«Mir macht das Freude», sagt Sven Rothenbühler und blickt auf das neblige Rüeblifeld. Darauf herrscht emsiger Betrieb, Menschen jeden Alters ziehen das Gemüse aus dem Boden, Kinder purzeln über die Dämme, sind hochmotiviert und bis oben mit Erde verschmiert. Ihre Eltern scheint es nicht zu stören. Eigentlich hatten Rothenbühlers andere Pläne für ihre Karotten, mit der Rettungsaktion zeigen sie sich aber zufrieden.

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Die Hälfte war Erde

«In Utzenstorf sind etwa 2,5 ha Rüebli zum Selbsternten verfügbar», stand Anfang der Woche in einem Inserat der Rothenbühlers im lokalen Anzeiger. Aufgrund der vielen Niederschläge sei eine maschinelle Ernte nicht mehr möglich. «Wir haben etwas gegraben», erklärt Adrian Rothenbühler, «aber wir hatten 50 Prozent Erde in der Paloxe». Mit so hohem Fremdbesatz habe das Abgeben keinen Sinn, meint der Berner Landwirt. Das Geerntete brachte er mit dem Miststreuer zurück auf den Acker und entschied sich gegen ein weiteres Befahren des Feldes. «Wir haben einen hohen Schluffanteil im Boden, das klebt jetzt», bemerkt er.

Rothenbühler wollte nicht all die wertvolle Erde wegführen, sondern die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Schliesslich sei auf seinem Betrieb Doppelbereifung an allen Traktoren quasi Pflicht und dem Untergrund werde mit Gründüngungen Sorge getragen. «Ich möchte gerne so in fünf Jahren den Betrieb übernehmen, den Boden weiternutzen und auch Rüebli anbauen können », ergänzt sein Sohn Sven.

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Die Kinder lernen, woher das Gemüse kommt

Leoni überschlägt sich fast in ihrem Eifer, fürs Foto ein besonders grosses Rüebli zu zupfen. «Ich finde das einfach eine coole Sache und wollte dem Landwirt etwas zurückgeben», erklärt ihre Mutter, Karin Baumgartner. Sie wohne im nahen Kriegstetten, fährt sie fort und reibt sich die Erde von den blossen Händen. Bekannte hätten sie auf das Inserat aufmerksam gemacht. Baumgartner sieht die Rüebliernte als einen Familienausflug, an dem ihre beiden Töchter sichtlich Spass haben. Aus dem Gemüse soll es Kuchen, Suppe und Rohkost geben, «und noch was für die Kaninchen». Ihnen sei wichtig, dass ihre Kinder erfahren, woher das Gemüse kommt, betonen Baumgartners.

«Sie sollen wissen, wie das Gemüse wächst und welchen Aufwand unsere Bauern beim Ernten betreiben, damit wir es ‹einfach› im Laden kaufen können.»

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Man kommt in Kontakt

Beim Unterstand mit der grossen Waage beurteilt Barbara Rothenbühler die Ernte grosszügig und zieht vom Gewicht jeweils etwas für Erde und Kraut ab. «Ich hätte nicht erwartet, dass es so gut läuft», sagt sie gut gelaunt. Schön sei es auch gewesen, zu sehen, wie über die Stechgabel hinweg einander zuvor fremde Menschen auf dem Feld in Kontakt gekommen seien. Rothenbühlers geben Tipps zum Lagern der Rüebli und erklären Interessierten, warum sie sich gegen die maschinelle Ernte entschieden haben. Ab und zu kommt auch eine andere Frage auf, etwa dazu, warum die nahe Gründüngung derart hoch gewachsen sei.

Mit Rüebli eingedeckt für den Winter

Manche fahren mit gut gefüllten Tragtaschen nach Hause, andere schleppen die Rüebli kistenweise zum Auto. Stefan Niklaus ist mit seiner Freundin Silvia Casanova gekommen. «Wir decken uns hier mit Rüebli für den Winter ein», erklärt der Junglandwirt aus der Umgebung. Die vier Harassen sollen auch für die Eltern reichen, plus drei Kaninchen. Während seiner Lehrzeit sei ein Rüebli frisch aus dem Boden, nur kurz an der Hose abgestreift, ein kleines Highlight gewesen, erinnert sich Niklaus. «Diese hier sind besonders gesund», meint der Berner grinsend, «weil ich dazu noch Bewegung und frische Luft bekommen habe.»

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Das Ganze bleibt ein Defizit

Von den 100 t im Boden seien während der drei Tage Selbsternten rund 6 t aus der Erde gezogen worden, schätzt Adrian Rothenbühler. Auch er hat Freude an den guten Gesprächen und daran, dass zumindest ein Teil seines Gemüses auf diese Weise doch noch den Weg in eine Küche findet. Aber, «man muss nicht rechnen, es bleibt ein Defizit», ist er sich bewusst. Mit dem Preis von Fr. 1.-/kg könne er vielleicht die Kosten fürs Inserat decken, eventuell etwas vom Preis des Saatguts, aber sicher nicht die Arbeit während der ganzen Saison. Schliesslich zeigten sich die Rüebli in diesem Jahr nicht nur pflegeleicht, wie er schildert: «Die Kultur ist nach dem Säen gut aufgelaufen und gewachsen, bei Bedarf haben wir im Sommer bewässert. Dann hatten wir aber Alternaria und es hat eine Weile gedauert, bis ich das wieder raus hatte.» Nun sei das Wachstum der orangen Wurzeln noch nicht ganz abgeschlossen, das Ende noch spitz und die Fläche nach Regenfällen aufgeweicht. Viele Faktoren hätten in diesem Jahr zusammengespielt, dass es nun so weit gekommen ist, so sein Fazit.

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Die Fläche bleibt offen

Rothenbühlers Aufruf via Inserat und Whatsapp-Status wurde von Bekannten fleissig geteilt und fand sogar den Weg ins Wallis, bemerkt Sven Rothenbühler nicht ohne Stolz. Es ist aber klar, dass solche Aktionen eigentlich nicht die Idee sind. Auf dem Rosenhof der Rothenbühlers haben Rüebli einen festen Platz in der Fruchtfolge, zusammen mit Zwiebeln, Kartoffeln, Gerste und gelegentlich Mais. Zum Ackerbaubetrieb gehört eine Pouletmast mit 18'000 Tieren.

«Die Verträge fürs nächste Jahr sind gemacht», meint Adrian Rothenbühler. Rüebli wird es wieder geben. Was jetzt noch in der Erde steckt, bleibt vorerst auf dem Feld: Die Bauernfamilie will eine unbediente Kasse und Twint einrichten und die Fläche zum Selbsternten belassen. «Da fahre ich erst wieder rein, wenn der Boden gefroren ist», kommentiert der Betriebsleiter. Was übrigbleibe, sehe er als eine Art teure Gründüngung, schliesst Rothenbühler und hilft einmal mehr einem erfolgreichen Rüebliernteteam dabei, ohne Parkschaden den Heimweg anzutreten. 

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