Die Ansprüche der Konsumgesellschaft haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Landwirtschaft befindet sich in einem Schaufenster und muss derzeit viel Kritik einstecken. Sie sei mitverantwortlich für den Verlust der Artenvielfalt. Jene Artenvielfalt, für deren Entstehung sie ursprünglich sogar hauptverantwortlich war. Denn ohne Landwirtschaft wäre die Schweiz komplett überwaldet und die Pflanzen und Tiere, die hier Lebensraum gefunden haben, inexistent. Während die Gesellschaft mehr Biodiversität und Schutz der Arten fordert, zeigt sie, zumindest teilweise, ein gegensätzliches Verhalten im Bereich des Konsums. Direkt konfrontiert mit den Ansprüchen einer gewandelten Gesellschaft sind die Bauern. Und mit ihnen die Produzentenorganisationen, wie IP-Suisse. Der Verein feiert heuer still und leise sein 30-jähriges Bestehen. Was sich im Bereich der Biodiversität, am Markt, aber auch bei den Bauern verändert hat, und was sich noch verändern wird, erklärt Andreas Stalder, Präsident IP-Suisse, im Interview. 

Wenn Sie Biodiversität einem 10-jährigen Kind in einem Satz erklären müssten, wie würde dieser lauten?

Andreas Stalder: Die Biodiversität beinhaltet alles Leben auf unserer Erde – die Vielfalt der Lebensräume, die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt. 

IP-Suisse ist 30 Jahre alt. Heute schreibt die Organisation Biodiversität gross, war das bei der Gründung auch so?

Ja, indirekt zumindest. Das Ziel war schon damals, Schweizer Lebensmittel mit einem Mehrwert zu erzeugen. Neben der artgerechten Tierhaltung stand der Gedanke der Integrierten Produktion schon bei der Gründung im Vordergrund. Also eine Landwirtschaft mit weniger Einsatz von Hilfsstoffen im Pflanzenbau und somit eine Förderung der Biodiversität.

Was hat sich in diesem ­Zusammenhang in diesen Jahren verändert?

Mit der Zeit wandeln sich die Ansprüche der Gesellschaft, die Wahrnehmung der Konsumenten, es gibt neue Vorgaben der Behörden, die Landwirtschaftliche Praxis ändert sich, aber auch neue Erkenntnisse aus Wissenschaft beeinflussen uns. Ein Label garantiert einen Mehrwert und kann nur dauerhaft bestehen, wenn es laufend angepasst wird. Daher ist es klar, dass auch wir nicht auf dem Erreichten verweilen können. Vor 15 Jahren wurde das Thema Biodiversität mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach aufgegriffen und dank Mithilfe der Migros und unseren innovativen Produzenten in der Praxis eingeführt.

Und wie haben sich die ­Bauern verändert?

Das Umfeld der Bauern respektive die Produktionsbedingungen haben sich in den letzten Jahren verändert. Nicht nur die Mehrwerte des IP-Suisse-Labels haben sich verändert, auch die Bauern mussten sich anpassen. Ihre Betriebe sind in der Regel grösser und spezialisierter geworden und der Bauer damit mehr Unternehmer und Manager.

Was müssen die Bauern in absehbarer Zukunft ­verändern?

Die Bauern müssen weiterhin flexibel und marktorientiert agieren und sich den laufenden Veränderungen anpassen, damit sie erfolgreich sind. Wie bereits erwähnt, wird die IP-Suisse-Produktion den vor 30 Jahren eingeschlagenen Weg weitergehen und sich noch mehr in Richtung einer ganzheitlich nachhaltigen Landwirtschaft entwickeln.

An Versammlungen mit IP-Suisse-Produzenten ist nicht selten die Kritik zu vernehmen, man nähere sich in den Anforderungen den Bio-Suisse-Produzenten an, allerdings nur im Bereich der Produktion, nicht im Bereich der Absatz-Preise. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Man kann nicht stehen bleiben, die Anforderungen der IP-Suisse werden in der Regel immer höher sein als diejenigen der konventionellen Produktion. Im Bereich Biodiversität bieten wir bereits einen Mehrwert, der sehr hoch einzustufen ist. Mit den aktuellen Anstrengungen im herbizidlosen Ackerbau, der ja im IP-Suisse-Kartoffelbau vor 20 Jahren schon mal sehr weit vorgeschritten war und IP-Suisse-Getreide ohne Pflanzenschutzmittel gehen wir noch weiter. Daher ist die Frage schon berechtigt. Die IP-Suisse-Prämien sollen die höheren Produktionsanforderungen abgelten, aber sie müssen auch marktkonform sein. Haben wir hohe Zuschläge, ist die Nachfrage kleiner und es können weniger Produzenten mit einem Mehrwert produzieren.

Wie und vor allem wo können Konsumenten das Engagement der IP-Suisse-Produzenten erkennen?

Am besten, indem sie einen IP-Suisse-Bauernhof besuchen. Dort sehen sie Wildblumenflächen in Getreidefeldern, welche der Feldlerche idealen Lebensraum bieten, oder angelegte Stein- und Asthaufen, in denen Reptilien leben und seltene Pflanzen wachsen. Sie sehen Tiere, die viel Auslauf haben und pestizidfrei angebaute Felder. Und vieles, vieles mehr. Und wenn sie aufmerksam schauen, erkennen sie auch die überdurchschnittliche Artenvielfalt. Eine mehrjährige Studie der Vogelwarte Sempach und des FiBL hat nämlich belegt, dass das IP-Suisse-Biodiversitätsprogramm direkt mit einer Steigerung der Pflanzen- und Vogelarten im entsprechenden Gebiet einhergeht. Das heisst, unsere Massnahmen bringen eine spürbare Verbesserung!

Wie wichtig ist dem Konsumenten die Biodiversität aber schliesslich auf dem Teller?

Das müssen Sie die Konsumenten fragen. Aber wir müssen agieren und die Leistung bringen, damit wir nicht austauschbar sind. Billige Importe gibt es immer und es wird immer diejenigen geben, die nur das Billige wollen oder ins benachbarte Ausland einkaufen gehen. Das können wir niemandem verbieten. Jeder ist frei. Wir wollen aber Argumente für die IP-Suisse-Produkte schaffen.

Der Anbau von IP-Suisse-Weizen wird im kommenden Jahr beschränkt. Sollte ob all den laufenden Diskussionen um Nachhaltigkeit und Bio­diversität nicht das Gegenteil passieren?

Es braucht immer mehr IP-Suisse-Getreide. Es kommen immer neue Abnehmer dazu. Die Planung der Mengen ist eine grosse Herausforderung. Der Bedarf, wie auch das Angebot kann schnell und massiv variieren. Zu wenig Ware ist extrem schlecht, es gibt Unmut und Kosten bei den Vermarktern und die Gefahr, ausgelistet zu werden. Daher ist eine Lagerhaltung wichtig, um fehlende Mengen und auch Qualität ausgleichen zu können. Gesamthaft waren die drei letzten IP-Suisse-Getreideernten äusserst erfreulich, das heisst, die Erntemengen waren deutlich über dem Planwert. Dies muss nun mit einer Reduktion der Anbaufläche, aber nicht der Produzenten, ausgeglichen werden, damit die Kosten nicht zu stark ansteigen. 

IP-Suisse-Quinoa scheint auch Mühe zu haben in den Regalen. Im Gegenzug ist bekannt, dass mehr als 95 Prozent der gesamten Quinoa-Weltproduktion aus Peru, Bolivien oder Ecuador stammt. Die Transportwege bedeuten hohe Klimabelastung, zudem ist auch bekannt, dass Quinoa in diesen Ländern als Monokultur angebaut wird und daher nicht nachhaltig ist. Was läuft hier falsch? Oder anders gefragt, klärt IP-Suisse zu wenig auf?

IP-Suisse hat Quinoa mit innovativen Produzenten in der Schweiz angebaut und mit den Partnern in die Regale gebracht. Der Anbau ist nicht einfach, die Erntemengen variieren extrem und preislich muss es für den Produzenten und den Abnehmer stimmen. Letztendlich entscheidet auch hier der Konsument, was er einkauft. Wir sind aber stolz, dass IP-Suisse-Quinoa heute in vielen Geschäften käuflich ist und sogar im Gastrokanal einen Platz gefunden hat.

Zwischen der Migros und IP-Suisse besteht eine enge Markt-Beziehung. Einige Bauern sprechen von Abhängigkeit und würden gerne sehen, dass man sich in diesem Bereich öffnet. Sind Aldi, Lidl oder sogar Coop kein Thema? Denner gehört ja der Migros.

Mit Migros besteht seit Jahrzehnten eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit. Ohne Migros wären wir nie soweit gekommen und könnten heute nicht mit rund 9000 Produzenten Labelprodukte produzieren. Die IP-Suisse-Produktion ist gesamtheitlich anzuschauen und daher sind landwirtschaftliche Produkte, die im Moment wenig oder gar nicht angebaut werden können, ebenfalls wichtig. Es wäre toll, wenn möglichst alle Kulturen und Tiere auf einem Betrieb unter IP-Suisse produziert und verkauft werden könnten. Daher sind wir offen und versuchen, das Sortiment in diesem Sinne zu erweitern. 

Was steht im Bereich der Biodiversität bei IP-Suisse in den kommenden Jahren an? Welche Projekte laufen oder kommen zum Laufen?

Es ist ein Punkteprogramm Weinbau in Entwicklung, Anpassungen für andere Spezialkulturen sind angedacht. Zudem werden die Ressourcenpunkte bei Einführung in das neue Klimamodul überführt. Somit wird die Mindestpunktezahl beim IP-Suisse-Biodiversitätspunktesystem in Zukunft bei den bisher schon geforderten 15 Punkte liegen und nicht bei gesamthaft 17 Punkten.