AboAnalyseMit Vorsicht geniessen gilt auch in der SchwangerschaftMontag, 21. August 2023«Ein Kind ist ein Wunder», hört man öfters. Daran ist etwas Wahres: «Es muss alles perfekt laufen, dass ein gesundes Kind zur Welt kommt», sagt Gynäkologin und Bio-Landwirtin Esther Müller.

Nebst den vielen Vorteilen, die ein Landleben mit sich bringt, lauern auf einem Bauernhof auch einige Gefahren für schwangere Frauen und das ungeborene Kind: «Vielen Frauen ist zum Beispiel nicht bewusst, dass sich Zoonosen von Tieren auf Menschen übertragen können.» Die Rede ist von Krankheiten wie Toxoplasmose, Hepatitis E, Q-Fieber, Listeriose, Chlamydiose und Brucellose.

Toxoplasmose kann Ungeborene schädigen

Die Infektionskrankheit Toxoplasmose wird von einem mikroskopisch kleinen Parasiten namensverursacht wird. Endwirt ist die Katze, in deren Darm er sich vermehrt. Vorstadien des Parasiten werden mit dem Katzenkot ausgeschieden und gelangen über Tierfutter in andere Tiere, wo sie sich weiter vermehren. Menschen stecken sich vor allem durch den Verzehr von rohem oder ungenügend gekochtem Fleisch (auch Geflügel) an.

Die Infektion verläuft bei Menschen mit intaktem Immunsystem harmlos. Wenn eine Frau während der Schwangerschaft erstmals angesteckt wird, kann die Infektion auf das ungeborene Kind übertragen werden. «Beim Ungeborenen kann es zu Hirn-, Herz- und Augenschäden oder zu Wachstumsverzögerungen kommen», erklärt Esther Müller. Eine Infektion wird mit speziellen Antibiotika behandelt.

Toxoplasma gondii ist weltweit verbreitet. Infektionen sind in der Schweiz häufig. Die Krankheit ist in der Schweiz nicht meldepflichtig. Wesentlich ist, eine Erstinfektion in der Schwangerschaft zu verhindern. Zur Sicherheit sollten schwangere Frauen konsequent auf den Genuss von rohem oder ungenügend gekochtem bzw. gebratenem Fleisch (inklusive Geflügel) verzichten. Ebenso sollten Hände und Küchengeräte nach der Verarbeitung von rohem Fleisch stets gründlich gewaschen werden. Bei Katzenhalterinnen ist eine besonders gute Handhygiene wichtig.

Stallarbeit

Zur Person: Esther Müller

[IMG 3]

Die Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe praktiziert in Biberist SO. Daneben bewirtschaftet die Landwirtin mit ihrem Lebenspartner einen Bio-Bergbetrieb in Ramiswil SO.

Vorsichtig sein sollten Landwirtinnen und Bäuerinnen deshalb im Stall. «Diese sollten sie idealerweise mit Handschuhen erledigen und sich von kranken Tieren fernhalten. Kommt es bei einem Tier zu einem Abort, darf die Frau diesen unter keinen Umständen berühren und bleibt dem Stall besser fern, bis die Ursache abgeklärt ist», erklärt Müller.

Verwirft ein Tier, sollte die Bäuerin ausserdem ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen darüber informieren. «Ich habe das Gefühl, für diese Thematik ist man in der Landwirtschaft noch nicht ausreichend sensibilisiert. Bauern aus meinem Umfeld sagen, wenn ein Tier stirbt, gerne: ‹Das isch halt buuret›. Aber dass das Tier vielleicht an etwas erkrankt ist, dass sich auch auf den Menschen übertragen kann, ist vielen nicht bewusst.»

Kinderwunsch

«Frauen, die schwanger werden möchten, sollten im Stall bezüglich Zoonosen auch Vorsicht walten lassen.» Und bezüglich Fruchtbarkeit rät die Expertin beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und Düngern zu den nötigen Schutzmassnahmen, auch den Männern. «Bitte kein Ausbringen ohne Handschuhe und Mundschutz.»

Pflanzenschutzmittel etwa besetzen Hormonrezeptoren, bei Frauen wie Männern. «Es gibt in der Landwirtschaft immer wieder grosse, gestandene Männer im besten Alter mit schlechter Spermienqualität.»

Q-Fieber löst Fehlgeburten aus

Q-Fieber wird durch das Bakterium Coxiella burnetii ausgelöst. Natürliches Reservoir sind Rinder, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen, einige Wildtiere sowie Zecken. Infizierte Tiere zeigen oft keine Symptome, scheiden aber den Erreger über Kot, Urin oder Milch aus. Geburtsprodukte von Nutztieren (z. B. die Plazenta) können hochinfektiös sein. Zur Infektion beim Menschen kommt es durch Einatmen von erregerhaltigem Staub oder durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren. Eine Übertragung durch kontaminierte Produkten oder Lebensmittel (z. B. nicht pasteurisierte Milch) oder – sehr selten – durch den Stich befallener Zecken ist möglich.

Bei vielen Personen löst eine Infektion keine oder lediglich milde, grippale Symptome aus. Bei rund der Hälfte der Fälle beginnt die Krankheit zwei bis drei Wochen nach der Ansteckung mit Fieber, Schüttelfrost, Schweissausbrüchen, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen. Trockener Husten und Brustschmerzen sind möglich. Bei einigen Erkrankten können sich Herz-, Lungen- oder Leberentzündungen entwickeln. Gross ist die Gefahr für Schwangere: Bei ihnen besiedeln die Coxiellen bevorzugt die Plazenta und können das ungeborene Kind schädigen. Eine Studie ergab, dass von 23 infizierten Schwangeren nur fünf ein gesundes Kind zur Welt brachten (Steiner, 1998). Alle anderen erlitten Früh- oder Totgeburten.

Q-Fieber wird üblicherweise mit Antibiotika über zwei Wochen behandelt. Das Bakterium kommt praktisch weltweit vor. In der Schweiz ist die Krankheit seit November 2012 wieder meldepflichtig. Jährlich werden rund 40 bis 60 Fälle gemeldet.

Es ist zentral, Infektionen bei Nutztieren rechtzeitig zu erkennen. Im Artikel 120 der Tierseuchenverordnung steht: «Der Tierhalter meldet jeden Abort von Tieren der Rindergattung, die drei Monate oder mehr trächtig waren, sowie jedes Verwerfen von Tieren der Schaf-, Ziegen-, und Schweinegattung einem Tierarzt.Der Tierarzt muss eine Untersuchung durchführen, wenn sich ein Abort in einem Händlerstall oder während der Sömmerung ereignet hat und wenn in einem Klauentierbestand mehr als ein Tier innert vier Monaten verworfen hat.»

Ernährung

Hier gibt es einiges zu beachten, etwa wegen Listeriose und Toxoplasmose. «Schwangere sollten keine Rohmilch trinken oder keine nicht pasteurisierten Lebensmittel zu sich nehmen», betont Esther Müller. Weiter gilt es, Gemüse gut zu waschen, auch aus dem eigenen Biogarten, und Fleisch gut durchzubraten. Man könne sich den Spruch «cook it, peel it or forget it» (deutsch: «koche es, schäle es oder vergiss es») zu Herzen nehmen. «Wichtig sind einfach eine gute Hygiene und eine gewisse Achtsamkeit.»

[IMG 2]

Körperliche Arbeit

Laut Mutterschutzverordnung (MuSchV) sollten schwangere Frauen in den ersten sechs Monaten regelmässig nicht mehr als 5 Kilo und gelegentlich nicht mehr als 10 Kilo heben. Ab dem siebten Schwangerschaftsmonat sind es dann nur noch 5 Kilo. «5 Kilo sind natürlich schnell erreicht. Mir ist bewusst, dass das fast nicht machbar ist. Bäuerin ist natürlich ein körperlich extrem anstrengender Beruf», sagt Esther Müller.

«Ich appelliere immer an den gesunden Menschenverstand. Sobald Warnzeichen auftreten, soll man kürzertreten.» Solche können sein: Beinschmerzen, geschwollene Beine, Druck, Ziehen im Bauch, Kontraktionen, allgemeines Unwohlsein, dass sich das ungeborene Kind heftig wehrt. «Eine Frau ist vielleicht ein- bis dreimal in ihrem Leben schwanger. Das ist eine so kurze Zeit auf ein ganzes Arbeitsleben. Deshalb sollte sie den Mut haben, sich in diesen Monaten genug Ruhe zu gönnen. Sie kann vorher und nachher wieder viel arbeiten.»

Sich Ruhe gönnen

Eigentlich wären Schwangere, das ungeborene Kind sowie Stillende in der Schweiz arbeitsrechtlich sehr gut geschützt. «Das wissen einfach viele nicht. Und mir ist bewusst, dass es gerade selbstständig erwerbenden Frauen – und dazu gehören Bäuerinnen – nicht einfach fällt, kürzer zu treten.» Aber es gebe immer eine Möglichkeit, entweder könne der Mann etwas übernehmen oder man suche sich eine andere Hilfe, z. B. Eltern, Verwandte, Freund(innen). «Frauen sollten den Mut haben zu sagen, ‹ich brauche Ruhe›. Das hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit Stärke und Weitsicht.»

Nach der Geburt

Es gilt ein Arbeitsverbot von acht Wochen. «Es macht Sinn, dieses einzuhalten, denn das Gewebe ist von Schwangerschaft, Geburt und den Hormonen aufgelockert. Eine genug lange Pause ist auch eine Investition ins spätere Frauenleben», sagt Esther Müller mit Blick auf Beckenboden und Bauchmuskeln.