Wohin mit all den Unterlagen? Auf den Müll damit oder behalten? Das ist ein Thema für alle Organisationen, vom Dorfverein bis zum gesamtschweizerischen Verband. «In der eigenen Gegenwart erkennt man oft nicht, was künftig einmal interessant werden könnte», weiss Historikerin Simona Isler. Gemeinsam mit Lina Gafner leitet sie seit dem 1. August die Gosteli-Stiftung im bernischen Worblaufen.

Dank der Gosteli-Stiftung und dem Archiv für Agrargeschichte (AFA) in Bern blieb viel Material aus den Anfängen der Bäuerinnen- und Landfrauenorganisationen erhalten. Beide Archive feiern dieses Jahr ein Jubiläum: Die Gosteli-Stiftung gibt es seit 40 Jahren, das AFA seit 20 Jahren.

Forschen und archivieren

Initiant des Archivs für Agrargeschichte ist Historiker Peter Moser, der es seit der Gründung auch leitet. Das AFA ist in den Bereichen Forschung, Archivierung und Wissensvermittlung tätig. Seit der Gründung besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Gosteli-Archiv.

Beide Institutionen sind aus ähnlichen Gründen entstanden: Die Industriegesellschaft tat sich mit der bäuerlichen Landwirtschaft ähnlich schwer wie mit der Frauenbewegung. Daher hatten die staatlichen Archive die Quellensicherung im Agrar- und Frauenbereich lange Zeit völlig vernachlässigt.

Engagement für die Frauenbewegung

Das war auch Marthe Gosteli bewusst, der Gründerin der gleichnamigen Stiftung. Sie wurde 1917 als Bauerntochter in Worblaufen geboren. Ab den 1960er-Jahren widmete sie einen grossen Teil ihrer Zeit dem Engagement für die Frauenbewegung. Sie wusste daher, dass die grossen Frauenverbände sowie die Pionierinnen der Frauenbewegung zwar über umfangreiches Archivmaterial verfügten. Doch es zeigte sich, dass wichtige Archivalien stark verstreut, schwer zugänglich und nicht geordnet waren.

Daher begann die damals 65-jährige Marthe Gosteli 1982 damit, Dokumente der Schweizer Frauenbewegung zu sammeln und in ihrem Elternhaus in Worblaufen zu archivieren. Inzwischen umfasst das Archiv rund 400 Bestände.

Archiv für Agrargeschichte: www.histoirerurale.ch
Gosteli-Stiftung: www.gosteli-foundation.ch

Die Dokumente von Vereinen

«Viele Frauenvereine liefern erst bei ihrer Auflösung ihre Unterlagen bei uns ab», sagt Simona Isler. «Andere übergeben uns ihre Unterlagen regelmässig zum Archivieren.» Die Stiftung übernimmt bis heute neue Nachlieferungen von Organisationen, die ihre Unterlagen bereits im Archiv haben. Bei neuen Anfragen prüft sie, ob die Materialien passen würden.

Treffen die Unterlagen dann ein, werden sie geordnet und in säurefreie Mappen und Schachteln verpackt, in Online-Datenbanken katalogisiert und für die Nutzung zur Verfügung gestellt.

Keine Vorauswahl treffen

[IMG 2]Also soll jeder Verein grundsätzlich alle Unterlagen für die Nachwelt erhalten? «Ja unbedingt», betont Peter Moser. «Auf keinen Fall sollte man selbst mit ‹vorsortieren› beginnen.» Er rät, dass Organisationen ohne Scheu Kontakt mit dem AFA aufnehmen, damit man zusammen die relevanten Fragen klären könne. «Wir sind dabei flexibel und unkompliziert.»

Auf Anfrage berät auch die Gosteli-Stifung die Vereine, welche Akten archivwürdig sind. Buchhaltungsbelege gehören genauso wenig dazu wie CDs oder Unterlagen auf Recyclingpapier. Protokolle, Statuten, Jahresberichte oder Fotos hingegen schon.

Es sei wichtig, keine thematische Vorauswahl zu treffen, betont auch Simona Isler. Es gehe darum, auch bei künftigen Generationen Verständnis zu vermitteln und Quellenmaterial erhalten. «Es gibt schon viele interessante Publikationen und es ist wichtig, dass weiterhin über die Frauen und die Frauenbewegung geforscht wird.»

Vier Online-Portale

Dieser Ansicht ist auch der Bund, der das Archiv im Jahr 2020 als Forschungseinrichtung von nationaler Bedeutung einstufte. Die Gosteli-Stiftung erhält nun finanzielle Beiträge von Bund und Kanton Bern, die ihr Fortbestehen sichern. Die Benutzung von Archiv und Bibliothek ist übrigens allen Interessierten nach Voranmeldung unentgeltlich zugänglich.

Beim Archiv für Agrargeschichte sind vier Online-Portale aufgeschaltet: Zwei Portale bieten Zugang zu Fotos von Arbeitstieren und zu Informationen über mehr als 4000 Filme aus ganz Europa. Ein drittes Portal enthält Informationen und Kurzbiografien zu rund 9500 Personen und 500 Insti-tutionen. Das vierte Portal schliesslich enthält die Angaben zu den Archivbeständen von etwa 250 Organisationen und Personen aus dem Agrar- und Ernährungsbereich, die wir erschlossen haben.

Und wie hoch ist der geschätzte Anteil an Frauenorganisationen und Frauen? «Bei den Archivbeständen von Organisationen sind es etwa zehn Prozent», sagt Peter Moser. «Viel grösser ist hingegen der Anteil der Frauen, für die wir einen Eintrag mit teilweise ausführlichen biografischen Angaben im Personenportal gemacht haben. Hier können wir die wichtige Rolle, die Frauen in der Landwirtschaft spielten, besser sichtbar machen als bei den eher männerlastigen Organisationen.»