Nein, ein Obelix ist Remo Schuler nicht. Dafür ist er mit 1,86 Meter Körpergrösse zu kurz geraten. Andererseits schlägt ihm mit seinen 100 Kilo Kampfgewicht aber auch keine Obsession hinspeislich Wildschweinbraten schwerverdaulich auf die Rippen. «In der Fraktion der Steinstösser gehöre ich tatsächlich zu den schmächtigeren», sagt der Landwirt aus Rickenbach SZ und holt Anlauf. Zwei Schritte zurück, links der Maschinenpark; die Zehenspitzen des rechten Fusses hochgezogen, rechts die Kälber im Stall.

«Es geht in die richtige Richtung»

Dann läuft der 28-Jährige los und balanciert den weit über 80 Kilo schweren Brocken über seinem Kopf dem Balken entgegen, den er am hinteren Ende des Hofes in den Boden eingelassen hat. Die Erschütterung beim Einschlag des Steines lässt das Rindvieh auf der nahen Weide kollektiv zusammenzucken. Schuler spannt das Messband – «ja, es geht in die richtige Richtung».

Steinstossen ist Nationalsport. Genauso wie Hornussen und Schwingen. Doch während die Bösen in den Zwilchhosen regelmässig im medialen Rampenlicht stehen, betreiben Schuler und seine Kollegen ihren Sport mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. «Natürlich wünscht man sich mehr Beachtung, schliesslich betreiben wir ja einigen Aufwand und bringen Leistung», sagt der Schwyzer und setzt ein schiefes Lächeln auf; «aber hey, wir Steinstösser stehen immer noch besser da als die Hornusser.»

Beim alle drei Jahre stattfindenden Stelldichein der Nationalsportarten anlässlich des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes nämlich sind Schwingen und Steinstossen fixer Bestandteil – nicht aber das Hornussen, welches sich im Kampf um die raren Freiflächen jeweils mit dem Privatverkehr zu messen hat. Mit besserem Ende häufig für das Parkplatzregime.

Schon zwei eidgenössische Siege

Remo Schuler interessiert das alles nicht. Er ist auf den Saisonhöhpunkt fokussiert und will Ende August in der Arena von Pratteln vor Zehntausenden von Zuschauern seine Bestleistung abrufen. Mindestens! Die liegt aktuell bei 3.90 Meter, erzielt im Frühjahr im Rahmen der Qualifikation für das ESAF 2022 im Baselbiet.

Die letzten zwei Eidgenössischen, jene von Estavayer-le-Lac und Zug, hat der junge Landwirt aus dem Kanton Schwyz bereits für sich entschieden, dazwischen auch den Wettbewerb am traditionsreichen Unspunnenfest. Das stärkt das Ego. Und schraubt die Erwartungen in die Höhe. «Ich gehe nach Pratteln, um zu gewinnen», gibt «Remsi» unumwunden zu, «alles andere wäre eine herbe Enttäuschung.» Wenn möglich will er auch gleich noch den Rekord seines grossen Vorbildes Markus Maire knacken. Der stammt aus dem Jahr 2004 und liegt bei sagenhaften 4.11 Meter.

Macht ein halbes Kilo den Unterschied?

In seiner Mission Titelverteidigung (und Rekord) überlässt der Landwirt und Lohnunternehmer wenig dem Zufall. Zweimal die Woche geht es ab in den Kraftraum. Und täglich stösst er auf seinem Übungspfad zwischen Fuhrpark und Scheune den Trainingsstein exakt dreimal. «Der original Unspunnenstein wiegt 83.5 Kilo, das Duplikat  hier 84», sagt der Champ mit dem Chämp und hievt selbigen auf eine Sackkarre, um damit kräftesparend zum Start der Anlaufbahn zu gelangen.

«Schon möglich, dass mir dieses halbe Kilo Unterschied einen entscheidenden Wettkampfvorteil beschert», zuckt er die Schultern. Bei aller Akribie in der Vorbereitung: allzu viele Gedanken will sich Schuler nicht machen über die Zusammenhänge in seinem Sport. Gleichwohl wie er auf Stützgurt und muskelstützende Textilien verzichtet. Trainingshose, einfaches T-Shirt und Dächlikappe reichen aus. Der Mann ist sich selbst genug.

«Der perfekte Stoss, ein Ding der Unmöglichkeit»

Am richtigen Punkt im richtigen Moment loslassen, so simpel klingt die Maxime des Steinstossens. Allerdings: Den richtigen Moment erwischt kaum einmal einer, den richtigen Punkt vielleicht schon eher. Es geht um Millimeter und Millisekunden – Präzision wie im Skispringen. «Ich denke, dass der perfekte Stoss ein Ding der Unmöglichkeit ist», schüttel Schuler darauf angesprochen den Kopf; «wenn’s hochkommt, gelingt er dir vielleicht einmal im Verlaufe der Karriere.»

So, wie dem Fribourger Markus Maire, als er 2004 am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Luzern den Stein auf erwähnte 4,11 Meter stiess – ja, fast schon schmetterte. Natürlich reist Schuler nach Pratteln, um zu gewinnen. Natürlich will der Landwirt Maires Fabelrekord knacken. Verrückt machen lässt er sich darob aber nicht. «Steinstösser können auch mit 40 noch erfolgreich sein. Mit meinen 28 Jahren habe ich also noch Zeit.»

Büchsenravioli als Erfolgsgeheimnis

Vielleicht liegt es an der offen zur Schau getragenen Gelassenheit, die Remo Schuler innewohnt, dass er im Ernstkampf den Unspunnenstein weiter stösst, als alle anderen seines Schlages. Vielleicht gründen die Siege auch im um ein halbes Kilo schwereren Trainingsgerät. Vielleicht, ja vielleicht ist es ja aber auch und ganz einfach die auf seine Bedürfnisse abgestimmte Ernährung, die für extra Power hinsichtlich der tektonischen Verschiebung sorgt. Superfood? Proteinshake? Oder gar doch wie bei Obelix ein Wildschweinbraten? Remo Schuler, der stärkste Steinstösser der Gegenwart, schüttelt den Kopf und lacht: «Büchsenravioli aus der Migros, mit Tomatensauce. Die geben mir den nötigen Pupf.»