Doch gerade in Zeiten, in denen die Landwirtschaft starkem Druck ausgesetzt ist, macht es sicher Sinn, die vorhandenen Fähigkeiten auf einem Hof optimal zu nutzen. «Work smarter, not harder» (schlauer, nicht mehr arbeiten), besagt ein englisches Sprichwort.  Ist also jemand in der Familie mit einem grossen Flair für Menschen gesegnet, dann gibt  es kaum einen besseren Zeitpunkt für den Betriebszweig Agrotourismus als jetzt. 

Schon vor über 2000 Jahren hatten die reichen Römer beschlossen, ihren Sommer lieber weg von der Stadt zu verbringen und Ausflüge in die Landschaft und an die Küste zu unternehmen. Heute boomt der Tourismus wie nie. Auf der ganzen Welt posaunen die Benutzer von sozialen Netzwerken: «Reisen ist das einzige, was du dir kaufen kannst, das dich reicher macht».

Die Reisenden lechzen nach Erlebnissen. Sie wollen ihren Freunden Geschichten auftischen, wenn sie zuhause in der schicken  Bar sitzen. Erlebnisse sind die neuen Statussymbole. Es wächst eine Generation heran, die alles erleben will und davon nie genug kriegen kann. Man lebt ja nur einmal, oder in der Sprache der Internetgemeinde: «YOLO» (you only live once, du lebst nur einmal).

Und die Schweiz?  Sie wirkt zumindest bejahend zur hiesigen Landwirtschaft. Die Bevölkerung stimmt einer landwirtschaftlichen Vorlage mit grosser Mehrheit zu. Die Schweizer Illustrierte publiziert 72 Seiten extra mit 100 Bauern, die begeistern. Das Magazin «Schweizer Landliebe» sei das meistverkaufte in der Stadt Zürich. Die Konsumenten sind also reif, sie warten auf Angebote. 

Dieser Trend bietet gleichzeitig die Gelegenheit, die Leute näher an die landwirtschaftliche Realität zu führen. Ihnen aufzuzeigen, dass nicht alles Kälber schöppeln und Ökowiesenblumen pflücken  ist. Gäste sollen mitanpacken können und dreckig werden dürfen beim melken, misten oder Blacken stechen. Damit sie verstehen , dass die Landwirtschaft lebendig ist und ans Lebendige geht. Damit sie Dinge erleben, die sie noch nie gemacht haben.

Wichtig ist, das sich für die agrotouristischen Angebote gute Preise erzielen lassen. Dafür muss die Qualität steigen. Das ist leichter gesagt als getan. Die meisten Bauern haben weder Zeit noch Geld für  Investitionen – das Wasser steht sowieso bis zum Hals. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Es dürfen keine Steine im Weg liegen, wenn wir unsere Nachbarn einholen wollen.   Tourismus ist ein internationaler Markt. Schweizer und ausländische Gäste können auch nach Italien, Frankreich oder Österreich reisen.

Für die Anbieter kostet der Agrotourismus viel Einsatz, Privatsphäre, Nerven, Präzision, Flexibilität und stete Aufmerksamkeit. Die Arbeit mit Menschen erfordert viel Sozialkompetenz, denn das Zwischenmenschliche sind Teil des Produkts, so wie das Bett, das Brot und die Konfitüre. Der Gast zahlt zwar für die Übernachtung und das Frühstück, seine Zufriedenheit kommt aber vom Gesamterlebnis und den unbezahlbaren Momenten.

Samuel Bühlmann