Bei strömendem Regen, den dann und wann vom kalten Wind herangewehten Schnee im Gesicht, waren sich auf dem Baselbieter Farnsberg Landwirte, Naturschützer und Berater einig: Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren beim dortigen Naturschutzprojekt ist dessen Freiwilligkeit. Die Zahlen zum 20-Jahr-Jubiläum des Obstgartens Farnsberg machen deutlich, dass es den Beteiligten keineswegs an Engagement gefehlt hat.
Kein Druck
Birdlife hat das Projekt 2004 lanciert und am 20. April 2024 zur Jubiläumsfeier eingeladen. Das garstige Wetter vermochte die Stimmung nicht zu trüben, denn auf rund 1200 ha Fläche wird hier am selben Strick gezogen. «Die erste Beratung aus Sicht des Vogels hat mich fasziniert», erinnert sich Christian Weber aus Hemmiken BL. Er ist einer der sechs Landwirte, die seit Projektbeginn dabei sind. Der Farnsberg sei ausgewählt worden, weil damals dort noch der Rotkopfwürger gebrütet habe. «Unsere Region war immer eher extensiv», gab Weber zu bedenken. Die Beratung erfolgte gesamtbetrieblich, man skizzierte einen Plan mit möglichen Massnahmen zugunsten der Biodiversität. Stets sei es aber dem Bauern überlassen worden, was er umsetzen wollte – es habe keinen Druck gegeben, sondern Diskussionen auf Augenhöhe.
In Zahlen
2004 ist das Projekt mit
6 Landwirten gestartet, heute sind über
30 Betriebe beteiligt, die auf rund
1200 ha Massnahmen umsetzen. Sie haben
2000 Hochstämmer und
5000 Sträucher gepflanzt,
160 Ast- und Steinhaufen,
30 ha Blumenwiesen und
5 Schürfflächen angelegt
3-mal grösser ist heute der Neuntöterbestand am Farnsberg.
3 Gartenrotschwanz-Reviere wurden gezählt,
2021 hat der seltene Wendehals hier gebrütet. Mit der Zaunammer ist
1 weitere gefiederte Seltenheit zugezogen.
Andererseits – und das ist ein weiterer Erfolgsfaktor – sicherten die Zusammenarbeit mit Kanton und Stiftungen, der Fonds Landschaft Schweiz und private Spenden die Finanzierung von Mehraufwänden seitens der Landwirte. Das Geld müsse nicht nur aus der Politik kommen, ergänzte Markus Blatter von der Naturschutzfachstelle am Ebenrain in seiner Ansprache. «Das Projekt soll freiwillig bleiben und niemand gezwungen werden», bekräftigte er. Aber die Bevölkerung solle durch den Kauf entsprechender Produkte ebenfalls einen Beitrag leisten.
«Die erste Beratung aus Sicht des Vogels hat mich fasziniert.»
Christian Weber ist einer der Farnsberger Pionier-Landwirte und setzte zahlreiche Massnahmen auf seinem Betrieb um.
Nachahmen erwünscht
[IMG 2]«Weil es hier in Partnerschaften gelungen ist, die Produktion hervorragender Lebensmittel mit dem Naturschutz zu verbinden, ist der Farnsberg ein Vorzeigeprojekt geworden», lobt Birdlife-Geschäftsführer Raffael Ayé. Die ergriffenen Massnahmen hätten der Biodiversität einiges gebracht und sollen weitergeführt werden, das Projekt aber nicht endlos weiterwachsen. Vielmehr würde sich Ayé in anderen Regionen und Kantonen Nachahmerprojekte wünschen, wovon es allerdings bisher nur wenige gebe.
Mehr als QII
Gleichzeitig nannte er die weitere Steigerung der Qualität der Massnahmen am Farnsberg als Ziel. «Für viele Arten reicht es noch nicht. Sie haben Ansprüche, die über QII hinausgehen», hielt Raffael Ayé fest. Stellvertretend für alle Projektbeteiligten bedankte sich Birdlife am Jubiläumsanlass auch bei den sechs Landwirten, mit denen der Obstgarten gestartet ist. Denn neben Freiwilligkeit, guter Beratung und finanzieller Unterstützung war der Einbezug der Landwirtschaft der vierte Schlüssel zum Erfolg.
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«Die Sitzungen sind intensiv, aber konstruktiv und immer interessant»
Weniger lange dabei als die sechs Pionierbetriebe, aber nicht weniger überzeugt von der Sache ist Marcel Itin. «Mein Vater Andreas kam vor 13 Jahren durch Gespräche mit Berufskollegen und Beratern zum Projekt Obstgarten Farnsberg», sagt er. Seit etwa fünf Jahren ist der Biolandwirt aus Ormalingen BL ausserdem in der Leitungsgruppe des Projekts, in der Landwirte und Naturschützer etwa die Umsetzung von aus Vogelsicht sinnvollen Massnahmen oder deren ÖLN-Kompatibilität diskutieren. Die vier bis fünf Sitzungen pro Jahr seien intensiv, meint Itin, «aber konstruktiv und immer interessant». Auf seinem Betrieb hat er nach der Beratung Folgendes umgesetzt:
Schürffläche: Auf 10 Aren wurde der Oberboden (20 cm) abgetragen und Schnittgut eines mageren Standorts innerhalb eines Morgens auf die vorbereitete Fläche übertragen. Der Bestand ist lückig mit offenen Stellen und bietet sowohl einen Lebensraum für seltene Pflanzen (z. B. Deutscher Enzian oder Heilziest) wie auch Insekten, die wiederum Vögeln als Nahrung dienen. «Wir haben auch sehr viele Schmetterlinge hier», schildert Marcel Itin. In Absprache mit den Beratern mäht er die Schürffläche ein- bis zweimal pro Jahr.
Offener Boden: Viele Wildbienen – wie die am Farnsberg vorkommende, sehr seltene Sandbiene – brauchen offene Stellen, um im Boden ihre Nesthöhlen bauen zu können. Ausserdem können Vögel auf vegetationsfreien Flächen leichter Beute machen. Auf dem Farnsberg fallen insbesondere neben Baumreihen oder entlang von Hecken Streifen auf, in denen die Landwirte gezielt die Erde unbedeckt halten. «Im Frühling öffnen wir den Boden mit Pflug oder Grubber», schildert Marcel Itin. Je nach Wetter wird die Bearbeitung während der Vegetationszeit ein- bis zweimal wiederholt. Im Herbst aber säe er zum Schutz vor Erosion eine abfrierende Gründüngung auf dem Streifen.
Mulchen: Um einige Hochstammbäume wird das Gras gemulcht, was einerseits Mäuse von den Wurzeln fernhält und andererseits wegen besserer Zugänglichkeit der Insekten den Vögeln zugutekommt. Die Zersetzung des gemulchten Materials liefert Nährstoffe für die Bäume.
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Spagat für Biodiversität
Weiteres wie neue bzw. ergänzte Hecken und Teiche kommen hinzu. Neben 300 Hochstämmern, einer Biogasanlage, 45 Milchkühen, Legehennen im Hühnermobil und drei Pensionspferden gehören zu Itins 35-ha-Biobetrieb aber auch knapp 4 ha intensiv bewirtschaftete Obstanlagen unter Witterungs-und Insektenschutz, mehrere Gewächshäuser zur Gemüse- und Setzlingsproduktion und der Hofladen, der sechs Tage die Woche bedient ist. «Ich bin sicher einer von denen, die produzieren wollen», hält der Landwirt fest. Gleichzeitig will er aber auch den Spagat zum Schutz der Biodiversität machen und fördert beispielsweise – unabhängig vom Projekt Farnsberg – in der Obstanlage Flor- und Schwebfliegen mit den passenden Pflanzen (u. a. mit Storchenschnabel und Geruchgras) als nützliche Blattlausregulierer.
Finanziell würden die meisten seiner Projektmassnahmen via Bewirtschaftungsverträge mit dem Kanton unterstützt, erläutert Marcel Itin. Anderes, wie etwa die Entschädigung für den Futter-Ertragsausfall durch Mulchstreifen oder Krautsäume bei Hecken, läuft via den Obstgarten Farnsberg. «Zusätzlich werden z. B. die Kosten fürs Pflanzgut von Hochstämmern und die damit verbundene Arbeit abgegolten», ergänzt Itin.
Genuss vom Farnsberg
Stiftungen könnten keine Produktförderung aus ihren Geldern finanzieren, weshalb derartige Initiativen vonseiten Landwirten kommen müssten. Ein Beispiel dafür ist ein Kirschen-Apfelschorle, das dank der Vorfinanzierung von Farnsberg-Pionier Christian Weber in Hofläden und Gastronomie verkauft wird. Die Etikette ziert das Motto «Genuss aus dem Obstgarten Farnsberg» und das Logo des Projekts: ein Hochstämmer, darunter eine Hornkuh in einer Blumenwiese und über ihr ein Vogel.