Auf dem politischen Parkett tobt ein Streit darum, was «regelmässiger Auslauf» – RAUS – in der Praxis bedeuten soll. Nach Meinung von Ständerat Damian Müller (FDP, LU) leben Tiere «faktisch in einem permanenten Auslauf», wenn ein Teil des Stalls unter freiem Himmel ist. Er will daher per Motion erreichen, dass Innenlaufhöfe mit geschlossenen Seiten RAUS-konform sind. Die Bestimmungen eines Merkblatts für den Vollzug seien entsprechend anzupassen, was im Sinne von Umwelt und Tierwohl sei. Pius Kaufmann (Mitte, LU) hat im Nationalrat dieselbe Motion eingereicht.

Indoor-Laufhöfe seien nie RAUS-konform gewesen

Abo Dieser neue Stall ist RAUS-konform, weil eine Seite offen ist und die Tiere ins Freie sehen können. Stallbauten Nur Sicht ins Freie ist RAUS-konform Freitag, 28. Juni 2024 Eine rechtliche Beurteilung der RAUS-Bestimmungen des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) von diesem Frühling zeigt, dass der Streit um RAUS bereits über zehn Jahre alt ist. Für den Rechtsdienst des BLW steht aber fest: «Seit der Einführung des Beitrags bis zur heutigen RAUS-Bestimmung war seit jeher mit einem Auslauf im Freien ein Bereich ausserhalb des Stallgebäudes gemeint.» Von vier Seiten umschlossene Indoor-Laufhöfe seien und waren somit nie RAUS-konform gewesen. Neben der nach oben ungedeckten Fläche müsse mindestens eine Seite nach aussen hin geöffnet sein, was man in einem Merkblatt und zuletzt 2024 in einem Kreisschreiben an die Kantone klargestellt habe.

Betroffenen Betrieben wurden Übergangsfristen ohne Beitragskürzungen gewährt, ist im Bericht weiter zu lesen. Ab 2027 soll es gemäss BLW keine solchen Fristen mehr geben, und sie gelten sowieso nicht für neu angemeldete Betriebe.

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Ständerat hat zugestimmt, Motion beantragt Änderung

«Für mich geht es einfach schon zu weit, dass bewilligte und abgenommene Bauten, hinter denen ja immer eine grosse Investitionssumme steht, plötzlich nicht mehr als RAUS-konform gelten sollen», sagte Peter Hegglin (Mitte, ZG) im Sommer dieses Jahres im Ständerat. Die Kleine Kammer hat der Motion damals zugestimmt. Der Bundesrat ist dagegen und argumentiert, bei einer Annahme des Vorstosses würde das Tierwohlniveau stark gesenkt: «Die Tiere im RAUS-Programm müssten schweizweit im Winter den Stall kaum mehr verlassen.»

Die zuständige Nationalratskommission (WAK-N) beantragt eine Änderung der Motion Müller: Es soll eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, sodass Betriebe, die von 2018 bis 2024 vermeintlich RAUS-konforme Ställe fertig gebaut haben, als konform gelten. Damit will die WAK-N gemäss Mitteilung sowohl dem Prinzip von Treu und Glauben gegenüber den Landwirten Rechnung tragen, als auch dem Anliegen, das in der Bevölkerung breit getragene RAUS-Programm nicht zu verwässern.

«150 Millionen Franken für ein blaues Fenster im Dach?»

Die Diskussion um RAUS ruft nun aber auch Tierschützer auf den Plan. Vor der Beratung der Motion in der zuständigen Kommission hat die Organisation Pro Nutztier mit einer Aktion auf dem Bundesplatz darauf aufmerksam gemacht. «Wir erachten diese Motion aus schwerwiegenden Gründen als tierschutzwidrig», schreibt der Verein. Er nimmt Punkt für Punkt Damian Müllers Argumentation auseinander und kommt zu dem Schluss, dass der Vorstoss vor allem aus dem Eigeninteresse betroffener Betriebe motiviert scheine. «150 Millionen Franken für ein blaues Fenster im Dach?», fragt Pro Nutztier rhetorisch und verweist auf die Höhe der jährlichen Beitragszahlungen für RAUS.

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STS sieht Tierwohl schweizweit in Gefahr

Auf Anfrage bezeichnet der Dachverband Schweizer Tierschutz (STS) die Entwicklung mit der Motion Müller als «bedenklich». Sie würde laut STS die Grundidee von RAUS untergraben. Indoor-Ausläufe böten faktisch weder Zugang ins Freie noch die Reizanreicherung eines Auslaufs, weshalb die Differenzierung zu BTS nicht mehr ausreichend gegeben wäre. «Eine generelle Lockerung der RAUS-Anforderungen gefährdet das Tierwohl schweizweit», fährt der STS fort. Tiere brauchten Zugang zu natürlichem Licht, frischer Luft und Raum zur Bewegung. Ein Innenlaufhof mit geschlossenen Seiten schränke diese natürlichen Bedürfnisse massiv ein.

Damian Müller führt wegen möglicher Zugluft bei offenen Seiten auch die Tiergesundheit für sein Anliegen ins Feld. Für den STS ist das eine zweifelhafte Begründung, zumal Bewegung, frische Luft und Sonnenlicht Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Tiere nachweislich verbessern würden. «Das Argument der Zugluft ergibt keinen Sinn, da Zugluft nicht durch eine einzelne offene Seite entstehen kann», ergänzt der Tierschutzdachverband. Ebenso wenig lässt der STS das «Scheinargument» der Ammoniakemissionen gelten, die in der Motion erwähnt werden.

Ein Laufhof sei kein gleichwertiger Ersatz für den Zugang zu einer Weide, heisst es beim STS abschliessend. «Aber da, wo ein Weidegang nicht möglich ist, ist ein Laufhof klar ein Mehrwert für die Tiere.»

Korrigendum: In einer früheren Version dieses Artikels war von «Sonderzulassungen ohne Rechtsgrundlage» im Kanton Luzern die Rede. Das Luzerner Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement legt Wert auf die Feststellung, dass es im Kanton Luzern gerade keine Sonderzulassungen gebe und von der Problematik auch andere Kantone betroffen seien.