Adam Melnik, 64 Jahre alt, ist Bauer im Dorf Zeleniy Guy in der Region Mykolaiv, rund 9 Kilometer östlich von Mykolaiv.

Iurii Mykhailov: Adam, wie sind Sie Bauer geworden?

Adam Melnik: Ich begann vor 30 Jahren mit der Landwirtschaft. Als in den 1990ern die Kolchosen zusammen brachen hatte ich die Möglichkeit, ihre Felder zu bestellen und Getreide anzubauen. Aber mein Partner, ein Flüchtling aus dem Balkan, ein exzellenter Agronom und Gemüsebauer, überzeugte mich, Gemüse anzubauen.

Seit Mitte der 1990er-Jahre entstanden in der Ukraine Supermärkte, die die Kunden das ganze Jahr über mit Gemüse versorgen wollten. Wir nutzten die Tatsache, dass damals Banken Immobilien verkauften, die von Kollektivfarmen für Kredite verpfändet wurden und nicht zurückgezahlt werden konnten. Wir kauften in Raten eines dieser Gemüselager. Gleichzeitig überzeugte mich mein Geschäftspartner, auch ein kleines Café zu bauen, das in Mykolaiv erhalten blieb und bis heute in Betrieb ist.

Welche Gemüse haben Sie angebaut?

Vor dem Krieg bauten wir Zwiebeln, Karotten, Rüben und Kohl auf 150 Hektar Land an. Wir bauten auch Pflanzkartoffeln für ein wissenschaftliches Institut in der Nähe von Kyiv und Mais und Gründünger auf weiteren 150 Hektaren an. Wir verkauften einen Teil des geernteten Gemüses sofort, anderes wurde eingelagert. Wir verarbeiteten zudem in unserer eigenen Konservenfabrik die Ernte zu Gemüsekonserven. Wir stellten Tomaten in Glasgläsern von 1,8 Litern und Karottensaft in Glasgläsern von 1 Liter her. Wir verkauften unsere Säfte sogar in den USA, Kanada und Deutschland.

«Die Konservenfabrik ist unversehrt, aber nicht mehr in Betrieb – denn wir haben keine Rohstoffe mehr.»

Adam Melnik

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Hat Ihr Unternehmen unter der russischen Invasion gelitten?

Einige Tage nach Kriegsbeginn wurden unsere Felder von den Russen und der ukrainischen Armee bombardiert. Alle Zwiebeln, die wir gesät hatten, wurden vernichtet. Für kurze Zeit gerieten wir unter russische Besatzung. Unsere grössten Verluste im Krieg sind die verlorenen Abnehmer unserer Produkte und die Facharbeiter.

Wie erging es den Mitarbeitern?

Im Allgemeinen arbeiteten etwa tausend Menschen im gesamten Betrieb. Am 23. Februar arbeiteten alle unsere Arbeiter und schon am 24. Februar 2022, als die Invasion der russischen Truppen begann, ging niemand mehr zur Arbeit. Viele Menschen wurden in die Westukraine und ins Ausland evakuiert, hauptsächlich Frauen mit minderjährigen Kindern. Jetzt haben wir noch etwa ein Dutzend Angestellte. Wir müssten erfahrene Arbeitnehmer zurückbringen, aber im Moment ist das sehr schwierig.

Haben die Russen Ihre Farm beschädigt?

Gewächshäuser, eine Werkstatt, eine Garage für Maschinen, Häuser, Tomaten- und Kartoffelerntemaschinen, Traktoren und Pflanzkübel wurden durch Bombenangriffe und Beschuss zerstört. Die Russen beschädigten absichtlich eine 700 Meter lange Wasserleitung zur Bewässerung von Gemüse, indem sie mit Panzern darüberfuhren. Glücklicherweise blieben die Gewächshäuser und die Konservenfabrik fast unversehrt. Aber jetzt ist die Konservenfabrik nicht mehr in Betrieb, weil wir keine Rohstoffe für die Verarbeitung haben. Die Russen nahmen an Plünderungen teil. Sie stahlen beispielsweise Bewässerungspumpen und durchtrennten Kupferkabel.

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Was werden Sie tun, um Ihr Geschäft wieder herzustellen?

Nach dem Rückzug der Russen im April letzten Jahres beschlossen wir, die Felder zu entminen. Aber unser Militär erlaubte uns nicht, die Minenräumung selbst durchzuführen. Während dieser Zeit waren die Felder mit Unkraut überwuchert. Erst jetzt sind die Felder entmint, aber die Zeit für die Aussaat von Gemüse ist längst vorbei. Daher bereiten wir uns gerade darauf vor, Tomaten und Karotten zu pflanzen. Aber zuerst müssen wir das Unkraut entfernen, das in dieser Zeit gewachsen ist. Wir werden dieses Jahr nur 30 Hektar Land bepflanzen können.

Wie sieht es mit dem Absatz aus?

Während wir vor dem Krieg tausende Tonnen Gemüse an Supermärkte wie Metro Cash&Carry verkauften, weigern sich die Märkte nun, mit uns zusammenzuarbeiten, weil wir die benötigte Menge an Gemüse nicht liefern können. Bis zu einem gewissen Grad hat sich die finanzielle Situation durch den Betrieb unseres Cafés entspannt, obwohl die Menge an Gemüse, die wir dort verkaufen, nur etwa ein Prozent dessen ausmacht, was wir früher an Supermärkte verkauft haben. Ich sehe den einzigen Ausweg darin, mit anderen Landwirten zusammenzuarbeiten, damit ich mich irgendwie mit Ausrüstungen und Arbeitskräften versorgen kann. Mein 30 Jahre altes Geschäft wurde durch die Invasion in einem Augenblick zerstört.

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Das sagt Agrarjournalist Iurii Mykhaylov zu seiner Arbeit

«Anfang Juni hatte ich die Idee, mehrere ukrainische Bauern zu interviewen, die von der russischen Invasion in der Ukraine betroffen waren. Meine Frau mochte die Idee von Anfang an nicht und argumentierte, dass es extrem gefährlich sei, Gebiete in der Nähe der Kampfzonen zu besuchen.

Leider tobt der Krieg und es gibt keine sicheren Orte in der Ukraine, wie die russischen Luftangriffe auf die Stadt Lwiw gezeigt haben, die keine hundert Kilometer von Polen entfernt liegt.

Hier muss ich eine Bemerkung zur Sicherheit in Kyiv machen, wo ich wohne. Kyiv ist häufig Raketenangriffen ausgesetzt. Die Inspektion der Schutzbunker hat gezeigt, dass die vorhandenen Schutzbunker höchstens 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner schützen können.

Zum Beispiel ist der sogenannte Bunker, der dem Wohnhaus, in dem ich wohne, am nächsten liegt, eigentlich nur eine unterirdische Strassenkreuzung, 200 Meter entfernt. Dieser hat Bunker keinerlei Annehmlichkeiten wie Sitze, Toilette etc. Die Russen bombardieren Kyiv vor allem nachts, und es ist sehr ermüdend, mehrmals in der Nacht zu diesem Bunker zu laufen und mehrere Stunden darin zu stehen, von allen Seiten zusammengepresst, wie ein Hering im Fass.

Gleichzeitig bietet meine Wohnung mit Betonwänden ungefähr den gleichen Schutz während des Bombenangriffs, es sei denn, es wird direkt die Wand getroffen, was unwahrscheinlich ist. Schliesslich gelang es mir, meine Frau davon zu überzeugen, dass es nicht gefährlicher ist, zu den Bauern zu gehen, als zu Hause zu bleiben.

Um Hilfe bei der Auswahl von Bauern für Interviews zu erhalten, wandte ich mich an die ukrainische Bauerngenossenschaft Agro Connection, die Bauern aus den Regionen Charkiw, Tschernihiv, Cherson und Mykolaiv empfahl.

Eine Reise in die Region Charkiw musste leider ausgeschlossen werden, da die empfohlene Farm nur 5 km von der russischen Grenze entfernt ist, wo auch heute noch aktive Militäroperationen stattfinden und das Gebiet unter ständigem Artilleriebeschuss steht.

Ich musste auch eine Reise in die Region Cherson ausschlagen, wo die Russen einige Tage zuvor den Damm von Kachowka gesprengt hatten und eine Massenevakuierung der Bevölkerung aus den überschwemmten Gebieten durchgeführt wurde. Das Gebiet war durch die Evakuierung der Bewohner, die durch heftigen Beschuss des russischen Militärs erschwert wurde, in Aufruhr geraten. Ein Ausflug in diese Gegend erwies sich als unmöglich.

Daher habe ich mich entschieden, Bauern in den Regionen Mykolaiv (Südukraine) und Tschernihiv (Nordukraine) zu besuchen. Da ich kein Auto habe, musste ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Zu dieser Zeit waren keine Sitzplätze in den Zügen von und nach Mykolaiv (das nur 70 km von Cherson entfernt liegt) verfügbar, so dass ich den Nachtbus nehmen musste.

Die Ukraine bekämpft Invasoren im Land. Russische Saboteure werden daran gehindert, Sabotageakte und Störungsaktionen zu verüben und militärische Ziele für weitere Angriffe zu lokalisieren. Auf dem Weg zu den Bauern an den kritischen Strassenkreuzungen und Stadtgrenzen kontrollierten deshalb Milizen die Ausweise der Reisenden.

Fotografieren ist streng geregelt. Ich habe einen Presseausweis, darf aber keine militärischen Einrichtungen oder Gebiete fotografieren, in denen kürzlich Raketen gelandet sind und Schaden angerichtet haben. Der Grund dafür ist, dass Russland solche Fotos benutzen kann, um die Koordinaten anzupassen, was zu einem erneuten Angriff führen könnte.

Wen jemand mit einer Kamera fotografiert, rufen die Anwohner möglicherweise die Polizei, um eine verdächtige Person zu melden, und man wird möglicherweise in Gewahrsam genommen. Man darf nicht vergessen, dass die Ukrainer mitten im Krieg leben.

Unterwegs, weit weg von den Orten der Auseinandersetzungen zwischen der ukrainischen Armee und den Russen, sah ich zahlreiche Gebäude und Bauten, die durch Raketenangriffe zerstört wurden. Und das Bild der Zerstörung in den Dörfern, in denen Bauern lebten, löste Schock und Tränen aus: Wie konnte so etwas im Zentrum Europas im 21. Jahrhundert passieren?

Die Geschichten aller besuchten Bauern waren in etwa die gleichen: ein friedliches und gut eingespieltes Leben, das nach dem 24. Februar 2022 abrupt unterbrochen wurde.

Die Verluste der Bauern waren entsetzlich. Was nicht durch Beschuss und Bombardierung zerstört wurde, wurde von russischen Soldaten geplündert. Und selbst was die Russen nicht stehlen konnten, haben sie einfach aus Spass vernichtet. Alle Bauern haben auch die extreme Grausamkeit der Russen gegenüber der einheimischen Bevölkerung zur Kenntnis genommen.

Der Schaden, den die russische Armee den Bauern zugefügt hat, ist so gross, dass es viele Jahre dauern wird, bis die Höfe wieder den Zustand vor dem Krieg erreicht haben.»