Abo Tierwohl Im Tierschutzfall von Ramiswil halten sich die Behörden bedeckt – Volkswirtschaftsdirektorin fordert externe Aufarbeitung Mittwoch, 12. November 2025 Der Tierschutzfall auf dem Bodenhof lässt niemanden kalt. Nach der Einschläferung von 120 Hunden folgte am 26. November die Versteigerung von 32 Pferden in der Kaserne Sand bei Bern. Doch statt Erleichterung herrscht Empörung. Der Schweizer Tierschutz (STS) geht auf Konfrontationskurs mit den Solothurner Behörden – und wirft grundlegende Fragen zum Umgang mit Tierschutzfällen auf.

20 Plätze organisiert – Behörden winken ab

Allein das auf Pferde spezialisierte Refuge de Darwyn in Bernex-Sézenove GE hatte 20 Plätze bereitgestellt, wie der STS in einer Medienmitteilung vom 27. November festhält. Doch die Solothurner Behörden nahmen das Angebot nicht an. Stattdessen ging es ans Versteigern. Das Resultat: Es brauchte drei Runden und Preisnachlässe, bis alle 32 Pferde einen Käufer fanden, wie SRF berichtete. Der Gesamterlös betrug lediglich 54'000 Franken – deutlich unter dem ursprünglichen Schätzwert von rund 73'000 Franken.

«Es macht den Eindruck, dass diese Auktion nach dem Motto 'Aus den Augen – aus dem Sinn' durchgeführt wurde», kritisiert Marco Mettler, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutz STS, in der Medienmitteilung. Die Befürchtung: Zahlreiche Pferde seien zu nicht handelsüblichen Spottpreisen an professionelle Pferdehändler verkauft worden, bei denen der schnelle Profit durch Weiterverkauf oder Veräusserung an Schlachthöfe vor dem langfristigen Tierwohl stehen dürfte.

Kanton verteidigt sich

Felix Schibli, Vorsteher des Solothurner Landwirtschaftsamts, weist die Kritik gegenüber Nau.ch zurück. Die Verkaufspreise lägen «massiv über den Schlachtpreisen», sodass die Gewähr bestehe, dass die Pferde an ihren neuen Orten auch eine Zukunft hätten. Die Bieter hätten vor der Auktion belegen müssen, dass sie tierschutzkonforme Haltungen bieten können.

Unbeantwortete Fragen zur Massentötung

Abo Tierschutz Nach dem Fall Ramiswil: Was passiert mit ausrangierten Herdenschutzhunden? Freitag, 21. November 2025 Der Fall wird noch brisanter, wenn man ihn im Zusammenhang mit der Tötung der 120 Hunde betrachtet. Die externe Untersuchung, die Volkswirtschaftsdirektorin Sibylle Jeker (SVP) angeordnet hat, muss Antworten auf drängende Fragen liefern:

Warum mussten alle 120 Hunde eingeschläfert werden? War wirklich keines der Tiere vermittelbar? Hätte man mit mehr Zeit, Pflege und gezielter Suche nach geeigneten Plätzen nicht zumindest einem Teil der Hunde eine zweite Chance geben können? Welche Rolle spielten finanzielle Überlegungen bei der Entscheidung? Und: Warum wurden die konkreten Hilfsangebote von Tierschutzorganisationen nicht angenommen?

Auch zur Tierhalterin bleiben Fragen: Handelte es sich um eine Person, die mit der Situation schlicht überfordert war? Hätte sie früher Hilfe holen und die Eskalation verhindern können?

Strukturelle Mängel im System

Der STS hatte 2024 bereits eine Meldung ans Veterinäramt Solothurn weitergeleitet, wie das Online-Portal Watson schreibt. Die Kantonstierärztin bestätigte gegenüber «20 Minuten», dass der Veterinärdienst im Frühling auf dem Hof vorstellig war und damals 13 Tiere mitnahm. Konsequenzen für die Besitzerin? Keine.

Im Mai 2025 wurde der Hof erneut kontrolliert: «Damals waren alle Auflagen des Veterinärdienstes erfüllt», schreibt die NZZ unter Berufung auf den Kanton Solothurn. Was in den sechs Monaten bis zur Hofräumung am 6. und 7. November passierte, bleibt unklar.

Der STS sieht in seiner Medienmitteilung vom 11. November ein systemisches Problem: «Die kantonalen Veterinärämter müssen personell und finanziell so ausgestattet sein, dass sie ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen können. Aktuell ist dies nicht in allen Kantonen gleichermassen der Fall. Zudem fehlt es an Koordination.»

Auch die Frage nach den Kontrollmechanismen drängt sich auf: Waren die Kontrollen zu selten, zu oberflächlich, zu vorhersehbar? Hätte man bei einem Problembetrieb engmaschiger, unangemeldet und ganzheitlicher kontrollieren müssen – etwa durch Prüfung der TVD-Tierbewegungen oder der bei der Gemeinde gemeldeten Hunde?

Bereits 2017: Warnung vor genau solchen Fällen

Pikant: Bereits am 20. September 2017 hatte der damalige STS-Geschäftsführer Hansuli Huber vor der parlamentarischen Gruppe für Tierschutz der Bundesversammlung genau vor solchen Szenarien gewarnt. In seinem Referat «Kontrollen nicht um der Kontrollen willen» forderte er ein Umdenken im System.

Seine zentrale These: «Wir müssen wegkommen von den Kontrollen um der Kontrollen willen. Auch hier gilt: Weniger wäre mehr. Kontrollen sollen nur Mittel zum Zweck sein.» Das Ziel müsse sein, «den gesetzlichen Nutzierschutzstandard der Schweiz zu sichern und zu verbessern, sodass gravierende Tierschutz-Beanstandungen über die Jahre nachweisbar abnehmen».

Hubers konkrete Vorschläge von damals: Betriebe, die «tierschutzmässig immer am Limit laufen», müssten intensiver begleitet werden – «mit konsequent unangemeldeten Kontrollen, landwirtschaftlicher Betriebsberatung und -begleitung und klaren Sanktionen». Ziel müsse sein, «solche Fälle nicht über Jahre hinzuziehen, sondern die Tierhaltung rasch zu sanieren und dauerhaft auf einem korrekten Stand zu halten».

Bei Problembetrieben, so Huber weiter, sollten Kontrollen «strikte unangemeldet» erfolgen. Bei gravierenden Tierschutzfällen sollten Kontrolleure «noch am gleichen Tag dem Landwirtschafts- und Veterinäramt Meldung erstatten, welche dann innert einer Woche das weitere Vorgehen beschliessen».

Acht Jahre später zeigt Ramiswil: Genau das ist offenbar nicht geschehen.

Kritik am Sanktionssystem

Huber kritisierte 2017 auch das Sanktionssystem: «Nichteinsichtigen, unkooperativen Betriebsleitern muss in Zukunft rascher ein Tierhalterverbot auferlegt werden können.» Er bemängelte, dass schwerwiegende Tierschutzverstösse nicht zu ausreichend grossen Abzügen bei den Direktzahlungen führten.

Seine Forderung: «Ziel muss sein, dass schwerwiegende Tierschutzverstösse wie etwa mangelhafte Pflege, Mangelernährung, fehlendes Wasser, starke Überbelegung, fehlende Einstreu oder mangelnder Auslauf in Zukunft zu grösseren Abzügen bei den Direktzahlungen führen.»

STS baut nationale Meldestelle aus

Der STS reagiert und baut ab 2026 seine Meldestelle gegen Tierquälerei erheblich aus, wie aus der Medienmitteilung vom 11. November hervorgeht. Sie wird personell verstärkt und ist für Meldungen aus der Öffentlichkeit unkompliziert erreichbar. Verdachtsfälle sollen geprüft, das Gespräch frühzeitig gesucht und bei Bedarf die Veterinärämter einbezogen werden.

Marco Mettler fordert: «Auf allen Ebenen müssen mehr Ressourcen für den Tierschutz eingesetzt werden, die Kooperation zwischen allen Akteuren gestärkt werden – und das Tierwohl muss stets im Zentrum stehen.»

Externe Untersuchung muss Antworten liefern

Volkswirtschaftsdirektorin Sibylle Jeker (SVP) hat nur kurze Zeit nach der Räumung durch die Behörden eine externe Aufarbeitung des Falls angeordnet und der STS erwartet laut seiner Medienmitteilung «transparente Kommunikation über den gesamten Kontrollablauf sowie vertiefende Angaben, weshalb aus Behördensicht eine Tötung derart vieler Tiere unausweichlich war. Ohne diese Information entsteht ein Vertrauensverlust». 

Der Fall Ramiswil dürfte die Diskussion über Tierschutzkontrollen und die Ressourcen der kantonalen Veterinärämter neu befeuern. Acht Jahre nach Hubers Referat stellt sich die Frage, ob die damals vorgeschlagenen Massnahmen nun endlich umgesetzt werden.