl diese Sorten wie erwähnt keine berauschende Wirkung haben. Tatsächlich hätten sich ein paar "aufmerksame" Leute bei der Polizei gemeldet, sagt Appert. "Die konnten dort aber schnell aufgeklärt werden." Die Infotafeln hätten diesbezüglich gut funktioniert. Das bestätigt auch Frey: "Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv." Trotzdem: Der intensive Duft vor allem während der Blüte ist auch für ihn gewöhnungsbedürftig. Er lacht: "Vor meinem Gartensitzplatz möchte ich die Hanfpflanzen lieber nicht haben."

Nach der Ernte ist vor der Ernte

Für Hans-Peter Frey ist die Angelegenheit nach der Ernte fürs Erste erledigt. Für die Leute von der Landi Freiamt beginnt dann aber eine weitere entscheidende Phase. Die vorerst wichtigste Frage: Wie und wo sollen die kleinen Körner mit der harten Schale und dem weichen Kern geschält werden? In der Schweiz gibt es bisher keine grössere Schälanlage und es bestehen kaum Erfahrungen mit den Abläufen. Bei den "Alpenpionieren" ist man offenbar schon etwas weiter, will sich aber auf Anfrage nicht näher dazu äussern. "Bisher werden alle Schweizer Hanfsamen im Ausland geschält", klärt Appert auf. Grundsätzlich wolle man im Projekt bestehend Verarbeitungsstrukturen nutzen, doch man denke über den Bau einer eigenen Schälanlage in der Schweiz nach. Was aber nur in Zusammenarbeit mit anderen Anbietern wie den "Alpenpionieren" wirtschaftlich tragbar sei.

Bekanntlich lassen sich fast alle Bestandteile der Hanfpflanze verwenden. Die Fasern vom Freiämter Hanf sollen mittelfristig zur Herstellung von Textilien genutzt werden. Ein möglicher Abnehmer ist die Glarner Firma Glärnisch Textil, welche sich auf die Verarbeitung von Fasern aus Leinen und Hanf spezialisiert hat. Die Verwendung von Tee sei eine weitere Option, sagt Appert. Einstreu, Isolationsmaterial oder Viehfutter sind andere Verwertungsmöglichkeiten. Als Hauptprodukt sind im Aargau aber vorerst die Freiämter Hanfnüsse und das Hanföl vorgesehen. Sie passen gut zum aktuellen Zeitgeist nach gesunden Produkten und sollen den Landwirten eine interessante Alternative in der Fruchtfolge bieten.