[IMG 3]Die IP-Suisse hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Doch dieses Bemühen gerät, unter anderem durch den Ukraine-Krieg, zunehmend unter Druck. Die Bauernfamilien sollen zwar mit möglichst viel Rücksicht auf die Umwelt produzieren, aber kosten soll es nichts. Das nagt an der Stimmung der Produzenten. Wir haben Andreas Stalder, den langjährigen Präsidenten der IP-Suisse, getroffen und mit ihm über diese Entwicklung gesprochen.

Andreas Stalder, an der letzten Mitgliederversammlung der Sektion IP-Suisse Bern wurde Kritik laut. Die Bauern scheinen mit dem Flug des Käfers nicht immer einverstanden. Oder wie nehmen Sie das wahr?

Andreas Stalder: Gegenfrage – misst man sich grundsätzlich nicht immer nur an jenen, die reklamieren? Natürlich gibt es immer Betroffenheit. Die Änderungen beim Tierschutz, die Erweiterungen beim Punktesystem – solche Massnahmen gehen mit Veränderungen einher und bringen auch Ängste mit sich. Wir sind aber dazu angehalten, uns zu verändern. Als IP-Suisse sehen wir uns ganz generell in einer Vorreiterrolle in den Bereichen Biodiversität und Klima. Eigentlich müsste das den Bauern Sicherheit geben und sie nicht verunsichern oder gar wütend machen. Ich sage bewusst eigentlich. Denn manchmal lösen Veränderungen auch Unsicherheit aus. Und eben solche werden dann gerne aufgenommen und zur Darstellung verwendet, als hätten wir extremen Gegenwind. Wir hätten aber eigentlich andere Probleme.

«Diese schulmeisterliche Art stört mich.»

Andreas Stalder über die Bevormundung der Bauern.

Ach ja, welche denn konkret?

Die Öffentlichkeit versucht, sich quasi abzumelden, und hat ein einziges Interesse: Es muss billig sein. Diese Nachhaltigkeit, von der dann aber doch alle reden, soll der Bauer liefern – sie soll einfach nichts kosten. Wie gesagt, es muss billig sein. Das ist ein echtes Problem.

Wie erklären Sie sich denn so eine Denke – es sah ja noch relativ lange ziemlich gut aus, zumindest während der Corona-Zeit?

Dieser Krieg (Pause). Er hat eigentlich ausgelöst, was nicht zu erwarten war. Ich jedenfalls habe niemals damit gerechnet, dass der Ukraine-Konflikt einen solchen Einfluss auf die Bevölkerung hat.

Welchen denn?

Dass sich jeder selbst am nächsten ist. Dass viele nicht mehr bereit sind, ihren eigenen Beitrag zu leisten, erstaunt mich. Es wird mehr geflogen als in der Zeit vor Corona. Und da verstehe ich die Frage meiner Berufskollegen, was uns diese Vehemenz bringt, mit der wir die Nachhaltigkeit der IP-Suisse-Produktion vorantreiben. Ich kann dazu nur sagen, dass jede noch so kleine Tat irgendwann in einer grossen enden wird.[IMG 4]

Die Bauern sollen also jene Probleme lösen, welche alle anderen verursachen? Es gibt ja nicht viele Bauern, die regelmässig in ein Flugzeug steigen.

Die Landwirtschaft kann, soll und muss auch eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber es gäbe durchaus noch andere Felder. Zum Beispiel diese ganze CO2-Sache; das treibt mich extrem um. Ich kann nicht verstehen, dass wir dafür nicht mehr direkt hier in der Schweiz investieren wollen. So bliebe auch die Wertschöpfung hier. Stattdessen zahlen wir alles den Saudis. Und hier stelle ich wieder eine Frage. Wieso haben wir nicht mehr Selbstvertrauen? Wir können doch etwas und würden doch schliesslich auch die Verantwortung tragen.

Und was ist jetzt mit dieser Verantwortung der Bauern?

Wir Bauern haben zugegeben, dass es ein Problem gibt. Wir verantworten zwar nur einen verhältnismässig kleinen Teil der Emissionen. Aber das ist nun einfach mal in unserer Zuständigkeit und wir haben Lösungen dafür. Worauf wollen wir warten? Wollen wir wirklich darauf warten, bis uns wieder – wie so oft in der Vergangenheit – die Lösung aufdiktiert wird und uns jemand sagt, was wir zu tun und zu lassen haben? Oder lösen wir es selber, indem wir erkennen und handeln? Ich bin für den zweiten Weg. Denn wenn ich etwas freiwillig mache, hat das eine andere Qualität. Ansonsten werde ich mit Direktzahlungen zu einem Verhalten erzogen oder mit einem Gesetz dazu gezwungen.

Stellen Sie die Direktzahlungen infrage?

Ich bin selber Landwirt. Diese schulmeisterliche Art stört mich – insbesondere das Direktzahlungssystem. Da sagen alle seit Jahren, dass es zu komplex geworden sei. Niemand, ja wirklich niemand, behauptet das Gegenteil. Aber bei jedem Wurf macht man das Ganze noch komplizierter. Ein solches System könnte man im Grunde auch in ein Produktionssystem integrieren, wie IP-Suisse oder Bio-Suisse. Ein Produktionssystem, das keinen Absatz hat, ist sowieso nicht zukunftsfähig.

Die Direktzahlungen scheinen also ein Instrument der Bevormundung und die Gesellschaft bestellt Leistungen, die sie nicht bezahlen will. Das tönt nach Erklärungsbedarf. Können die Bauern diese Aufgabe wahrnehmen?

Kaum. Jedenfalls nicht im Alleingang. Die Bauern sind in ihrer täglichen Arbeit zunehmend auf sich alleine gestellt. Und das, obwohl Industrialisierung und Technologisierung weiter zunehmen. Man ist einfach ausgelastet. Das zeigt sich gerade auch in der Milchproduktion. Trotz Entlastung durch Roboter lastet auf den Schultern der Produzenten eine Riesenverantwortung. Das will längerfristig aber niemand mehr. Wir müssen uns bewusst werden, dass die gesellschaftlichen Ansprüche auch bei den Bauern nicht Halt gemacht haben. Die Jungen anerkennen, was wir gemacht haben, machen aber auch deutlich, dass diese Lebensform für sie nicht das Richtige ist. Bei der Betriebsübergabe bleiben die Kühe zwar noch im Stall, aber nach ein paar wenigen Jahren müssen sie weichen. Solche Beispiele gibt es unzählige.

Das scheint früher anders und besser gewesen zu sein. Ist das wirklich so?

Früher hatten die Bauern eine eigene soziale Gesellschaft. So war auch ein Austausch gewährleistet. Die Treffen waren in diesen Organisationen, wie beispielsweise einer Viehversicherung, gewährleistet. Es hat sich aber noch weitaus mehr verändert, als nur der Wegfall dieser Strukturen. Und hier sind wir wieder bei den Ansprüchen. Es hat auch etwas mit Verzicht zu tun. Diese Leute gingen auch nicht in die Ferien. Die Bauern haben sich früher weniger verglichen, heute machen sie das. Sie wollen ein Teil dieser Gesellschaft sein.

Dann schaffen die Bauern die Aufklärungsarbeit nicht. Wer denn sonst?

Das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft hat einfach zugenommen. Man rennt offene Türen ein. Die Leute interessieren sich für uns. Das Interesse wäre eigentlich da, aber diese Arbeit wird nicht mehr oder zumindest viel zu wenig gemacht. Das Schwergewicht der Verbände liegt auch an einem anderen Ort. Ihre Antennen sind sehr stark nach innen gerichtet und nicht nach aussen, auch wenn sie das vielleicht meinen. Bestenfalls sind sie politisch nach aussen gerichtet. Weiter erschwerend ist, dass wir in der Landwirtschaft schlecht einen einheitlichen Auftritt zustande bringen. Selbst in der CO2-Geschichte wird eine grosse Zerstrittenheit sichtbar. Und genau das wird von unseren Kritikern enorm ausgeschlachtet.

Was wäre denn Ihr Rezept?

Wenn wir uns nur vom Markt treiben lassen würden, wäre das vielleicht schwierig, aber wir hätten einen Partner und den hätten wir wirklich. Und zwar den Handel und dahinter den kritischen Konsumenten. Aber jetzt haben wir noch dieses Direktzahlungssystem. Der Bund als Geldgeber bezahlt uns für etwas, was uns im Grunde befohlen wird. Das ist nicht konsumgetrieben und genau das macht es schwieriger. Wenn es so viele Ansprechpartner sind, bei denen man Ansprüche erfüllen muss, dann wir das schwierig. Wenn wir nur marktabhängig wären, dann wäre die Welt eine andere. Aber das ist nun mal nicht so.

Das hört sich nicht gerade erbauend an. Gibt es auch ein anderes Szenario?

Vielleicht spielt uns ja die Weltlage irgendwann in die Karten. Weil die Welt irgendwann merkt, dass sie ohne uns keine Nahrungsmittel mehr hat. Früher sagte man: Produziert, wir schauen dann schon. Heute ist es fast umgekehrt. Der Konsument hat für das, was er eigentlich bestellen will, seltsamerweise kein Geld – trotz Wohlstand. Und wir Bauern machen diesen Trend schliesslich auch noch mit. Wir könnten vor dem Haus auch mit einem Besen aus der Lüneburger Heide wischen, anstatt auf die Lösung aus China zu setzen.

Ein gutes Stichwort. Besen aus China und Erdbeeren aus Spanien. Denner und Migros bezeichnen IP-Suisse gerne als Partner. Könnte man da nicht einmal versuchen, diesen Partnern die Spargeln aus Peru und die Erdbeeren aus Spanien auszutreiben?

Dank uns verkaufen sie weniger vom anderen (lacht). Wir können nichts vorschreiben, wir müssen mit guter Arbeit den Verdrängungskampf erreichen. Wenn wir das auf dem Weg des Diktats erreichen wollen, schaffen wir es nicht. Es geht nur auf dem Weg der Einsicht, auch wenn es hier mehr Atem braucht. Wichtig ist, zu erkennen, dass es nicht nur um den Preis, sondern auch um Marktanteile geht. Wir müssen konkurrenzfähig sein und mit überzeugenden Argumenten und Produkten antreten. Dafür braucht es ein gutes Marketing. Und das hat wiederum seinen Preis, wir dürfen hier aber auf keinen Fall sparen. Wir müssen noch mutiger werden und noch mehr auf uns aufmerksam machen.

Ist IP-Suisse nicht zur Marionette dieser Detailhändler geworden?

Nein. Eine gute Partnerschaft funktioniert nur über eine gewisse Nähe. In der für uns schwierigsten Zeit, als Migros Terra Suisse mit unserer Produktion lancierte, haben wir viel Schnauf gebraucht, um den Käfer zu platzieren. Migros wollte zwar die Qualität, aber nicht den Käfer. Wir glaubten an diesen, im Wissen, dass die Bauern einen eigenen Auftritt brauchen. Später haben wir an dieser Nähe zum Detailhandel gearbeitet. Mit entsprechendem Resultat. Ohne den persönlichen Bezug passiert nichts. Und im Alleingang funktioniert es übrigens auch nicht.

«Dann ist das Mittelland Geschichte.»

Der IP-Suisse-Präsident befürchtet Böses, sollte die Aare dereinst austrocknen.

Ein Kritikpunkt ist, dass immer mehr für das gleiche Einkommen gemacht werden muss. Man rücke stets näher zu den Anforderungen des Bio-Labels. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Im Mittelland geht uns langsam das Wasser aus. Wenn die Aare austrocknet, dann ist das Mittelland Geschichte. Das ist die Ausgangslage. Wir müssen den Klimawandel ernst nehmen und wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Ich kann es nicht oft genug sagen. Wir haben die Wahl, wie wir das machen, bis man uns den Weg vorschreibt. Was ist denn die Alternative? Aufzuhören? Auch wenn das Thema Nachhaltigkeit aufgrund dieses Krieges und wohl noch anderer Einflüsse gerade nicht so unter den Nägeln brennt – wir müssen dran bleiben. Dazu eine Geschichte: Als ich klein war, hatten wir diese autofreien Sonntage, weil wir Angst hatten, dass es irgendwann keinen Diesel mehr gibt. Glauben wir jetzt ernsthaft, dass das heute einfach nicht mehr so ist?

Nach der Pensionierung von Fritz Rothen dürften Sie der nächste sein, der bei IP-Suisse geht. Ist das noch kein Thema?

Natürlich ist das ein Thema. Und wenn es dann sein muss, bin ich auch sehr rasch weg. IP-Suisse erlebt durch den Geschäftsführerwechsel von Fritz Rothen auf Christophe Eggenschwiler entscheidende Veränderungen. Wir lassen diesem Prozess noch etwas Zeit.