Es ist gerade mal sechs Uhr morgens. Doch vor der Smiling-Gecko-Schule herrscht bereits Hochbetrieb. 470 Kinder zwischen drei und 14 Jahren werden mit Töffs, Tuk-Tuks oder auf Ladeanhängern gebracht. Vor dem Tor werden sie begrüsst und müssen die Hände desinfizieren. Dann versammeln sie sich klassenweise auf dem Pausenplatz. Gemeinsam singen sie die Nationalhymne, während die kambodschanische Flagge gehisst wird.
Die Schule gehört zum 150 Hektaren grossen Smiling-Gecko-Campus, einem Hilfswerk in der Provinz Kampong Chhnang in Kambodscha, rund 60 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Phnom Penh. Der bekannte Schweizer Fotokünstler Hannes Schmid gründete die Organisation vor zehn Jahren. Neben der Schule gehören Landwirtschaft, Handwerksbetriebe und ein Hotel zum Campus. Smiling Gecko ist heute eine der grössten privaten Hilfsorganisationen in Kambodscha. «Wir verbinden das Hilfswerk mit Wirtschaftlichkeit», erklärt Hannes Schmid, der jedes Jahr einige Monate vor Ort verbringt. «Längerfristig soll das Projekt selbsttragend sein. Doch noch sind wir auf Spenden angewiesen.»
Mit medizinischer Versorgung
Nach dem Fahnenappell gehen die Kinder duschen und ziehen die frisch gewaschene Schuluniform an. Die von der Schule zur Verfügung gestellten Shorts und Shirts für den Hin- und Rückweg werden während des Tages ebenfalls gewaschen. Dann gibt es in der offenen Mensa ein Frühstück. Die Kinder bekommen vor Ort Zmorge, Znüni, Zmittag und Zvieri. «Das ist oft ihr einziges Essen», sagt Sokleap Ngon. Der kambodschanische Anwalt hat das Projekt mitgegründet und leitet es vor Ort zusammen mit Hannes Schmid.
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Die Kinder stammen aus armen Familien aus dem Umland. Die meisten von ihnen leben in einfachen Hütten oder kleinen Häusern ohne fliessendes Wasser oder sanitäre Einrichtungen. Viele der Eltern sind Kleinbauern und/oder arbeiten in Fabriken, oft können sie kaum lesen und schreiben. «Pro Familie kann nur ein Kind unsere Schule besuchen», erklärt Sokleap Ngon weiter. «Doch oft geben die älteren Geschwister ihr Wissen an die jüngeren weiter.»
Unterdessen haben auch in der Landwirtschaft die Arbeiten begonnen. 30 Hektaren werden derzeit bewirtschaftet. «Wir könnten verdoppeln», erklärt Sokleap Ngon. «Doch wir sind noch am Lernen, was sich wie bewährt und was nicht. Gute Landwirtschaft ist kompliziert und braucht Wissen.»
Vom Brachland zur Landwirtschaft
Was inzwischen gut läuft, ist die Brüterei. Nach Tiefschlägen halfen zwei Agronomen des landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrums Zug, eine passende Rasse und eine geeignete Haltungsform zu finden. Derzeit werden jährlich 100 000 Küken ausgebrütet. «Um wirklich Gewinn zu machen, müssten wir die Menge verdoppeln», so Sokleap Ngon. Die Küken werden an Farmen und Hilfsorganisationen verkauft.
Mit einem Elektro-Car geht es auf eine Rundfahrt über das Gelände. Vor zehn Jahren stand hier kein einziger Baum, das Land lag brach. Heute wachsen auf den Feldern Gemüse wie chinesischer Spinat, Kürbisse, Gurken, Mais und Tomaten sowie viele Kräuter. Limonen-, Mango-, Papaya- und Maulbeerbäume gedeihen und die rund 500 gesetzten Bambuspflanzen wachsen in drei bis vier Jahren zu einem Wald heran, dessen Holz verwertet werden kann.
«Wir ernten auf den Feldern pro Jahr sechs bis acht Mal», erklärt Sokleap Ngon. «Ein Problem ist allerdings der Humus.» Denn die ersten zwei Meter des Bodens sind Sand. Es braucht sieben Jahre Anreicherung mit Kompost, bis er einigermassen fruchtbar ist. Der Kompost reift in drei bis fünf Monaten auf dem Gelände. «Jede Woche bringen wir drei Tonnen auf die Felder aus. Doch wir bräuchten acht Tonnen.»
Sichere Arbeitsplätze
52 Personen arbeiten in der Landwirtschaft und haben so ein sicheres Einkommen. Ein Teil der Ernte wird verkauft, ein Teil für den Eigenbedarf (Mitarbeiter und Schulkinder) genutzt, ein Teil für das Vier-Stern-Hotel «Farmhouse», das ebenfalls zum Campus gehört. Das Hotel ist eine wichtige Einnahmequelle für die Hilfsorganisation. «Nur mit einem guten Hotel kann man auch gut Geld verdienen», erklärt Hannes Schmid das Konzept. «Jede Übernachtung bringt Geld für die Schule.» Zudem dient das Hotel mit Schweizer Direktor als Ausbildungsstätte, denn auch in Kambodscha mangelt es an Facharbeiterinnen und Facharbeitern.
Vielversprechend sind die beiden Versuchsgewächshäuser mit Vanillepflanzen. Die Schoten sind begehrt, die Pflanzen brauchen allerdings vier Jahre bis zur ersten Blüte. «Wir bestäuben jede Pflanze von Hand», erklärt die verantwortliche Agronomin Say Hab. «Wir sind in der Praxis am Lernen, was die Pflanzen bei gutem Ertrag gesund hält.»
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Bäuerinnen in Fischzucht schulen
Bewährt hat sich die Fischzucht, das Projekt wird von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) begleitet. Sobald die Tilapia fingerlang sind, werden sie an andere Fischfarmen verkauft, so kann auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet werden. Seit drei Jahren läuft ebenfalls in Zusammenarbeit mit der ZHAW das Projekt «Women in Aquaculture», was, frei übersetzt, Frauen und Aquakultur bedeutet. Für zehn Bauernfamilien wurden Bewässerungsteiche gebaut, in denen auch essbare Fische leben. Die Bäuerinnen erhalten eine Weiterbildung in Fischzucht und können mit den Fischen die Ernährung der Familie bereichern sowie den Überschuss verkaufen.
Der Campus bietet 330 Menschen Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Neben Schule, Hotel und Landwirtschaft gehören auch eine Bäckerei, eine Metzgerei, eine Grossküche, eine Wäscherei sowie eine Schreinerei und eine Metallverarbeitungswerkstatt zum Campus. «In Kambodscha hatten wir nach Krieg und Bürgerkrieg kaum mehr handwerkliches Wissen», sagt Sokleap Ngon. «Die ersten Jahre halfen uns daher Schweizer Fachleute mit ihrem Know-how.» Heute fertigen die Betriebe viel für den Eigenbedarf selbst und arbeiten für externe Kunden.
Kambodschas Küchenstar
Die Rundfahrt führt zum Küchengarten, wo Mariya Un Noun bereits wartet. «Hier wächst Zitronengras, da Koriander und dort drüben einige Chili-Sorten», erklärt die Chefköchin des Farmhouse-Resorts. «Kräuter und Gewürze sind das Herz der Khmer-Küche.» Mariya Un Nouns Geschichte steht für das Schicksal vieler Frauen aus armen Familien in Kambodscha: Sie wuchs in einem Elendsviertel in Phnom Penh auf. Mit zwölf verkaufte ihre Mutter sie als Hausangestellte, später wurde sie zwangsverheiratet. Sie bekam zwei Kinder, dann verstiess sie ihr Mann. Mariya Un Noun stand vor dem Nichts, lebte auf der Strasse.
Hannes Schmid gab ihr in der Küche des Campus einen Job. Mariya Un Noun entpuppte sich als lernwilliges Kochtalent. Sie besuchte unter anderem Kurse an der Hotelfachschule Luzern und lernte von Spitzenköchen. Heute leitet die 34-Jährige die Küchenbrigade, ihr Restaurant gilt als eines der besten im Land.
Nach dem Zvieri ist für die Kinder der Schultag um 15.30 Uhr zu Ende. Mit Töffs, Tuk-Tuks und auf Ladeanhängern fahren sie nach Hause. Die ältesten besuchen seit dem Sommer die neu geschaffene Oberstufe. Ebenfalls neu ist das Kulturhaus «Gong», ein Zentrum für moderne und traditionelle Musik. Der 77-jährige Hannes Schmid plant bereits das nächste Zukunftsprojekt auf dem Campus, die «Universität der angewandten Wissenschaft»: Eine Fachhochschule nach Schweizer Vorbild, an der junge Kambodschanerinnen und Kambodschaner eine solide Ausbildung für die Zukunft erhalten sollen.
Weitere Informationen: www.smilinggecko.ch
Kambodscha
Das südostasiatische Land mit rund 17 Millionen Einwohnern liegt zwischen Thailand, Laos und Vietnam. Traurige Berühmtheit erlangte das Land durch die Terrorherrschaft der Roten Khmer in den 1970-er Jahren, der rund 1,7 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Heute arbeiten immer mehr Menschen in Kambodscha für Hungerlöhnen und unter teils erbärmlichen Bedingungen in Textilfabriken. Doch ein Grossteil der Einwohner lebt nach wie vor als Kleinbauern.
Die bewirtschaftete Fläche von durchschnittlich 1,3 Hektar reicht bestenfalls für die Selbstversorgung. Nach Schätzung der Asiatischen Entwicklungsbank wird zudem nur etwa ein Zehntel der Ernte im Inland verarbeitet.
Viele Kleinbauern verlieren ihr Land, da die Landrechte vom Staat an fremde Investoren vergeben werden. Dagegen schützen können sie sich oft nicht, da vielen Bauernfamilien die Dokumente fehlen, die beweisen, dass das Land der Familie gehört.
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