90 Kühe, viel Jungvieh, 16 Freiberger Pferde, 4 Zugochsen und gut 400 Pfleglinge: So sah im Jahr 1956 das Alters- und Pflegeheim Frienisberg im Kanton Bern aus. Mittendrin der 24-jährige Hans Schmid, geboren am 21. Juli 1932 auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Frauenkappelen BE. Früher hat man dem Heim einfach Anstalt gesagt. Heute hat es den Namen «Frienisberg, üses Dorf». In diesem Artikel nennen wir es das Alters- und Pflegeheim. Schmid hat die Stelle auf dem Frienisberg damals nur bekommen, weil er im Militär Feldweibel war. Das war am 1. Februar 1956. Es war ein kalter Winter. Im Januar hatte man noch in kurzen Hemdärmeln umherlaufen können. Im Februar sank das Thermometer dann für mehrere Wochen unter minus 25 Grad. Die Strasse über den Frienisberg war geschlossen, der viele Schnee und vor allem die Bise machten ein Passieren unmöglich.
150 Franken Lohn
An diesen kalten Winter kann sich Hans Schmid noch gut erinnern. Tätig war der junge Mann nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Heimalltag. Um 4.30 Uhr war Tagwache, um 19 Uhr Arbeitsende. Einmal im Monat gab es einen freien Sonntag, sonst wurde täglich gearbeitet. Der Lohn war gering. 150 Franken, mit Kost und Logis, bekam der 24-Jährige damals im Monat. Die BauernZeitung hat Hans Schmid und seine Frau Margrit Mitte November getroffen. Heute sind sie 93 Jahre alt und wohnen in Aarberg BE. Schmid erzählt von früher, erzählt, wie er 1956 auf dem Frienisberg angefangen hat.
«Das Heim bot damals vielen Alkoholikern, geistig Behinderten, armen Leuten oder einfach Menschen, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkamen, Unterschlupf», beginnt Hans Schmid zu erzählen. Das Herzstück des Pflegeheims war der Landwirtschaftsbetrieb. 90 Hektaren gross, zwei Scheunen mit je zwei Einfahrten, viel Ackerbau, Vieh- und Schweinezucht, dazu eine Alp im Berner Jura. Das Heim galt als Selbstversorger. Neben der Landwirtschaft gab es auch eine Gärtnerei, eine Schreinerei, eine Schuhmacherei, eine Flechterei, ein Küchen- und ein Pflegeteam. Fast jede Woche wurde eine Kuh oder mehrere Schweine in der eigenen Metzgerei geschlachtet. Die vielen Knochen von den geschlachteten Tieren füllte man damals in Säcke ab und brachte sie mit Ross und Wagen zu Hauerts in die Knochenstampfe nach Grossaffoltern BE hinunter. Das Mehl daraus wurde später als Dünger verwendet. Auch der grosse Pflanzplätz und die 400 Hühner lieferten täglich Gemüse und frische Eier. Kartoffeln mit Rinds- oder Schweinefleisch, so sah der Menüplan meistens aus. «Jedes Jahr schlachteten wir auch einen Teil der Hühner. Das war dann eine begehrte Abwechslung zur gewohnten Mahlzeit», so Schmid. [IMG 2-3]
Viel von Hand gemacht
In der Landwirtschaft gab es immer viel zu tun. Damals wurde noch viel von Hand gemacht. Auch die Pfleglinge (man nannte diese früher so) – heute nennt man sie Heimbewohner – mussten jeden Tag beschäftigt werden. «Im Stall, auf dem Feld, in der Schmiede, in der Küche, in der Wäscherei oder in der Pflanzung – alle Hände wurden gebraucht», so Hans Schmid, der beim Erzählen tief in Erinnerungen schwelgt. Ein Werkführer, zwei Karrer, drei Melker, ein Schweinewärter, ein Jungviehwärter, ein paar junge landwirtschaftliche Angestellte und bis zu 80 Pfleglinge – Frauen und Männer –, dies bildete die Landwirtschaft. Schmid trug damals als Angestellter die Nummer 36. Damals gab es für alle nur eine 100-Prozent-Stelle. «Teilzeit durfte damals niemand arbeiten, das wurde von der Verwaltung so verlangt», sagt Schmid.
Jeden Morgen mussten die 16 Pferde geputzt und «geschirrt» werden, ob die Oberkarrer sie brauchten oder nicht. Das wurde vom Verwalter so kontrolliert. «Mein Pflichtenheft im Heim war streng, und etwas Schikane war auch noch dabei», erzählt Hans Schmid das Erlebte. Obwohl das Pflegeheim 1956 schon einen alten Traktor besass, mussten zuerst die 16 Pferde beschäftigt werden. Erst nachher durfte man den Traktor einsetzen. Das Heim züchtete damals selbst ihre robusten Freiberger Pferde, jedes Jahr kam ein Fohlen zur Welt. Die vier Zugochsen wurden vor allem für das Eingrasen gebraucht. «Das Fahren mit ihnen war nicht immer einfach», erinnert sich der 93-Jährige.
Während der Vegetation musste jeden Morgen eine grosse Mannschaft für die 90 Kühe das Gras auf den Feldern holen. Das seien immer drei Fuder gewesen. Mit der Sense habe man es zuerst mähen müssen, dann von Hand auf die Wagen laden. Damit es schneller ging, musste man die Sensen am Vortag gedengelt haben. «Um 7 Uhr mussten die Grasfuder jeweils vor den Ställen stehen», weiss Hans Schmid noch. Der Verwalter habe in dieser Zeit viel kontrolliert. Und wehe, die drei Fuder Gras standen vor dem Morgenessen nicht an ihrem Platz. Da es in der alten Scheune noch kein grosses Tenn gab, mussten die Melker das Gras jeweils von Hand hineintragen. [IMG 4-5]
Eine Goldmedaille
Wer die Gegend von Frienisberg kennt, weiss, dass dort viele Felder in Hanglage sind. Das ist auch beim Pflegeheim nicht anders. Dennoch nutzte man in den 1950er-Jahren von den 90 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche, 65 % davon als offene Ackerfläche. Kartoffeln, Getreide und Zuckerrüben waren die wichtigsten Ackerbaukulturen. «Das Heim war auch ein erfolgreicher Saatzucht- und Vermehrungsbetrieb. Vor allem im Getreide- und im Kartoffelbau hat man Saatzucht betrieben», sagt Hans Schmid mit etwas Stolz in der Stimme. Er, der sich vor allem dem Ackerbau verschrieben hat, hatte ein gutes Händchen dafür. «Im Jahr 1964, an der Landesausstellung in Lausanne VD, wurde das Heim Frienisberg für den schönsten Saatzuchtweizen der Sorte Probus mit einer Goldmedaille ausgezeichnet», freut sich Hans Schmid heute noch und zeigt die Medaille auf dem Tisch. Den Saatweizen habe man zum Säubern durch einen Triör gelassen. Viel Getreide brauchte man auch für die Selbstversorgung. Jeden Tag wurden für die Heimbewohner 90 kg Brot gebacken. «Mit Ross und Wagen fuhren wir jeweils mit dem Brotgetreide in die Mühle nach Fraubrunnen BE, das sind immerhin gut 20 Kilometer, und liessen es dort zu Mehl vermahlen», sagt Schmid. Die gesamte Getreideernte sei eine mühsame und schwere Arbeit gewesen. Früher wurde das Getreide zum Teil noch von Hand geschnitten, Ende der 1950er-Jahre dann mit einer Lieuse (Bindemäher). Eine komplizierte Landmaschine mit Bodenantrieb, die das Getreide schnitt. «Die Garben bündelten wir dann von Hand und banden sie mit einer Schnur zusammen», so der Alt-Landwirt. [IMG 6-7]
Auch die Krankenschwester
Um das Getreide zu trocknen, standen die Puppen bis zu zehn Tagen auf den Feldern. In der Gelbreife wurde das Getreide meistens geschnitten. «Bei der Getreideernte mussten alle mithelfen. Von der Landwirtschaft über die Pfleglinge bis hin zur Köchin, zur Krankenschwester und zum Schuhmacher», so Hans Schmid. Auch bei der Heuernte war das Bild nicht anders: Vielfach standen gleichzeitig sechs Fuder Heu mit je zwei Zugpferden auf dem Feld. Das Heu musste mehrmals mühsam mit der Gabel von Hand gewendet werden, bis es endlich trocken war. «Es kam vor, dass gegen 80 Pfleglinge (Männer und Frauen) mit Rechen und Gabeln auf den Feldern beschäftigt waren», sagt Schmid und zeigt ein Foto als Beweis. Auch im Stall bei den 90 Kühen herrschten Ordnung und ein strikter Arbeitsplan vor. «Wir hatten damals schwere Simmentaler Kühe, alles aus eigener Zucht, man habe niemals eine Kuh dazugekauft. Rund 3500 kg Milch gaben sie im Durchschnitt», erzählt Schmid. Besser wurde es dann durch den KB-Einsatz. An Silvester musste man jeweils alle Kühe und die zweijährigen Rinder wägen. Und wehe, es war gesamthaft weniger Fleisch auf der Waage als im Vorjahr. «Da gab es schon ein Donnerwetter vom Verwalter», weiss er noch. Die Rinder gingen im Sommer dann z Bärg auf die Alp im Berner Jura. «Mit 60 Stück liefen wir im Frühling nach Suberg BE auf die Bahnstation. Dort wurden die Rinder in Waggons eingeladen und bis nach St. Immer gefahren. Danach ging es wieder zu Fuss weiter, bis unter den Chasseral, wo ihre Hütte war», sagt Schmid. Es sei eine schöne, aber auch strenge Zeit gewesen. Dann ab den 1960er-Jahren hielt auch bei ihnen auf dem Frienisberg die Industrialisierung Einzug. Die Kühe wurden mit der Melkmaschine gemolken, die Pferde und die Ochsen wurden langsam durch Traktoren ersetzt. [IMG 8]
Viele Neubauten begleitet
Doch eines ist geblieben: Hans Schmid und seine Frau Margrit sind dem Heim bis zu ihrer Pensionierung treu geblieben. Schmid machte die Meisterprüfung, wurde Werkleiter des Landwirtschaftsbetriebs und arbeitete sich hoch bis zum stellvertretenden Heimleiter. Er hat in dieser Zeit nicht nur viele Neubauten des Heims begleitet, er war auch für die Saatzucht als Feldbesichtigungsexperte unterwegs. Nebenbei war Schmid zehn Jahre lang Gemeindepräsident von Seedorf BE. Seine Frau Margrit war bei den Heimbewohnern als treue Seele bekannt. Sie gab jahrelang Altersturnen in der Gemeinde Seedorf und hatte im Klosterhof einen Kiosk aufgebaut und geführt. «Wir haben in den über 40 Jahren, die wir auf dem Frienisberg verbrachten, viel erlebt – Schönes und weniger Schönes. Doch eins ist geblieben, die Erinnerungen an die alten Zeiten.