Ein grosser Plastiksack, voll mit Ordnern. Darin Versicherungspolicen, die aktuelle Steuererklärung und der Buchhaltungsabschluss. Sie: ein höfliches Lächeln. Er: die Arme vor der Brust verschränkt. Das Bauernpaar will es wissen und ist aus eigenem Antrieb hier. Doch entspannt ist anders.

«Das ist am Anfang oft so», weiss Nadia Barmettler. «Die Bauernpaare möchten ihr Gegenüber erst einmal kennenlernen.» Denn hier geht es ans Eingemachte. Sie ist Regionalstellenleiterin bei der Agrisano in Sissach. Das Unternehmen ist auf den landwirtschaftlichen Personen- und Sachversicherungsbereich spezialisiert und bietet im Rahmen der Kampagne «Verantwortung übernehmen» allen Bauernfamilien unverbindliche und kostenlose Gesamtversicherungsberatungen an.

Start mit Entspannung

Um die Atmosphäre zu entspannen, stellt sich Nadia Barmettler erst mal vor. Sie ist selbst ausgebildet Landwirtin, Mutter von vier erwachsenen Kindern und mit einem Bauern verheiratet. Berufsbegleitend bildete sie sich weiter und machte den eidgenössischen Fachausweis als Ver-sicherungsfachfrau.

Die Versicherungsunterlagen, die das Paar mitgebracht hat, sind in vorbildlicher Ordnung. Nadia Barmettler hat im Vorfeld schon ihre AHV-Auszüge bestellt. Während sie die Eckdaten aus den mitgebrachten Versicherungsunterlagen in den Laptop tippt, füllen die beiden ein Datenschutzblatt aus.

Der Betrieb

Zum Hof gehören 35 ha Nutzfläche im Mittelland, Milchwirtschaft mit eigener Aufzucht, total 65 Tiere. Dazu Acker- und Obstbau, Kartoffeln und Direktvermarktung. Ein Vollzeit-Angestellter sowie temporäre Aushilfen je nach Saison. Er: 51, arbeitet Vollzeit auf dem Betrieb. Hat den Hof vor rund 20 Jahren von den Eltern übernommen. Sie: 41, arbeitet als Pflegefachfrau 30 Prozent auswärts bei der Spitex. Sie teilt sich mit ihrem Mann die täglichen Arbeiten in der Direktvermarktung und im Stall. Das Paar ist verheiratet und hat eine 15-jährige Tochter.

«Als Erstes schauen wir uns die Personenversicherungen an. Wie hoch der Bedarf ist und welche Versicherungen vorhanden sind», erklärt Nadia Barmettler und überreicht dem Paar den persönlichen Versicherungsspiegel mit den Angaben zu Krankenkasse, Zusatz– und Risikoversicherungen.

Der Betriebsleiter

Er ist grundsätzlich ausreichend versichert.

Tipp: «Wichtig ist die Taggeldversicherung, diese bezahlt zwei Jahre Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit», erklärt Nadia Barmettler. Muss bei einer Arbeitsunfähigkeit ein Betriebsleiter zu 100 Prozent angestellt werden, kostet dies 210 Franken pro Tag. Je nach Betriebsstrukturen kann diese Schwelle unterschritten werden.

Der Landwirt hat zudem vor einigen Jahren eine Kapitalversicherung infolge Unfall abgeschlossen: bei 100 Prozent Invalidität gibt es 300 000 und im Todesfall 100 000 Franken als einmalige Auszahlung. Die Auszahlung erfolgt gemäss der Gliederskala und ist somit unabhängig des IV-Grades in der 1. Säule. «Da die Versicherung schon besteht, würde ich sie stehen lasse», so Nadia Barmettler.

Tipp: Kapitalversicherungen bei Unfall und Krankheit werden bei der Geburt abgeschlossen. Solch eine Versicherung bei einem Erwachsenen neu abzuschliessen, wäre nur dann ein Thema, wenn der Betriebsleiter aus gesundheitliche Gründen keine Invalidenrente mehr abschliessen könnte.

Nadia Barmettler zeichnet mit einer einfachen Grafik auf, wie hoch die Abstufungen zwischen Taggeldversicherung und IV-Rente sind.

Tipp: Wichtig ist, dass Unfall und Krankheit gleichwertig versichert sind. Nebst der Taggeldversicherung sollte zusätzlich eine Invalidenrente abgeschlossen werden. Denn die IV-Rente aus der 1. Säule ist sehr gering und beträgt zwischen 14 340 und 28 680 Franken.

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Was geschieht im Todesfall?

Wäre denn eine Lebensversicherung angebracht? Nadia Barmettler winkt ab.

Tipp: Lebensversicherungen neu abzuschliessen, lohnt sich in der Landwirtschaft nicht. «Denn es stehen laufend Investitionen an. Oder die Familiensituation verändert sich, es kommen Kinder.» Da ist es besser, flexibel sparen zu können. Dies kann in einer freiwilligen beruflichen Vorsorge sein, Säule 2b, oder bei geringem Sparpotenzial auf einem 3a-Konto bei der Bank. Bestehende Lebensversicherungen aufzulösen, lohnt sich aber nicht. «Der Rückkaufswert ist kleiner als das, was man einbezahlt hat.»

Doch was geschieht, wenn ein Todesfall eintritt? Diese Frage stellt Nadia Barmettler allen Ehepaaren in der Beratung. Wird der Betrieb weitergeführt? Muss dafür ein Betriebsleiter angestellt werden? Müsste der Betrieb verpachtet werden? Wie sieht es dann aus mit der Verschuldung? Nadja Barmettler: «Auch wenn man sich nicht gerne mit dem Thema Tod befasst, muss die Absicherung der Familie gewährleistet sein.»

In diesem Fall hat der Betriebsleiter bereits genügend Todesfallkapital versichert. Nadia Barmettler vergleicht für ihn die Prämien von verschiedenen Versicherungen, vielleicht lohnt sich ein Wechsel. Voraussetzung ist allerdings, dass man gesund ist.

Die Altersvorsorge

Nun rückt die Altersvorsorge in den Fokus. Der Betriebsleiter hat im Jahr 1996 sowohl eine Lebensversicherung in Säule 3a abgeschlossen und auf ein 3a-Konto bei der Bank einbezahlt. Die versicherten Leistungen haben viel Geld gekostet.

Tipp: Der Kapitalbezug von Vorsorgegeldern ist eine Überlegung wert. Der ordentliche Bezug ist fünf Jahre vor dem regulären Pensionsalter möglich. Somit sollte bereits beim Sparen auf mehrere Konten einbezahlt werden, damit ein gestaffelter Bezug möglich ist und so die Steuerpflicht nicht in eine höhere Progression fällt.

Bäuerin und Familie

Da die Bäuerin auswärts arbeitet, ist sie pensionskassenpflichtig. Zudem hat auch sie eine Taggeldversicherung. So erhält sie aus der 2. Säule im Alter zusätzlich Leistungen bei Invalidität, im Todesfall. Nadja Barmettler: «Man muss wissen, dass die 2. Säule die Leistungen bei Invalidität kürzt, weil diese zusammen mit der 1. Säule 90 Prozent des jetzigen Einkommens nicht überschreiten dürfen.» In der freiwilligen Vorsorge Säule 3b hat die Bäuerin zusätzlich eine Invalidenrente mitversichert.

Tipp: Auch die Invalidenversicherung kann man anpassen oder wechseln – solange man gesund ist. Die Risikoleistungen in der Säule 3b abzusichern, ist oft besser geeignet, da sie individuell angepasst werden können.

Bei den Versicherungen der Tochter sieht Nadia Barmettler bei Krankenkasse und den Zusatzversicherungen keinen Änderungsbedarf. Gut ist, dass bereits eine Invalidenversicherung besteht.

Tipp: Jugendliche in Ausbildung erhalten im Invaliditätsfall aus der 1. Säule nur die Minimalrente. Deshalb ist es wichtig, diese Lücke mit einer jährlichen Invalidenrente von mindestens 36 000 Franken zu ergänzen. Doch dies geht oft erst ab 16 Jahren. Davor sind sie mit den Kapitalversicherungen bei Unfall und Krankheit versichert.

Nadia Barmettler legt allenBauernfamilien nahe, die folgenden Unterlagen zu erstellen:eine Patientenverfügung, einen Schweigepflicht-Verzicht, ein Testament, und eine Anordnung im Todesfall. Vor allem auch der Vorsorge-Auftrag ist wichtig. Sie gibt dem Paar Informationsmaterial mit.

Die Sachversicherungen

Die Betriebsversicherung passt zum Hof. Die Höhe der Inventarsumme ist aktuell. Die Hauptrisiken Feuer/Elementar, Diebstahl und Wasser sind versichert. «Der Ertragsausfall- und die Mehrkosten sollten rund 20 Prozent der Inventarsumme betragen», sagt Nadia Barmettler. Auch die Betriebshaftpflicht mit Einschluss «Schäden an fremden Maschinen» passt.

Tipp: Wichtig ist eine Cyberschutz- und eine Rechtsschutzversicherung. «Jeder, der E-Banking macht, sollte diese Ver-sicherungen abschliessen.»

Auch die Privathaftpflicht ist gedeckt. Handlungsbedarf sieht Nadia Barmettler bei der Hausratversicherung, da die Familie ein 5 ½-Zimmer-Haus bewohnt.

Tipp: Als Richtlinie gilt, pro Zimmer sollte die Versicherungssumme 25 000 Franken betragen. Denn bei einem Teilschaden wird immer proportional gekürzt.

Haus und Stall

Wie sieht es mit den Gebäudeversicherungen für Wohnhaus und Stall aus? Feuer, Elementar und Wasser sind über die kantonale Gebäudeversicherung gedeckt. «Gehen die Leitungen zum Wohnhaus durch den Stall?», fragt Nadia Barmettler. Wenn ja, ist die Deckung «Gebäudewasser mit Einschluss Freilegungskosten» im Stall gerechtfertigt.

Zum Schluss wirft die Bera-terin noch einen Blick aufdie Motorfahrzeug-Versicherun-gen.«Bei allen Fahrzeugen ist der Grobfahrlässigkeitsverzicht, der Bonusschutz und der Zeitwert-Zusatz mitversichert», stellt sie fest. Die versicherten Leistungen Teilkasko und Kollision sind zweckmässig.

Tipp: Spätestens nach acht Jahren sind Personenwagen- und nach rund 15 Jahren die Traktorenversicherungen zu über-prüfen, da der Zeitwertzusatz wegfällt und sich dann die Kollisionsdeckung meistens nicht mehr lohnt.

Alles auf dem Tisch

Die ganze Beratung dauerte über zwei Stunden. «Hier kam alles auf den Tisch, das beruhigt», sagt der Betriebsleiter. «Jetzt haben wir einen Überblick.» Seine Frau ergänzt: «Wir werden sicher die Hausratversicherung überprüfen – und endlich den Vorsorgeauftrag in Angriff nehmen, der schon lange auf dem Schreibtisch liegt.»

Nadia Barmettler wird dem Bauernpaar noch einen schriftlichen Beratungsbericht mit den Empfehlungen zusenden. «Ich bitte die Kundinnen und Kunden jeweils, alles gut durchzulesen und mir dann eine Rückmeldung zu geben», sagt sie. «In erster Linie geht es mir nicht darum, etwas zu verkaufen. Die Berater der Agrisano erhalten keine Abschlussprovisionen.»

Es gehe auch nicht darum, noch mehr Versicherungen abzuschliessen. «Es geht darum, die grössten Risiken zu erkennen und diese bei Bedarf abzusichern.» Und diese Risiken ändern sich. Daher sollte eine Versicherungsberatung alle fünf Jahre, oder spätestens bei familiären oder betrieblichen Änderungen, in Anspruch genommen werden.

 

Checkliste
«Verantwortung wahrnehmen. Fürs Lebens rüsten.» So lautet der Slogan einer im Herbst von den Branchenverbänden lancierten Kampagne für eine bessere soziale Absicherung in der Landwirtschaft und speziell der Bäuer­innen. Herzstück der Kampagne ist ein einfacher Online-Selbstcheck, der das Verbesserungspotenzial sichtbar macht. Bis Mitte März wurde er rund 2500-mal  angeklickt. Zudem können sich die Bauernfamilien für ein kostenloses Beratungsangebot anmelden, in dem individuell die gesamte Versicherungssituation geprüft wird.
Weitere Informationen: www.meine-situation.ch