Alle vier Jahre werden die Regionalrätinnen und -räte von Coop neu gewählt. Sie werden gemäss den Statuten des Detailhändlers von den Mitgliedern der regionalen Genossenschaften gewählt. Sie sollen die Genossenschafterinnen und Genossenschafter vertreten, wodurch die Genossenschaftsmitglieder «indirekt auf die Statuten Einfluss nehmen können»,wie Coop schreibt. Der Haken an der Sache: Die Hürden, um in den Regionalrat zu kommen, sind enorm hoch. Daher werden die Regionalräte jeweils in stiller Wahl bestätigt. «Regionalräte und -rätinnen, die bereits im Amt sind, schlagen sich einfach wieder für die nächsten vier Jahre zur Wahl vor», erklärt Raffael Wüthrich, Gründer und Frontmann von detailwandel.ch.

500 Kandidaten sollten freie Wahlen ermöglichen

Unter dem Codenamen «Projekt C» suchte der 2019 gegründete Verein detailwandel.ch in den vergangenen Monaten 500 Kandidierende für die sechs Coop-Regionalräte. Mit Flyern und einer Medienkampagne sollten genügend Unterschriften gesammelt werden, um die Kandidierenden des Vereins zur freien Wahl aufstellen zu können. Der Plan war, die Macht im Detailhändler zu je einem Drittel an Konsumenten, Produzenten, Lieferantinnen und Mitarbeitende zu übergeben.

Es wären die ersten freien Wahlen für Coop-Repräsentanten seit mehr als 60 Jahren gewesen, schreibt detailwandel.ch

Coop reagierte schnell

Kurz bevor die Aktion starten konnte, bekam Coop offenbar Wind von «Projekt C». Im September wurden die Statuten geändert und das Wahlreglement verschärft. Es braucht nun 100'000 Unterschriften mehr, die Frist für deren Sammlung wurde halbiert und zu jeder Unterschrift muss die Coop-Mitgliedsnummer (Abo-Nummer der Coopzeitung) angegeben werden. Kandidieren kann ausserdem nur, wer schon seit einem Jahr die Coopzeitung abonniert hat. Damit sind die Wahlbedingungen laut detailwandel.ch nun über 30 Mal schwieriger, als bei einem Referendum. 

 

Ambitionierte Ziele für Coop

Unter dem Motto «Wir haben keine Chance, packen wir sie» hat sich der Verein detailwandel.ch folgende Ziele für die Weiterentwicklung der Coop-Genossenschaft gesteckt:

Faire Preise für Konsumenten und Produzenten: Senkung der Margen und Verzicht auf «manipulative Techniken zur Verkaufsförderung» binnen eines Jahres.

Bessere Arbeitsbedingungen: Angepasster Bruttomindestlohn, der 13 Mal ausgezahlt wird, 40-Stunden-Woche, mindestens 5 Wochen Ferien. Die Arbeitszeitersparnis durch Automation und Digitalisierung solle den Mitarbeitern zugute kommen.

Klimastrategie: Ausweisen der durch das Produkt verursachten CO2-Äquivalente, des Wasser- und Bodenverbrauchs sowie dem damit verbundenen Tierwohl. Bis 2022 einen CO2-neutralen Einkauf im ganzen Sortiment ermöglichen und bis 2030 das komplette Sortiment beinahe CO2-neutral gestalten. 

«Wir wollten die Regionalräte und damit die Delegiertenversammlung unter Kontrolle der Coop-Mitbesitzerinnen bringen. Die Delegiertenversammlung wählt nicht nur den Verwaltungsrat, sie kann auch die Statuten ändern. Und genau das wäre der Auftrag gewesen: Die Statuten so zu ändern, dass die Forderungen nach fairen Preisen, besseren Arbeitsbedingungen und einer konsequenten Klimastrategie in die DNA von Coop aufgenommen wird. Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung hätten dann den Auftrag erhalten, diese Ziele in der Unternehmenspraxis zu erreichen.», schildert Raffael Wüthrich das geplante Vorgehen. 

 

«Unfreundliches und nicht haltbares Vorgehen»

Auf Anfrage der «Republik» bezeichnet Coop das Vorgehen von detailwandel.ch als «unfreundlich und nicht haltbar», da der Verein im Verborgenen agiert und seine Anliegen nie gegenüber Coop dargelegt habe. Jedes Mitglied der Genossenschaft habe die Möglichkeit, sich für den Regionalrat zu bewerben, Kandidierende würden «geprüft». Dabei achtet Coop laut dem Artikel in der «Republik» auf eine gute Verteilung in puncto Alter, Geschlecht und Beruf. Gewünscht sei eine Unterstützung der zentralen Werte des Detailhändlers. 

Die Pläne von detailwandel.ch zielen aus Sicht von Coop darauf ab, die Kontrolle über Coop zu gewinnen, das Unternehmen in eine instabile Lage zu versetzen und wirtschaftlich zu schädigen. 

Andere Gründe für die Statuten-Anpassung

Obwohl Coop offenbar über «Projekt C» Bescheid wusste, gibt die Medienstelle gegenüber der «Republik» zwei andere Gründe für die Statutenänderung an. So habe sich die Mitgliederzahl in den letzten 20 Jahren verdoppelt und elektronische Hilfsmittel würden die Mobilisierung von Wählern und das Sammeln von Unterschriften heute vereinfachen. 

Mitsprache unerwünscht

Für Raffael Wüthrich ist die Reaktion von Coop ein klares Zeichen: «Der Verwaltungsrat hat seinen Genossenschafterinnen und Genossenschaftern nun überdeutlich zu verstehen gegeben, dass er keine Mitsprache der Eigentümer will», wird er in der Mitteilung des Vereins zitiert. «Wer Teil der Genossenschaft ist, muss gemäss Gesetz mitreden können», sagt Wüthrich gegenüber der BauernZeitung. «Dieses Recht verwehrt der Verwaltungsrat nun 2,5 Millionen Menschen, Konsumierenden, Produzierenden, den eigenen Mitarbeitenden. Das ist der Skandal. Nicht, dass wir als langjährige Kunden und Mitbesitzenden endlich ein Wort mitreden wollten.»

Verpasste Chance für Coop 

Dass Coop die Aktion von detailwandel.ch als Angriff und möglicherweise wirtschaftlich schädlich für das Unternehmen wertet, ist für die Verantwortlichen unverständlich. Unsere Ziele würden Konsumierende und Produzierende wieder näher zueinander bringen, beide Seiten erhielten endlich faire Preise. Und Coop wäre für die Zukunft gerüstet: Wer würde noch bei der Konkurrenz einkaufen, wenn er in seinem eigenen Laden einkaufen kann und das endlich ohne schlechtes Gewissen?», meint Raffael Wüthrich dazu. 

 

Druck auf den Verwaltungsrat aufbauen

Detailwandel.ch hat nach dieser Niederlage den Kampf noch nicht aufgegeben. Man versuche nun, den Verwaltungsrat von Coop unter Druck zu setzen, um die Genossenschaft demokratischer zu machen. Dazu wurde ein offener Brief lanciert, den Unterstützende unterzeichnen können

Gesetzliche Anpassungen und ein Umdenken

«Es braucht einerseits gesetzliche Grundlagen, damit Genossenschaften wieder zurück zu ihrem demokratischen Erbe finden. Und andererseits zeigt die demokratiefeindliche Reaktion von Coop auch, dass es ein grosses Umdenken braucht: Weg vom einseitigen Profitdenken und Gigantismus auf Kosten der Umwelt, der Produzentinnen und der Mitarbeitenden, hin zu sinnvollen Kooperationen, in denen demokratisch die Leitlinien des gemeinsamen Wirtschaftens ausgehandelt werden», ist Wüthrich überzeugt. 

«Unsere Ziele sind mehrheitsfähig»

Er gehe davon aus, dass ein grosser Teil der jetzigen Regionalräte von Coop für die Anliegend es Vereins zu gewinnen wären. Bisher habe man sie nicht kontaktieren können, um eine Statutenanpassung als Reaktion zu verhindern. «Schliesslich sind sich die Regionalräte sehr wohl bewusst, dass sie Repräsentantinnen von 2,5 Millionen Genossenschafter*innen und sie eigentlich Teil eines demokratischen Unternehmens sind. Auch unsere Ziele sind mehrheitsfähig.», gibt der Frontmann von detailwandel.ch zu bedenken.