Die Bäuerin Beatrice Eichenberger aus Biglen befindet sich gerade in ihrer letzten Session als Berner Grossrätin (Die Mitte). Sie zieht ein positives ­Fazit: «Es war eine gute Lebensschule und eine besondere ­Horizonterweiterung.» Trotz unterschiedlicher Gesinnungen schätzt sie die Kollegialität unter den Ratsmitgliedern. In der Fraktion habe sie sich sofort wohl gefühlt. Ausserdem habe sie viele tolle und spannende Einblicke in das Spektrum Politik erhalten. Durch diese Einblicke könne sie so einiges besser einordnen. Etwa das Vorurteil: «Dass die in der Verwaltung nichts machen.» Es habe dort viele gute und motivierte Mitarbeitende, auch wenn einige ab und zu auch mal einen Schubs brauchen würden. Etwa bei der Benützung von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). Der Kanton stelle eine gute Infrastruktur zur Verfügung. Bis das aber am hinterletzten Schreibtisch angelangt sei, und jede und jeder sich damit vertraut gemacht habe, dauere es zuweilen etwas.

Taten statt Worte liegen in ihrer Natur

Beatrice Eichenberger ist eine Macherin, die lieber anpackt, als lange um den heissen Brei zu reden. Im Grossen Rat hat sie aber gelernt, dass gewisse Sachen Zeit brauchen, und dass das gut so sei. Nach nur einer Legislaturperiode von vier Jahren als Berner Grossrätin ist für Beatrice Eichenberger Ende Mai aber Schluss, sie tritt bei den Wahlen nächste Woche nicht mehr an. Die letzte Session bringt für die Bäuerin gemischte Gefühle. Zwar sei sie als Vize-Fraktionspräsidentin noch voll im Geschehen drin. Doch sie freut sich auch auf die Zeit danach und auf etwas mehr Ruhe. Die kann sie gut gebrauchen. Denn der Verzicht auf eine erneute Kandidatur ist gesundheitlicher Natur.

Aufgeben vor dem Legislaturende ist keine Option

Im Herbst 2020 erkrankte Beatrice Eichenberger an Krebs. Mehrere Operationen in kurzer Zeit haben ihren Tribut gefordert und die Kräfte sind nicht mehr in Hülle und Fülle vorhanden. Der Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur sei nicht leicht gefallen. «Ich habe mich gefragt, darf ich jetzt einfach aufhören?», erzählt sie in der Mittagspause eines Sessionstages. Die Antwort lautete schlussendlich: «Ja, die Gesundheit ist wichtiger.» Dennoch war es ihr wichtig, ihre Amtszeit bis zum Ende der Legislatur zu erfüllen.

Zur Person
Die Bäuerin und gelernte kaufmännische Angestellte, Beatrice Eichenberger (Die Mitte), wohnt im bernischen Biglen und führt mit ihrem Mann Jürg den Landwirtschafts- und Lohnbetrieb Lochmatt. Das Paar hat drei erwachsene Söhne. Den Einstieg in die Politik machte sie in der Umweltkommission, die das gemeindeeigene Vernetzungsprojekt behandelte. Der Schritt als 37-Jährige in den Gemeinderat folgte, seit Juni 2018 ist sie Grossrätin. Bereits nach eineinhalb Jahren im Grossen Rat des Kantons Bern wurde die 50-Jährige zur Vize-Fraktionspräsidentin gewählt. Sie ist Mitglied bei der Geschäftsprüfungskommission (GPK) sowie Ersatzmitglied bei der Bildungskommission (BiK). Die von Frauen oft gestellte «Kann-ich-das-Frage» hat sie sich selbst vordergründig nicht gestellt. Dafür umso mehr die Frage: «Schaffen wir das zu Hause.» Solche Entscheide werden bei Eichenbergers im Familienrat diskutiert. Denn die Auswirkungen müssen schlussendlich alle gemeinsam tragen.

Der neue Grosse Rat startete mit etwas Chaos

Beatrice Eichenberger sieht es als Privileg an, vor vier Jahren als Berner Grossrätin gewählt worden zu sein und dies bereits im ersten Anlauf. Bei der Frage, wie sie die allererste Session im Grossen Rat erlebt habe, muss Beatrice Eichenberger schmunzeln. Sie verrät: «Die erste Session war etwas chaotisch und undiszipliniert.» Alle Neuen mussten zuerst lernen, was und wann wichtig sei zum Zuhören. Denn vieles passiere nicht direkt im Rat sondern vorgängig in den Kommissionen. Die Meinungen und damit wer wie abstimme, würden auch nicht erst durch die verschiedenen Voten in der Ratssitzung gebildet, sondern bereits in den Fraktionen. Daher entsteht für Aussenstehende bei Bildern aus dem Grossratssaal oftmals der Eindruck, die Grossrätinnen und Grossräte würden sich gar nicht für das Geschehen interessieren.

Das Pensum einer Grossrätin ist relativ klar

Beatrice Eichenberger kann gut organisieren. Diese Charaktereigenschaft kommt ihr nicht nur während der Sessionen zugute. Denn ein Grossrats-Mandat sei vergleichbar mit einem 20- bis 30-Prozent-Pensum. Viermal pro Jahr ist Session. Diese dauert rund drei Wochen, an jeweils vier Tagen. Die Bäuerin plant jeweils im Vorfeld mittels Menüplanung und Einkaufsliste gut, damit Ehemann und Söhne nicht verhungern, erklärt sie und lacht dabei. Ihre Stallarbeit abends delegiert sie an eine aus­senstehende Person. Das Planen ist sie gewohnt. Sie stieg ja bereits früh in die Lokalpolitik ein . Ihr politisches Engagement ist über die Jahre als Ergänzung zur Hofarbeit  gewachsen und entstand nicht von heute auf morgen. Mit ihrem Beispiel möchte Beatrice Eichenberger andere Frauen animieren, sich ebenfalls in der Politik zu engagieren. Dass viele Frauen das Zeug dazu hätten, davon ist sie überzeugt. Die Frauen müssen es sich nur selbst zutrauen, weiss sie.

Tipps für Frauen

Beatrice Eichenberger hat einige Tipps für Frauen, die sich selbst überlegen, für ein politisches Amt – sei es auf Gemeinde- oder Kantonsebene – zu kandidieren oder dafür angefragt wurden:
- Mutig sein und einen Versuch wagen.
- Sich der Verantwortung, die man eingeht, bewusst sein.
- Die Familie muss die Entscheidung mittragen.
- Es braucht Zeit, in ein Amt reinzuwachsen – das muss frau sich einge­stehen.
- Nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten und authentisch bleiben:
- Auch mal Fehler zugeben.
- Sich bewusst sein, dass frau sich exponiert und Angriffsfläche bietet.
- Kritik nicht persönlich nehmen.
- Sich selbst nicht zu wichtig nehmen, das bietet Angriffsfläche.
- Zulassen, dass mal die Komfortzone verlassen wird.
- Switchen können ist von Vorteil: Bildlich gesprochen: In Bern die Pumps, zu Hause Gummistiefel. Spüren, wann und wo, welches Schuhwerk gefragt ist. Ob Arbeiten in Pumps oder Gummistiefel, beide Arbeiten sind wichtig.
- Nicht-Wahl nicht als Niederlage ansehen. Die Erfahrung eines Wahlkampfs ist bereichernd.
- Etwas bewirken und mitbewegen ist befriedigend.
- Auch vermeintlich trockene Materie kann Freude machen.
- Mentale Resilienz lernen und ausbauen.
- Netzwerk nutzen und erweitern.

Sie ist zufrieden mit dem Erreichten

Beatrice Eichenberger ist ihr Leben lang leistungsorientiert gewesen, verrät sie. Wie schätzt sie daher ihre Leistung in ihrer Grossratszeit ein? «Ich bin mich, eine Bauersfrau. Ich nehme die Arbeit wichtig und nicht mich.» Diesen Vorsatz habe sie auch im Grossen Rat umsetzen können. Sie habe viele Menschen kennengelernt und dabei als Botschafterin für die Landwirtschaft fungiert.

Sie zeigt sich stolz darüber, bei vielen Verwaltungsmitarbeitenden aufgezeigt haben zu können, was sich ändern müsse. Das Wissen aus der Geschäftsprüfungskommission (GPK) falle unter die Geheimhaltungspflicht. Die Spuren, die sie hinterlasse, seien von aussen nicht direkt sichtbar. Sichtbar ist hingegen das Angebot des Inforama-Crashkurses Hauswirtschaft, den sie initiiert hat. Und dies sei ihr durch ihr Netzwerk gelungen, ohne einen Vorstoss im Grossen Rat einreichen zu müssen.

Kurs soll noch Fahrt aufnehmen

Im Crashkurs Hauswirtschaft lernen junge Erwachsen mit erster eigener Wohnung oder Wohngemeinschaft die wichtigsten Grundsätze, um einen Haushalt effizient und lustvoll zu führen. Ausserdem wird handfestes Wissen zugunsten von Geldbeutel, Freizeit, Klima und Ressourcen vermittelt. «Corona-bedingt ist der Kurs noch nicht wirklich zum Fliegen gekommen», bedauert sie. Doch Beatrice Eichenberger ist zuversichtlich, dass dies noch geschehen wird.

Unterstützung für ihre Nachfolger im Grossen Rat

Nun haben also ihre potenziellen Nachfolgerinnen und Nachfolger den Wahlkampf bald geschafft und wissen, ob sie den Weg ins Berner Rathaus antreten können. Die baldige Ex-Grossrätin freut sich, dass ihre Partei gute Kandidierende gefunden habe. Diese hat sie im Wahlkampf mit ihrem Wissen unterstützt. «Auch wenn ich gerne wieder kandidiert hätte, kann ich jetzt gut loslassen», betont sie. 

Der Berner Bauern Verband empfiehlt diese Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl in den Grossen Rat.