Eine kalte Bise bläst über die Höhe beim Emmerhof. In der Ferne zeigen sich Eiger, Mönch und Jungfrau. Herausfordernd und schön, so erlebt Doris Stamm auch die Beziehung zu ihren Nutztieren und deren unabdingbarer Schlachtung.

AboGioia Porlezza ist bei der Proviande tätig.Die Landwirtschaft erklärenSchlachtung: Wie sagt man es den Konsumenten?Mittwoch, 22. November 2023 Die meisten Bauern und Bäuerinnen lieben ihre Tiere und achten auf ihr Wohl. Dennoch sind es Nutztiere und nicht Haustiere. Sie werden für ihre Produkte gehalten – Milch, Eier oder Fleisch. Letzteres beinhaltet notgedrungen ihre Schlachtung. 

90 Rinder

Bis zum letzten Frühjahr standen im Stall des Emmerhofs 90 Rinder. Seit Doris und Walter Stamm aus verschiedenen Gründen die Rindermast aufgegeben haben, kann die Bäuerin wieder ruhiger schlafen. Sie wird nicht mehr helfen, Rinder aufzuladen.

«War es am frühen Morgen so weit, dass die Tiere zur Schlachtung abgeholt wurden, war ich sehr traurig, mein Herz pochte schneller als sonst», erzählt die Bäuerin. «Ich sprach dann immer ruhig mit den Tieren und hatte tiefes Mitgefühl mit ihnen. Der Abschied tat immer sehr weh.» Die Nacht darauf schlief sie schlecht.

«Wenn sie gehen, denke ich immer, das mache ich nicht mehr.»

Auch der Abschied von den Legehennen ist für Doris Stamm nicht einfach. 

Das Herz litt mit

Doris Stamm hatte schon immer ein weiches Herz für Tiere. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie auf einem kleinen gemischten Betrieb mit sieben Kühen. Im Alter von zehn Jahren zog sie mit der Familie auf einen neu erbauten Rindermastbetrieb.

Als das Mädchen sah, wie die Tiere gehalten wurden, dachte sie: «Ist das richtig, die Tiere auf diesem kalten Spaltenboden zu halten?» Für ihren Vater war das Stallsystem ein Fortschritt, die Tiere waren nicht mehr angebunden. Ihr Verstand war stolz auf den Vater und den neuen Betrieb. Ihr Herz litt mit den Tieren.

Weniger Tiere in der Box

Diese Zerrissenheit zwischen Herz und Verstand begleitete sie stets in ihrem Leben als Bäuerin. Doris Stamm ist froh darüber, dass auch ihr Mann viel Wert auf das Wohl der Tiere legt. Als sie einen grösseren Stallumbau vornahmen, stellten sie lediglich 12 Tiere in eine Box, welche für 14 vorgesehen war.

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Die Tiere sollten Platz genug haben, damit es ihnen wohl war und sie sauber bleiben würden. Während den täglichen Arbeiten sprach das Ehepaar stets mit den Rindern. Dadurch blieben diese auch ruhig, als sie zur Schlachtung verladen wurden.

«Es gab auch böse Tiere»

Nicht bei jedem Tier war Doris Stamm traurig. «Es gab auch böse Tiere, bei denen war ich froh, wenn sie wegkamen», sagt die Bäuerin. Am liebsten würde sie aber (fast) alle Tiere behalten. «Aber wir können das nicht. Sie würden viel Futter brauchen. Die Menschen würden das alte Fleisch nicht mehr essen wollen. Sterben müssen die Tiere ja so oder so mal.» Solche Gedanken macht sich die Tierpflegerin, wie sie sich selbst nennt, nachts, wenn sie nicht schlafen kann.

«Wir sind Lebensmittelproduzenten»

Doris Stamm ist klar: «Wir sind Lebensmittelproduzenten.» Als Mäster erbringen sie mehrere Dienstleistungen. Sie übernehmen die Kälber, welche nicht für die Aufzucht verwendet werden, von Milchbauern. Die Tierhaltung gehört zum natürlichen Kreislauf auf dem Bauernhof. Sie liefert Mist als Dünger für die Wiesen. Diese dienen der Fütterung der Tiere, ihr Anblick soll aber auch die Bevölkerung erfreuen.

Die Tiere der Familie Stamm werden als Individuen wertgeschätzt: «Es ist unsere Pflicht, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden.» Sie haben einen kurzen Weg in das Schlachthaus – und der Tod geht schnell. Seit Doris Stamm selbst mal bei der Schlachtung zugeschaut hat, tröstet sie diese Tatsache.

Rinder weg, Hühner bleiben

Die Rinder sind nun weg. So ganz ohne Tiere möchte Doris Stamm aber nicht leben. 170 Legehennen beleben den Emmerhof. Das Federvieh bewohnt einen geräumigen und sauberen Stall neben einer grossen Wiese unter Obstbäumen. Doris Stamm hält ihre Hühner länger, als es durchschnittlich normal ist. «Ich habe es mit den Hühnern eins zu eins wie mit den Rindern», sagt die Tierpflegerin. «Wenn sie gehen, denke ich immer, das mache ich nicht mehr.»

Unter den grau melierten Hühnern läuft ein braunes mit, es heisst Suseli. «Das ist mein Huhn, das gebe ich nie weg», sagt Doris Stamm dezidiert. Am meisten freut es sie, wenn ihre Hühner noch einen Platz bei Privaten finden.

Bewusst Fleisch essen

Doris Stamm isst zwar Fleisch, aber eher wenig: «Ich esse es mit der Achtung, dass das Tier für mich lebte, und dem Wissen, dass viel Arbeit dahintersteckt, bis ein Stück Fleisch auf dem Tisch ist.»

Billiges Fleisch ist für die Schaffhauserin eine Schande. Sie glaubt nicht, dass es Tiere in einem billig produzierenden Stall gut haben können. Vor einigen Jahren sei die Devise noch gewesen, möglichst viel Fleisch möglichst günstig zu produzieren. Das Tierwohl sei nicht so hoch bewertet worden. Dieses Bewusstsein habe sich zum Glück in der letzten Zeit verändert.