Die Statistik zeigt es deutlich: In der Milchproduktion und der Kälbermast werden die meisten Antibiotikabehandlungen im Nutztierbereich durchgeführt. Und obschon der Verbrauch in der Nutztierhaltung innert rund zehn Jahren halbiert werden konnte, sind laut Bund noch weitere Anstrengungen nötig.
Daten übersichtlich präsentiert
Seit 2021 steht Tierhaltenden in der Schweiz die Plattform Abidat (Agate) zur Verfügung. Sie ermöglicht eine detaillierte Übersicht über den Antibiotikaverbrauch auf dem eigenen Betrieb. Die Daten stammen aus dem Informationssystem Antibiotikaverbrauch in der Veterinärmedizin (IS ABV) und werden in Abidat als Tabellen und Übersichtsgrafiken aufbereitet.
Diese Tranparenz erlaubt es Nutztierhaltenden, ihre eigenen Aufzeichnungen mit den Daten aus IS ABV abzugleichen und bei Unstimmigkeiten mit ihrer Tierärztin oder ihrem Tierarzt Rücksprache zu halten. Dies soll die Datenqualität und die Selbstkontrolle der Betriebe fördern und ist eine zentrale Massnahme der Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR).
Neue Funktion schafft neue Möglichkeiten
Anfang dieser Woche ist Abidat um ein neues Werkzeug erweitert worden: den Benchmark für Rinder. Mit diesem können Tierhaltende ihren Antibiotikaverbrauch mit demjenigen anderer Betriebe derselben Nutztierkategorie vergleichen. Zudem erhalten sie einen Überblick über die Entwicklung ihres Verbrauchs über mehrere Jahre. «Das ist vor allem für Tierhaltende interessant, die in den letzten Jahren bereits Anstrengungen unternommen haben, den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren», erklärt Dagmar Heim vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) im Gespräch mit der BauernZeitung.
Aktuell dient der Benchmark primär der Information und Sensibilisierung der Tierhaltenden. Durch die Vergleichsmöglichkeiten soll das Bewusstsein für den Antibiotikaverbrauch geschärft und eine nachhaltige Nutzung gefördert werden. Erste Erfahrungen mit Abidat würden zeigen, dass vor allem Tierhaltende die Plattform nutzen, die ein besonderes Interesse an der Reduktion des Antibiotikaeinsatzes haben, so Heim. Mit den neuen Vergleichsdaten wird die Reichweite des Systems jedoch erweitert.
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Benchmark ist mittlerweile EU-Pflicht
Dänemark war das erste Land, das ein Benchmark-System für die Schweinemast eingeführt hat – mit Erfolg, wie Dagmar Heim erklärt. In den vergangenen Jahren hätten immer mehr Länder ähnliche Systeme implementiert, um den Antibiotikaverbrauch in der Nutztierhaltung zu senken. Allerdings zeige die Erfahrung, dass die Reduktion nicht allein auf das Benchmarking zurückzuführen ist, sondern auf eine Kombination verschiedener Massnahmen und unterstützender Instrumente.
Alle EU-Länder sind mittlerweile verpflichtet, ein Benchmark-System für Nutz- und Heimtiere einzuführen.
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Einfach erklärt
Der Tierbehandlungsindex (TBI) zeigt, wie viele Tage ein Tier im Durchschnitt mit Antibiotika behandelt wurde. Er hilft, den Antibiotikaeinsatz auf einem Betrieb mit anderen Betrieben zu vergleichen. Hier wird zwischen TBI und TBI krit. unterschieden. Der zweite Wert steht für den Einsatz von kritischem Antibiotikum.
Hoher Verbrauch: Der Signalwert (orange Linie) stellt die Grenze zwischen normalem und hohem Antibiotikaverbrauch dar (oberste 25 % der Betriebe). Der Signalwert liegt also dort, wo 75 % der Betriebe weniger verbrauchen.
Sehr hoher Verbrauch: Der Aktionswert (rote Linie) stellt die Grenze zwischen hohem und sehr hohem Verbrauch dar (oberste 5 %). Der Aktionswert liegt demnach dort, wo 95 % der Betriebe weniger verbrauchen.
Die Werte basieren auf den Verbrauchsdaten aller Schweizer Betriebe dieser Nutztierkategorie.
Nachgefragt bei Dagmar Heim
Was verspricht sich das BLV von der Einführung dieser Vergleichswerte?
Die Vergleichsdaten mehrerer Jahre ermöglichen es allen Beteiligten, sich mit dem betriebsspezifischen Antibiotikaverbrauch vertraut zu machen. So können Trends abgelesen und gegebenenfalls, auf freiwilliger Basis, in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt oder der Tierärztin Behandlungsroutinen hinterfragt und Massnahmen zur Reduktion des Antibiotikaverbrauchs ergriffen werden. Gerade zu Beginn ist es auch wichtig, dass eventuelle Fehleingaben erkannt und durch den Tierarzt oder die Tierärztin korrigiert werden können. Durch die Information «Wo stehe ich im Vergleich zu anderen» erwarten wir eine Sensibilisierung der Tierhaltenden und gegebenenfalls freiwillig Massnahmen zur Reduktion des Antibiotikaverbrauchs.
Was passiert, wenn ein Betrieb über dem Signalwert liegt? Hat das direkte Konsequenzen?
Liegt der eigene Betrieb über dem Signalwert, so weiss der oder die Tierhaltende, dass auf dem eigenen Betrieb ein erhöhter Antibiotikaverbrauch verzeichnet wird. Auf freiwilliger Basis können die Tierhalter in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt Behandlungsroutinen hinterfragen und Massnahmen zur Reduktion des Antibiotikaverbrauchs ergreifen. Im Rahmen der Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) bleibt das Ziel bestehen: «So wenig wie möglich, so viel wie nötig» an Antibiotika und insbesondere kritischen Antibiotika einzusetzen.
Und wenn der Aktionswert überschritten wird – welche Massnahmen sind dann vorgesehen?
Aktuell gleich wie beim Signalwert. Hier wird jedoch dringend empfohlen, mit dem Tierarzt oder der Tierärztin die Ursachen zu besprechen und einen Massnahmenplan festzulegen.
Als Tierhalter setze ich nicht selbst Antibiotika ein, sondern nur in Absprache mit dem Tierarzt. Wie werden Tierärzte in Abidat einbezogen?
Abidat ist eine Antibiotikadatenbank für Tierhaltende. Sie haben mit Abidat Zugang zu den Daten der Antibiotikaverschreibungen für Nutztiere auf ihrem Betrieb. Die Verschreibungen werden von Tierärztinnen und Tierärzten im IS ABV erfasst. Die Daten aus dem IS ABV stehen den Tierhaltenden in Abidat als detaillierte Tabellen und Übersichtsgrafiken zur Verfügung. Die Nutztierhaltenden können in ihrem eigenen Profil respektive Betrieb überprüfen, ob ihre Daten aus IS ABV mit ihren eigenen Aufzeichnungen übereinstimmen und allfällige Differenzen direkt mit ihrem Tierarzt oder ihrer Tierärztin klären. Es ist sinnvoll, dass die Tierhaltenden bei erhöhtem TBI die Daten mit dem Tierarzt besprechen und Massnahmen zur Senkung diskutieren. Vergleichsdaten für Tierarztpraxen existieren schon bei Praxen, die Hunde, Katzen und Pferde behandeln. Für Tierarztpraxen, die Rinder behandeln, ist ein Benchmarking in Planung.
Wie wird ein Tierarzt informiert, wenn einer seiner Betriebe über dem Signal- oder Aktionswert liegt?
Durch die Tierhaltenden – also auf freiwilliger Basis.
Gibt es eine Möglichkeit für Tierärzte, direkt in Abidat Einsicht zu nehmen oder sich zu Betrieben zu äussern?
Nein.
Wie wird sichergestellt, dass Landwirte nicht allein die Verantwortung für hohe Werte tragen, wenn Antibiotikaverschreibungen immer in Absprache mit Tierärzten erfolgen?
Es ist eine gemeinsame Verantwortung. Tierärzte entscheiden basierend auf der Diagnose, ob die Behandlung ein Antibiotikum erfordert, wählen das richtige Antibiotikum aus und beraten die Tierhaltenden. Diese befolgen die Anweisungen des Tierarztes. Die Tierhaltenden können mit präventiven Massnahmen wie Biosicherheit, Impfungen und Weiterem dazu beitragen, dass die Tiere gesünder sind, und es somit zu weniger Antibiotikaeinsatz kommt.
Gibt es regionale Unterschiede beim Antibiotikaeinsatz?
Dazu gibt es aktuell keine Auswertungen.
Ist geplant, das Benchmarking langfristig öffentlich zugänglich zu machen, oder bleibt es nur für die jeweiligen Betriebe einsehbar?
Nein, Abidat ist für Tierhaltende gedacht. Von Vorteil ist, wenn Tierhaltende die Tierärzte hinzuziehen und die Daten mit ihnen besprechen. Der Kantonale Veterinärdienst kann die Abidat-Daten einsehen.
Welche Massnahmen plant das BLV, falls sich zeigt, dass viele Betriebe über den Signal- oder Aktionswerten liegen?
So wie die Schwellenwerte festgelegt sind, ist nicht zu erwarten, dass mehr oder übermässig viele Betriebe über den Werten zu liegen kommen.
Wie wird Abidat weiterentwickelt?
Aktuell sind bei den Nutztierkategorien «Geflügel» und «Rinder» die Daten aus den Vergleichsjahren 2021 bis 2023 einsehbar. Als nächster Schritt ist vorgesehen, für beide Benchmarks die Daten aus dem Jahr 2024 zu ergänzen. Weitere Benchmark-Nutztierkategorien sind derzeit in Abklärung.
Zur Person
Dagmar Heim ist Leiterin Fachbereich Tierhaltung beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV.