Ruedi Roth reibt sich die Augen: «Das Zäuerli, das mein Bruder Werner und ich gemeinsam komponiert haben, wird in den kommenden Monaten weltweit von Millionen Kinogängern gehört.»

Auch wenn er die E-Mail aus den USA schon vor ein paar Wochen erhalten hat, schüttelt Ruedi Roth noch immer ungläubig den Kopf. Nicht etwa, weil er sich mit dem Berühmtsein schwer tut, da hat er in den vergangenen Jahren doch schon einige Erfahrungen gesammelt.


Dass sie mit ihrem Naturjodel die jüngste filmische Extravaganz von Regisseur Wes Andersen «The Grand Budapest Hotel» musikalisch eröffnen dürfen, hätten sich die beiden Brüder aus Hemberg SG nicht träumen lassen.

Dabei sei «S Rothe Zäuerli» nicht mal bei der Urhebergesellschaft für Musik Suisa registriert gewesen, erzählt Ruedi Roth lachend. Das haben die Brüder nun schnellstens nachgeholt, denn auf die zukünftigen Tantiemen wollen sie denn doch nicht verzichten.


Landwirtschaft rückt immer mehr in den Hintergrund


Anfang Januar hat Ruedi Roth seinen 50. Geburtstag gefeiert. Mit einem grossen Fest und zahlreichen Gästen, mit Musik natürlich, mit Johlen und Zauren, mit der Familie, Freunden und Bekannten.

«Seither sind ein paar wichtige Entscheide gefallen», sagt er und wird plötzlich ernst. Während 35 Jahren sei er Bauer gewesen, ein stolzer Biobauer mit möglichst unkrautfreien Weiden in der Bergzone II.

Er habe nie gejammert, sein stattlicher Hof, den er vor 25 Jahren von seinem Vater übernommen hat, war sein ganzer Stolz. Er habe seinen Job gemacht, die steilen Hänge bewirtschaftet, möglichst viel Futter fürs eigene Vieh bereitgestellt –alles sei gut und recht gewesen.

Kinder werden nicht übernehmen


Zusammen mit seiner Frau, «auch eine aus Hemberg», betont er, hat er vier Kinder aufgezogen. Die älteste Tochter will Lehrerin werden, die Jüngste besucht den gestalterischen Vorkurs, die dritte Tochter arbeitet bei den SBB, der Sohn lernt Mediamatiker. Auch wenn drei der vier Kinder noch zu Hause wohnen, halte sich ihr Interesse an der Landwirtschaft in Grenzen.

Seine Frau arbeite heute auswärts, und seit er vor ungefähr 15 Jahren je länger je mehr in der Volksmusikszene – vorerst in der toggenburgischen, später in der schweizerischen – Fuss fasste, fehle ihm zusehends die Motivation an der landwirtschaftlichen Arbeit.

Vor Kurzem erst hat er den Betrieb von Milchwirtschaft auf Aufzucht umgestellt. Damit fiel das enge Korsett des Melkens, Ruedi Roth wurde flexibler, freier und er hatte mehr Zeit für sich und seine Leidenschaften.


«Die Musik war schon als Kind allgegenwärtig»


Gesungen und musiziert wurde bereits in seinem Elternhaus. Seine Mutter war eine bekannte Jodlerin, die Musik war allgegenwärtig. «Ich war damals ein schüchterner Bauernbub, ein Mamibüebli, habe gerne Aufsätze geschrieben und Gedichte für Geburtstagsfeiern», erinnert sich Ruedi Roth.

Musik machte er später, als Handörgeler bei einer Ländlerkapelle oder beim Silvesterchlausen. Er habe selber nicht gewusst was in ihm stecke, versucht er zu erklären, weshalb es so lange dauerte, bis er zeigen durfte, was er konnte.

Weg stieg ständig an


Willi Valotti, der damalige Dirigent des Jodlerclubs Wattwil, war es, der Roth als seinen Nachfolger zu sich holte. Er unterrichtete ihn in Noten- und Harmonielehre und unterstützte ihn auf dem Weg, der nun stetig zu steigen begann. «Zuerst habe ich probiert, den Jodelliedergesang mit mehr Dynamik auszustatten», erzählt Roth. «Dann begann ich eigene Chlausezäuerli zu komponieren und nach etwa zwei Jahren habe ich es mit einem Jodellied versucht.»

«Läbwohl» hiess seine erste Komposition. Nachdem die Wattwiler das Lied vorgetragen hatten, entdeckten es auch andere Chöre, trugen es in andere Regionen, sogar ins Allgäu, und Ruedi Roth gefiel, was sich da allmählich anbahnte.


Nur keine 
«Festzeltschunkelmusik»


Immer mehr Jodellieder tragen seither seinen Namen. «Ich habe grossen Spass am Komponieren und liebe es, Texte und Melodien mit der passenden Gestaltung auszustatten», schwärmt Ruedi Roth. Es sei ihm wichtig, wegzukommen von den fast einheitlichen Themen rund um das Alpleben.

Neuland betrat er auch, als er vom OK des Nordostschweizerischen Jodlerfests 2013 in Wattwil den Auftrag erhielt, eine neue Jodlermesse zu schreiben. Darin stellte er die Musik in den Vordergrund und bediente sich nicht an Texten aus der Bibel. Vorgetragen wurde dieses halbstündige Werk vom Heimetchörli Hemberg und der Organistin Heidi Bollhalder. Mit gutem Erfolg, notabene. Die Jodlermesse «Seeleklang» wurde anschliessend fast in der ganzen Schweiz aufgeführt.

Mag Mundart und Hardrock


In seinen Kompositionen schreibt Roth über Emotionen, tiefgründige Themen, die jedem begegnen und spricht über Tod und Trauer, von Glück und Neid. «Das Leben ist nicht nur eitel Sonnenschein», deshalb wolle er auch die anderen emotionalen Momente mit der Musik auffangen.

Er distanziert sich auch entschieden von der kommerzialisierten Volksmusik, die oft die Grenze zwischen der Schlager- und Stimmungsmusik überschreitet und so für ihn jeden Reiz verliert. Ausser dem Volkstümlichen hört er am ehesten Mundartlieder, wie beispielsweise jene von Patent Ochsner oder Hardrock.


Zeit für die Musik und den Journalismus


Was vor Jahren begann, wird nun für Ruedi Roth immer wichtiger. Er dirigiert, komponiert, leitet drei Jodelvereine, spielt hin und wieder mit seiner Tochter mit der Ländlerkapelle Wilketgruess, produziert CDs, ist Gesamtchorleiter der Naturjodlervereinigung Toggenburg, gibt Chorkurse oder organisiert kulturelle Anlässe, wie etwa das «Toggeburger Priisbödelä». 

Man vermutet richtig und versteht, wenn Ruedi Roth zu seinem beruflichen Wechsel sagt: «Mein musikalisches Leben ist so vielseitig geworden, dass ich heute bereit bin, meinen Landwirtschaftsbetrieb an den Nagel zu hängen.»


Denn zur Musik kam seit ein paar wenigen Jahren auch seine Liebe zum Journalismus. So berichtet er heute regelmässig über bäuerliche Themen im «St. Galler Bauer» und über Musikalisches in der Zeitschrift «Stubete».

Lösung für den Betrieb gefunden

Es versteht sich von selbst, dass Ruedi Roth nicht lange ­zögerte, als sich ihm die Möglichkeit bot, den Hof an die Familie seiner Schwester zu verpachten. «Familienintern haben wir uns nun geeinigt, dass wir den Hof vorerst für vier Jahre verpachten», erzählt er zufrieden. «Bereits am kommenden 1. Mai ist meine Karriere als Landwirt beendet, das macht mich frei für die Musik und alles drum herum.»

Ruth Bossert