Bevor die Sömmerung wieder startet, müssen die Zäune aufgestellt, kontrolliert und gegebenenfalls saniert oder ersetzt werden. An einigen Orten kommt nach wie vor der widerstandsfähige Stacheldraht zum Einsatz. Noch relativ häufig sei dieser z. B. im Jurabogen und zum Teil in der Innerschweiz in Sömmerungsgebieten anzutreffen, teilt Selina Droz, Geschäftsführerin vom Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verband (SAV), der BauernZeitung mit. 

Damals war dieser eine gute Investition: Stacheldraht war kostengünstig und gewährleistete die Hütesicherheit von Weidetieren. Doch heutzutage gibt es gute Alternativen wie Elektrozäune mit mobilen, leistungsstarken Solar-Viehhütern. Das Verletzungsrisiko für Wild- und Weidetiere ist bei Elektrozäunen ausserdem geringer als bei Stacheldraht.

Schwere Verletzungen

Trauriger Anblick: Ein Hirsch hat sich verheddert in einem Weidenetz. (Bild Steven Diethelm/zVg) Tierschutz Durch sichere Weidezäune kann Tierleid vermieden werden - jetzt aktualisiertes Merkblatt lesen Donnerstag, 17. Juni 2021 Der Stacheldrahtzaun ist schlecht sichtbar und wegen seiner scharfen Stachelspitzen sehr gefährlich. Wildtiere können sich schwer beim Überspringen, Unterqueren oder Hineinrennen verletzen und an ihren Verletzungen qualvoll verenden. Die grösste Gefahr geht vom Stacheldrahtzaun aus, wenn dieser entlang von Waldrändern aufgestellt ist. Wildtiere flüchten bei Gefahr in den schützenden Wald und sehen die Zäune oft nicht.

Besonders gefährdet seien ­gemäss Schweizer Tierschutz Greifvögel und Eulen sowie Rehe, Hirsche und Gämsen. Aber auch Nutztiere können an den Stacheldrähten hängen bleiben und schlimme Verletzungen vor allem am Euter erleiden. 

Verbot nur in drei Kantonen

Im Kanton Graubünden ist schon seit vielen Jahrzehnten der Stacheldraht verboten. Im Kanton St. Gallen einigte man sich 2021 nach dem Zustandekommen ­einer Volksinitiative gegen den Stacheldraht auf einen Gegenvorschlag, diesen – mit Ausnahme in Sömmerungsgebieten – zu verbieten. In Zürich verbietet das neue Jagdgesetz diese im Wald und auf offener Flur.

In allen weiteren Kantonen sei gemäss Heinz Feldmann von der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) der Stacheldrahtzaun weiterhin erlaubt, ­ausser entlang von Strassen ­sowie auf Pferde-, Lama- und ­Alpakaweiden (Tierschutzverordnung TSchV Art. 57, Abs. 1 ­sowie Art. 63).

Trotz fehlendem Verbot in allen weiteren Kantonen ist er überzeugt, dass der Stacheldrahtzaun langsam ausgedient hat und Landwirte diesen nach und nach durch elektrifizierte Zaunsysteme ersetzen werden, wie er im Interview der BauernZeitung mitteilt.

«Es gibt mittlerweile effizientere Systeme als den Stacheldrahzaun»
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Heinz Feldmann, warum sind Stacheldrahtzäune trotz der hohen Verletzungsgefahr in vielen Kantonen immer noch im Einsatz?

Heinz Feldmann: Stacheldrahtzäune waren in der Vergangenheit ein gutes System, um die Sicherheit der Nutztiere sicherzustellen. Mittlerweile gibt es aber bessere Systeme als den Stacheldraht. 

Im Kanton St. Gallen sind Stacheldrahtzäune seit 2021 verboten, jedoch nicht in Sömmerungsgebieten. Warum macht man hier eine Ausnahme?

Das hat mit der Hütesicherheit zu tun. In Sömmerungsgebieten sind wegen Schneefall oder Steillage Stacheldrahtzäune stabiler und sicherer. An neuralgischen Punkten können herunterrutschende Steine, abfallende Äste, Blitzschläge oder Stürme die Funktionsfähigkeit von alternativen Weidezäunen einschränken. Für Wildtiere sind Stacheldrähte aber nach wie vor ein grösseres Problem. Deshalb sollten nach Ende der Beweidung der Stacheldraht, aber auch andere Zaunsysteme unbedingt entfernt oder auf den Boden gelegt werden, um Unfälle zu reduzieren. Wir von der BUL empfehlen, bei Neuanlagen oder Sanierungen generell auf Stacheldraht zu verzichten, und raten, schrittweise auf andere Systeme umzustellen.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen, wird der Stacheldraht in weiteren Kantonen verboten werden?

Es kann sein, dass es auf kantonaler Ebene immer wieder Vorstösse geben wird, je nach politischer Zusammensetzung, wie es in den Kantonen St. Gallen und Graubünden der Fall war. Ein schweizweites Verbot wird es aber nicht brauchen, weil die Stacheldrahtzäune sowieso tendenziell zurückgehen. Es gibt einfach effizientere Systeme, die im Handling auch besser sind. Und weil dieses Zaunsystem wegen seiner Verletzungsgefahr immer einen Grund zur Diskussion gibt, können wir gut mit der Freiwilligkeit der Bauern schaffen, ohne ein nationales Verbot zu erlassen. 

Und wenn doch noch Stacheldrahtzäune neu aufgestellt werden?

Wir überprüfen die Neuanlagen solcher Zäune nicht, dies ist Sache der Gemeinde. Bewirtschafter(innen) wie Gemeinden können uns jedoch beiziehen, wenn es darum geht, eine Risikobeurteilung vorzunehmen und eine Stellungnahme abzugeben, ob vom Stacheldraht an diesem Ort eine Gefahr für Dritte ausgeht. Wenn Pferde involviert sind, ist das eine Sache für das zuständige Veterinäramt.

Sie haben angesprochen, dass es mittlerweile bessere Systeme gibt. Diese wären?

Grossmehrheitlich sind das elektrifizierte Systeme wie Litzenzäune oder Zäune mit stromgeführten Stahldrähten. Im Alpgebiet gibt es Drahtsysteme auch ohne Strom, die über eine gute Reiss- und Standfestigkeit verfügen und regelmäs­sig auf- und abmontiert werden können. Einige Kantone fördern sogar den Ersatz von Stacheldrahtzäunen im Sömmerungsgebiet seit 2022 wie beispielsweise der Kanton St. Gallen oder Appenzell Inner­rhoden.