Es ist Freitag, der 24. Juli, früher Vormittag. Im Bumbach, Schangnau, ist es ruhig. Vor exakt einem Jahr war hier um die gleiche Uhrzeit die Hölle los. Ein Jahrhundertunwetter, das weiter unten am Lauf der Emme nur durch Treibholz und Schlamm auf sich aufmerksam machte, hinterliess in der Region Schangnau/Eggiwil grosse Verwüstung. Wer heute, ein Jahr später, durch den Graben Richtung Kemmeriboden fährt, erkennt, es ist viel Gras darüber gewachsen, die Wunden sind aber noch sichtbar. Bei der Landschaft wie auch bei den Menschen, die dort leben. Und sie sind irreversibel.

Auf dem Schwand soll der Bach umgeleitet werden

Die «BauernZeitung» ist unterwegs zur Familie Gerber auf den Schwand. Auch nach einem Jahr türmen sich die Haufen an Geröllmassen am gegenüberliegenden Bachufer auf. Baumaschinen sind im Einsatz. Nun soll es endlich eine Verlegung des Bachbetts geben, erst seit wenigen Wochen läuft die Aktion.

«Ich verstehe gut, dass so etwas lange und ganz genau geplant werden muss», äussert Hans Gerber gegenüber der «BauernZeitung». Wichtig sei schliesslich, dass die Massnahmen greifen. «In der Zeit dazwischen hofft man einfach, dass nicht wieder etwas Ähnliches passiert», sagt er. So, wie beispielsweise diesen 7. Juni, als das Wasser wieder auf den Hausplatz vordrang und gar drohte, ins Haus zu kommen. Die Feuerwehr war bereits vor Ort, und der älteste Sohn der Gerbers, Niklaus, stand im Stall bei den Pferden, um sie zum Nachbarn zu bringen. Sie hatten das Unwetter vergangenes Jahr nur wie durch ein Wunder überlebt.

[IMG 2]

Hundertprozentige Sicherheit habe man nie, sind sich Erika und Hans Gerber im Gespräch einig. Aber der 7. Juni hat etwas verändert. Das sind sich die beiden bewusst. Sie beschäftigen sich derzeit mit Fragen wie: «Was ist, wenn es keinen Fluchtweg mehr gibt? Was ist, wenn es uns in der Nacht überrascht? Was ist, wenn die Kinder einmal alleine zu Hause sind?» Diese und weitere Fragen gehören zum Alltag des Ehepaars.

Gerbers sind froh, wenn die Wettervorhersage nicht stimmt

Auf dem Schwand ist man jedes Mal froh, wenn das Wetter  nicht ganz so heftig kommt, wie in der Vorhersage gemeldet 
wird. Erika Gerber erinnert sich, wie sie am 7. Juni im verhagelten Garten gestanden sei und geweint habe. «Wenn Sie wüssten, was wir alles durchgemacht 
haben   », so die Bäuerin und schweigt.

Das Unwetter im Juli 2014 hat Spuren hinterlassen. Deutliche. Wenn auch verschiedentlich zu lesen ist, dass Beteiligte wieder gut schlafen können, fällt es vielleicht nicht allen ganz so leicht. «Es war mehr als zu viel», äussert Erika Gerber. So viel habe das Unwetter nach sich gezogen. So viel Arbeit, die habe erledigt werden müssen. «Wenn man sich überlegt, wie es am Tag nach der Verwüstung aussah, kann man sich heute gar nicht vorstellen, wie das alles aufgeräumt werden konnte», sagt Hans Gerber. Die Erschöpfung sei riesig gewesen und auch bei den Kindern Niklaus, Lilian, Hansueli und Mar­greth sichtbar geworden.

[IMG 3]

«Für die Kinder war das einschneidend und doch müssen sie damit fertig werden und lernen, dass es im Leben nicht nur Schönes gibt», so Gerber. Die Dankbarkeit, dass alle das Unwetter überlebten überwiegt auf dem Schwand. Zudem gebe die Gewissheit Trost, dass es noch Schlimmeres gebe. «Wenn einer im Kino aufsteht und wahllos um sich schiesst, oder Kinder viel zu früh ihre Mutter verlieren, dann ist das nochmal eine ganz andere Dimension. Wir sind schliesslich alle noch da», so der Landwirt. Diese Gewissheit trägt Gerbers. Was bleibt, ist aber die Unsicherheit, ob es einen genügenden Schutz für die Familie geben wird, sollte die raue Natur in Schangnau das Ereignis wiederholen.