«Als die Blauzungenkrankheit auf meinem Betrieb ausbrach, fühlte ich mich von den zuständigen Behörden alleingelassen. Ich habe versucht, mich über verschiedene Anlaufstellen zu informieren, doch vergebens», erzählt mir ein Landwirt am Telefon. Nicht nur ihm ist es so ergangen. Bei nahezu jedem Gespräch mit einem Bauern über die Blauzungenkrankheit (BTV) wird für uns Redaktoren die Enttäuschung der Landwirte über die Behörden spürbar. Und auch ich als Redaktorin hatte während meiner Recherchen mit der gleichen Hilflosigkeit zu kämpfen.
Während die Seuche in der Schweiz immer mehr Rinder und Schafe befallen hatte, wurde die Unterschätzung der Lage durch die Behörden spürbar. Dabei würde man meinen, der Ausbruch der Seuche 2023 in Deutschland hätte der Schweiz genügend Vorlaufzeit gegeben. Noch Ende Mai 2024 erklärte Michèle Bodmer, Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung für Wiederkäuergesundheit (SVW), in der BauernZeitung, dass das Risiko, dass das Virus in die Schweiz kommt, klar vorhanden sei.
Ein flächendeckender Befall droht
Mit den kühleren Temperaturen zogen sich die Überträgermücken für einen Winterschlaf in die Ställe zurück – eine kurze Verschnaufpause für die Tierhalter. Doch mit den höheren Temperaturen im Frühling werden sich auch die Mücken zurückmelden. Tritt das Szenario, das sich bereits im Herbst angedeutet hat, ein, droht ein flächendeckender Befall der ganzen Schweiz. Anders als beim Ausbruch im vergangenen Jahr steht nun eine Impfung zur Verfügung. Behörden und Verbände sprechen sich klar für diese Impfung aus. Aufseiten der Landwirte sind Unsicherheiten spürbar.
«Ob ich meine Tiere impfen werde, weiss ich nicht. Lange war es ruhig um einen Impfstoff und jetzt plötzlich ist er hier und alle schreien, man soll unbedingt impfen», erklärt mir der Tierhalter weiter. Mitten im Seuchengeschehen fühlten sich die Landwirte mit ihren Tieren alleingelassen. Euterentzündungen, Milchrückgang, lahmende Tiere aufgrund von entzündeten Klauensäumen und Aborte gehören zu den häufigen Symptomen erkrankter Tiere. Besonders Schafe, aber auch Rinder, litten so stark unter dem Virus, dass zahlreiche eingeschläfert werden mussten. Vonseiten der Behörden wurde nur wenig kommuniziert, verwiesen wurde auf eine zuletzt im Jahr 2008 überarbeitete technische Weisung. Während sich betroffene Betriebe zeitintensiv um ihre erkrankten Tiere kümmerten und noch verschonte Betriebe hofften, nicht bald auch betroffen zu sein, informierten Behörden über die endgültige Ausrottung von BVD (Bovine Virus-Diarrhoe). Die Fragen der Landwirte zur Blauzungenkrankheit blieben aussen vor und das Vertrauen in die Behörden schrumpfte weiter.
Vertrauen wäre umso wichtiger
Auch die beim letzten grossen BTV-Ausbruch durchgeführte Impfkampagne von 2008 bis 2010 dürfte noch vielen aus der «mittleren» und älteren Generation in Erinnerung sein. Damals wurde über unerwünschte Nebenwirkungen wie Euterentzündungen, Aborte, Festliegen, Appetitverlust und sinkende Milchleistung geklagt. Ein Zusammenhang zwischen den beklagten Problemen und der Impfung konnte kaum festgestellt werden. Dennoch dürfte sie bei den Landwirten in Kombination mit der fehlenden Unterstützung während des letztjährigen Seuchenausbruchs nicht unbedingt Vertrauen für die Ratschläge der Behörden geschaffen haben. Doch genau dieses Vertrauen wäre umso wichtiger.
Nur wenige Landwirte, deren Betriebe bereits von der Blauzungenkrankheit betroffen waren, möchten öffentlich in der Zeitung darüber berichten. Obschon ein Befall mit BTV in keinem negativen Zusammenhang mit der Haltung oder dem Management auf dem Betrieb steht, spürt man in nicht wenigen Gesprächen eine Scham dafür. Vielen ging die Seuche auch emotional sehr nahe. «Ich habe ein Rind, in dem ich Potenzial zur Nachzucht gesehen habe, aufgrund der Seuche verloren», erzählt mir der Landwirt. Ich spüre durch den Hörer, wie es ihm am anderen Ende der Leitung schwerfällt, die Worte über seine Lippen zu bringen. Die Trauer in seinen Worten löst auch in mir Traurigkeit und Mitgefühl aus.
Die Seuche hat auch einen emotionalen Einfluss
Es sind nicht nur die finanziellen Einbussen aufgrund der vermehrten Aborte und die nach oben steigenden Zuchtviehpreise durch die höheren Tierverluste, die die Landwirte beschäftigen. Die Seuche hat auch einen emotionalen Einfluss. Unsere kleinen, familiär geprägten Betriebe ermöglichen eine enge Verbundenheit mit den Tieren. Jede Kuh trägt ihren eigenen Namen und wird an ihrem Charakter erkannt. Die psychische Belastung, wenn Tiere, die oft wie Familienmitglieder behandelt werden, leiden oder sogar getötet werden müssen, ist enorm. «Ich weiss bis heute nicht, wie viel und wann ich für mein verstorbenes Tier entschädigt werde», schildert mir der Landwirt weiter. Eine Entschädigung ist zwar nur ein kleiner Trost, doch zumindest ist es ein Zeichen von Mitgefühl. Erhält man diese erst Monate später, wird statt Wertschätzung oft nur noch Ärger gegenüber den Verantwortlichen empfunden.