«Aso näi, jetz hänn die sogar ä Kälbli abundä», ereifert sich die Dame, ihr Begleiter schweigt eine Weile und meint dann, ob sie sicher sei, dass die schon mit solchen Hörnern zur Welt kämen. Ein dritter mischt sich ins Gespräch und meint, also wenn es Hörner habe, dann müsse das doch eigentlich der Stier sein oder? Und schwarz sei es ja auch, aber das sei unter dem Strich egal ruft er halblaut aus: «So digg wiä da isch wird’s eh nam Fescht gschlachtet, da arm Tierli».

Also der Muni stehe bestimmt auf der anderen Seite, meint eine andere Dame, dort sei ein riesiges Tier mit Nasenring. Und einer erinnert sich dann im Wallisurlaub habe er mal so schwarze Bergkühe gesehen, die seien glaubs immer so klein wie ein Kälbchen. Wer kurz vor der MTI die Konsumentenstimmung fühlen will, der ist vor dem Stall der Lebendpreise des ESAF richtig. Am Sonntag vor dem Fest nutzen zahlreiche Baslerfamilien die Gelegenheit hier ein Pferd oder eine Kuh aus der Nähe zu sehen.

Raue Hände

Liste der ausgezeichneten Betriebe und Kühe
Betriebsmanagement 2021
Goldmedaillen 2021
Multiple EX, Generationen und Lebensleistung 2021
Beste Zuchtfamilien 2022

Doch an diesem Sonntag stehen hier an den Abschrankungen auch ein paar im Mutz, im karierten Hemd, mit schweren Schuhen und nachdenklichen Blicken. Sie schweigen. Ihre Hände sind rau vom Arbeiten, ihre Gesichter runzlig und braun von der Sonne, der Rücken schmerzt manchen und die Knie sind von der schweren Arbeit krumm. Sie standen heute morgen früh bei ihren Kühen im Stall und werden heute Abend wieder zuhause sein mit einer Plakette mehr an der Stallwand und ein paar Erinnerungen ans Baselbiet. Sie werden heute wie alle andern Tage das eingegraste Gras, das frisch gehackte Mais und duftendes Heu über die hohe Krippenmauer zu ihren Kühen schieben und sie werden auch heute das Wohl ihrer Tiere über das eigene stellen.

Sonntag im Stall

Bis kurz vor Abfahrt habe er noch nicht gewusst ob er komme, erzählt einer. Eine seiner Kühe mache seit gestern am Viertel rum und eigentlich wäre er lieber zuhause und würde sie von Zeit zu Zeit ausmelken. Aber er ist hier, sein Sohn hat die Aufgabe übernommen und verbringt den Sonntag im Stall. Der Vater ist in Pratteln und schaut alle paar Minuten auf die Uhr. Bald kann er nach Hause zu seinen Kühen. Auch er hat dann eine Plakette mehr und die Bestätigung, dass er es richtig macht mit seinen Kühen. Vielleicht nicht nach dem neusten betriebswirtschaftlichen Lehrbuch, aber richtig für die Tiere.

Grosse Leistungen

[IMG 2]Wer am Sonntag von Swissherdbook ausgezeichnet wurde, der hat Grosses geleistet. Kühe mit 150 000; 140 000 oder 120 000 kg Lebensleistung, Kühe mit besonders schönen Zuchtfamilien, Kuhfamilien, die über Generationen überzeugen. Bestände, die von einem ganzen Menschenleben erzählen, das der Viehzucht gewidmet war. Zuchttiere von Menschen, die verstanden haben, dass nur eine gesunde, zufriedene Kuh ein langes Leben haben wird. So zeigen die Fotos rüstige Seniorinnen, die so dastehen, weil sie ihr Leben lang beste Pflege genossen haben. Weil sie Familienanschluss haben. Weil sich ganze Generationen und Familien dem Wohl der Tiere verschrieben haben. Wenn ihre Besitzer von diesen Kühen erzählen, dann reden sie über deren Charakter und nicht über die obere Linie.

Emotionen und Charakterköpfe

Mancher dieser Landwirte hat Tränen in den Augen, wenn er auf die Bühne tritt und die Auszeichnung entgegen nimmt. Sie sind es nicht gewohnt, dass man ihnen dankt oder ihre Arbeit lobt. Sie sind es gewohnt, dass man ihnen die Kreuzchen im Auslaufjournal nachzählt und sie rüffelt wenn es nicht stimmt. Hier sind Landwirte, denen man seit vielen Jahren sagt, dass man Kühe nicht mehr im Anbindestall halten soll, dass man enthornen soll, dass man auf Hochleistung züchten soll, dass eingrasen nicht rentabel ist, dass sie doch mal die Krüpfenwand wegspitzen sollen oder dass es nicht rentiere so viel Stroh zu streuen und jeden morgen so viel Mist zu gabeln. Sie haben es trotzdem getan. Nicht nur langlebige Kühe sind Charakterköpfe, auch ihre Züchter.

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Keine Eintagsfliege

Nach den Ehrungen bleibt kaum einer sitzen. Alle haben Stalldrang, viele einen weiten Weg, einige wollen noch das ESAF-Gelände erkunden. Die meisten fühlen sich jedoch bei ihren Kühen wohler als unter Menschen oder gar auf einer Bühne. Auf dem Weg zum Parkplatz fragt dann einer: «Für welche Kuh haben wir jetzt eigentlich diese Plakette bekommen?» – «Wohl für die Beste», meint sein Begleiter. «Meine Kühe sind alle lieb und gut» betont der Züchter, dann findet er den Namen der Kuh. «Ah die, das ist eine Möggimore.  Die sagt, wenn ihr etwas nicht passt, drum ist sie so alt geworden. Solche Leistungen bringen nur Kühe, die Charakter und ein gutes Bein haben», resümiert er.

Dann erzählt er noch, dass er in diesem Jahr jede Kuh nur einmal besamen musste. Bis auf ein Gusti, da habe man dieses Gesext ausprobiert und das sei wieder stierig geworden. Bald verabschiedet er sich von seinem Weggefährten: «Bis nächstes Jahr, wir sind wieder dabei», meint er lachend. Erfolgreiche Viehzucht ist eben keine Eintagsfliege. Bei ihm wäre obengenannte Konsumentin bestens aufgehoben, wollte sie dereinst den Unterschied zwischen einem Kalb und einem Eringer lernen. Er könnte es ihr das erklären und noch viel mehr.