Sonja Hadorn (52) hat oft gute Laune und eine fröhliche Art. Das ist aber nur ein Aspekt ihres Alltags. Nur das enge Umfeld wusste bisher, dass sie an Schlaflosigkeit leidet. Mit dem Thema ist sie nicht allein. Mit ihrer Geschichte möchte sie Mut machen. Wobei sie von Anfang an klarstellen möchte: «Die Schlaflosigkeit ist nur das Symptom, die Ursache ist bei mir die Angst.»
Vor sieben Jahren starb Sonja Hadorns Bruder. Er war lange Zeit krank, sein Tod absehbar. Und doch traf das die Bäuerin unvermittelt – und es war für sie unfassbar. Bis zuletzt hatte sie gehofft, dass noch alles gut werden würde. Nach seinem Tod blieb die Angst vor dem Verlust und dem Versagen zurück.
Die Schlaflosigkeit begann nach der Beerdigung
Einige Wochen nach der Beerdigung führte diese Angst dazu, dass Sonja Hadorn keinen Schlaf mehr fand. Weder konnte sie einschlafen, noch fand sie später Ruhe. Sie blieb die ganze Nacht wach, drei Nächte in Folge. Sie kam dadurch an ihre psychischen Grenzen, erlitt einen Zusammenbruch und bat ihren Mann, er solle sie ins nächste Krankenhaus fahren.
Dort heulte sie sich zuerst einmal gründlich aus und bekam rezeptpflichtige Tabletten verschrieben, die ihr fürs Erste helfen sollten. Sie brauchte sie in jener Nacht nicht – aber als Rettungsanker für alle folgenden Nächte. Denn die Ängste waren nicht einfach weg. Immer wieder spürte sie, wie die Furcht vor Verlust oder die Sorge, ein Projekt am nächsten Tag nicht bewältigen zu können, sie packte und am Einschlafen hinderte. Dann nahm sie jeweils eine Tablette als Einschlafhilfe – bis die Packung leer war.
Den Schlaf mit einem Schlaftagebuch dokumentieren
Sie suchte ihren Hausarzt auf. Auch er verschrieb ihr Tabletten. Zudem riet er ihr, ein Schlaftagebuch zu führen – jede Nacht kurz zu dokumentieren, ob und wie sie ein- und durchschlafen konnte. Ausserdem empfahl er ihr, sich eine gute Struktur zurechtzulegen. Dazu gehörte ein Abendritual, immer um die gleiche Zeit ins Bett zu gehen und vorher einen Tee zu trinken. Sie hielt sich strikt daran. Ging viel seltener abends noch weg. Informierte ihr Umfeld, dass sie nach sieben Uhr abends keine «News» mehr hören wollte. Ausser ihrem engsten Umfeld bekam aber niemand mit, wie sehr sie litt. Tagsüber funktionierte sie und erledigte ihre Arbeit wie gewohnt.
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Es ohne Medikamente versuchen
Mit der Zeit liess die Wirkung der Tabletten nach. Sonja Hadorn wollte nicht wieder zum Arzt. Ihr wurde bewusst: «Ich muss selber einen Weg finden, der für mich passt, auch ohne Medikamente.» Sie fing an, viel über das Thema Schlaflosigkeit zu lesen und nachzuforschen. Ihr wurde schnell klar, dass die Ursache ihrer Probleme die Angst war. Sie entdeckte die Meditation für sich.
Im Internet suchte sie nach einer angenehmen Stimme, die sie sanft in den Schlaf begleitete. Auch tagsüber baute sie sich immer wieder Ruhezeiten ein. «Ich bin der wichtigste Mensch in meinem Leben», sagt Sonja Hadorn. «Niemand kennt mich so gut, wie ich mich selbst. Daher erscheint es mir nur logisch, dass ich mich für mein Wohlbefinden selber einsetze.» Sie entdeckte, dass gezieltes Atmen ihr sehr half, sich zu entspannen. «In unserer schnelllebigen Zeit wird oft viel zu kurz und oberflächlich geatmet.»
Die 3-mal-5-Sekunden-Atmung
Sonja Hadorn eignete sich die 3-mal-5-Sekunden-Atmung an: 5 Sekunden einatmen, 5 Sekunden Atem halten, 5 Sekunden ausatmen. «Das geht tipptopp», sagt sie. «Sowohl vor dem Einschlafen als auch beim Rüebli rüsten oder Wäsche machen.»
«Atmen statt denken», heisst seither ihre Devise. Sonja Hadorn weiss nun: Das Wichtigste ist, sich Zeit zu nehmen. Sich selber ernst nehmen. Das Leben bewusster zu gestalten. Auch Dinge loszulassen, die eher belasten als Freude bereiten – in ihrem Fall unter anderem der Gemüsegarten. «Manchmal erzeugte mir die anstehende Arbeit einen solchen Druck, dass die Angst, es nicht zu schaffen, riesig wurde», erklärt Hadorn. Schweren Herzens entschloss sie sich, den Garten aufzugeben. «Dabei gehört doch ein Garten zu einer Bäuerin, habe ich immer gedacht», ergänzt sie lachend. «Und jetzt merke ich, dass es auch ohne geht.»
Sie erlitt weitere Verluste
Sonja Hadorn wurde in den letzten Jahren immer wieder erneut mit ihrer Verlustangst konfrontiert: Ihr Vater starb, ein guter Freund der Familie und zuletzt eine junge Frau, die oft bei ihnen war. «Immer wieder klopfte die Angst an», sagt die Bäuerin. «Und trotzdem lernte ich immer besser, mit der Schlaflosigkeit umzugehen. Meine Methoden funktionieren für mich.»
Dass diese Methoden nicht bei allen funktionieren, liegt auf der Hand. Sonja Hadorn ist jedoch überzeugt, dass die Ursache gefunden werden muss, damit die Schlafprobleme besser werden. Sie rät allen Betroffenen, sich durch einen Arzt medizinisch abklären zu lassen und in akuten Phasen auch auf ein Medikament zurückzugreifen.
Viele Wege führen zu besserem Schlaf
«Heute gibt es unzählige Methoden, die helfen können», weiss sie. Sie ist froh, dass bei ihr eine einfache Atemtechnik und Meditation so gut wirken. Aber auch die Struktur in ihrem Alltag und das Zu-Bett-geh-Ritual möchte sie nicht mehr missen. Sie wägt gut ab, was ihr guttut und was sie nicht mehr braucht in ihrem Leben.
Im Nachhinein ist sie sogar dankbar, dass die Schlaflosigkeit sie zu einem bewussteren Leben geführt hat. «Wir haben immer die Wahl: Blicken wir auf den Schmerz, den Frust, die schlaflosen Nächte zurück? Oder auf die Stärke, die wir gewonnen haben?» Sie ist dankbar für die Fähigkeiten, die sie gewonnen hat: «Ich weiss, dass ich auch im Chaos der Gefühle wachsen kann.»
Sonja Hadorn erlebt heute ihre Tage bewusster. Sie weiss, dass das Leben endlich ist und es jeden Moment nur einmal gibt. «Eine Kuh zu streicheln, und das nicht nur im Vorübergehen, muss einfach immer drin liegen.»