Bei Maroni denkt man an Herbst, Wildgerichte und vielleicht an das Tessin. Tatsächlich ist der Südkanton für seine Kastanienselven berühmt, der Baum wächst aber durchaus auch ausserhalb der Schweizer Sonnenstube. So gibt es Projekte für Haine in der Zentralschweiz oder in Graubünden. «Castanea sativa kann auch im Mittelland gedeihen», erklärt Toni Sidler aus dem schwyzerischen Küssnacht am Rigi. Er betreibt eine Baumschule, wo in erster Linie veredelte Edelkastanien gezogen und vermarktet werden. Dazu gehört eine Sammlung alter Sorten für den Erhalt der pflanzengenetischen Ressourcen im Auftrag des Bundes. Laut dem Fachmann bietet diese Baumart eine Reihe von Vorteilen – wenn der Standort stimmt.
Sturmsicher und weidetolerant im richtigen Boden
[IMG 3]Als wichtigsten Faktor für eine gesunde Edelkastanie nennt Toni Sidler den Boden. Dessen pH müsse neutral bis leicht sauer sein. «Der Baum ist keine Moorbeetpflanze, Kalkgestein oder Juraböden sind aber ungeeignet», führt er aus. Ideal seien tiefgründige Moränenböden, wo die Kastanie ihre Wurzeln tief nach unten zwischen die Steine strecken kann. So verankert hält sie Stürmen stand und findet auch bei Trockenheit noch genügend Wasser.
Ihr tiefliegendes Wurzelwerk macht die Edelkastanie ausserdem weidetoleranter als Obstbäume wie etwa Kirschen. «Damit schwere Weidetiere wie Kühe nicht zu nahe an den Stamm kommen, ist ein Schutzverschlag von etwa 4 m2 unter der Krone empfehlenswert», meint der Fachmann. So geschützt könne eine Kastanie auch auf einer Dauerweide stehen – «Unter einem Teil unserer Sammlung wird geweidet und das geht problemlos», schildert Sidler seine Erfahrungen. Wichtig ist genug Wärme und Sonne – was eine Nordexposition aber nicht ausschliesse.
Unkompliziert im Unterhalt
Ein weiterer Unterschied zu Obstbäumen zeigt sich bei der Pflege: «Edelkastanien sind zwar schnittverträglich, gedeihen aber am besten, wenn man sie ihre Krone selbst aufbauen lässt», so Toni Sidler. Anfangs wachsen die Bäume 70 bis 80 Zentimeter pro Jahr, sobald die Pflanze in Ertrag komme, verlangsamt sich das Wachstum auf etwa 20 Zentimeter jährlich und könne auch auf die bestehende Grösse begrenzt werden. «Ab 10 bis 12 Jahren sind Jahreserträge von 10 bis 15 Kilogramm pro Baum möglich.» Im Vollertrag mit einem Kronenradius von 5 bis 6 Metern liegen Ernten von 80 bis 100 Kilo pro Baum drin. Allerdings sind die wärmeliebenden Kastanien sehr empfindlich gegen Spätfrost.
In ihren Ausmassen ist die Edelkastanie ein Baum der Superlative: Er kann bis zu 35 Meter hoch werden und einen Stammdurchmesser von ein bis drei Metern erreichen. Ausserdem ist die Art sehr langlebig. «200 Jahre sind nicht das Maximum. Wenn sie gesund bleiben, ist das Ende quasi offen», meint der Baumschulist.
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Zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten
Maroni haben einen hohen Stärkegehalt und sind in der Küche vielseitig verwendbar: Von süssen Vermicelles über Wildbeilagen bis zu Mehl für Brot, Polenta oder Bier. Im Kanton Graubünden stellt man daraus sogar ein Rasierwasser her. Aus Kastanien extrahierte Tannine können das Auftreten von Ferkeldurchfall deutlich reduzieren, wie Agroscope gezeigt hat.
Neben den Früchten ist auch das Holz von Edelkastanien wertvoll. Es ist ohne Imprägnierung wetterfest und daher sehr begehrt für den Outdoorbereich. Zwar kann diese Baumart wegen ihres hohen Lichtbedarfs weniger dicht gepflanzt werden als Tannen oder Fichten, dafür kann man laut Toni Sidler bereits nach 40 Jahren Wertholz ernten und bekommt einen höheren Preis dafür.
Als Hochstammbäume sind Edelkastanien wertvoll für die Biodiversität und bereichern die Landschaft. Wie im Falle von Obstbäumen gibt es dafür auch Direktzahlungen.
Wenig Schädlinge, aber eine problematische Krankheit
Ein häufiger Grund, warum Edelkastanien vor Erreichen eines biblischen Alters absterben, ist der Rindenkrebs. Er wird durch einen Pilz verursacht, der durch Wind oder Insekten von befallenen Bäumen übertragen wird. Laut Toni Sidler ist der Kastanien-Rindenkrebs in der Schweiz ein flächendeckendes Problem, das sich mit Feuerbrand im Obstbau vergleichen lässt. Nach der Infektion wird die Rinde rissig und fällt ein, es sich die charakteristisch orangen Sporen zu sehen. Die Krankheit endet für den Baum tödlich.
«Es gibt wenig Gegenmassnahmen, ausser geprüftem Pflanzgut und kontrollierter Hygiene in der Baumschule», bedauert Sidler. Robuste Sorten seien bekannt, aber keine nachgewiesenen Resistenzen. Für Solitärbäume gebe es im Fall einer Erkrankung die Möglichkeit einer Impfung, die allerdings mit mehreren Hundert Franken zu Buche schlage. «Dazu entnimmt man eine Rindenprobe, bestimmt im Labor den Pilzstamm des Erregers und züchtet ein massgeschneidertes Antivirulenz. Das wird anschliessend dem Baum gespritzt.» Die Heilungschancen stünden nach einer solchen Behandlung immerhin ziemlich gut.
Was Schädlinge angeht, ist die Liste kurz. Nur eine Gallwespe erwähnt Sidler, die aber keine grossen Probleme mache – «und ihr natürlicher Gegenspieler ist auf dem Vormarsch.» Entsprechend ist auch kein flächendeckender Pflanzenschutz nötig.
Was hingegen – wie bei allen Feldgehölzen – ein Thema ist, sind Mäuse. Hohes Gras auf der Baumscheibe ist daher zu mähen, die Nager müssen konsequent bekämpft werden. Ein Fan von Wurzelgittern ist Toni Sidler aber nicht: «Z. T. werden damit Wurzeln abgeschnürt oder die Gitter sind zu nah am Ballen». Wer sie trotzdem verwenden möchte, solle sie grosszügig 20 bis 30 Zentimeter von den Wurzeln entfernt platzieren und darauf achten, dass nach drei bis vier Jahren verrostet sind (keine Verzinkung).
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Genug Platz einräumen
Für eine Edelkastanie sollte man mit rund 100 m2 Platzbedarf rechnen, rät der Schwyzer. Ausserdem ist zu beachten, dass die Bäume nicht per se selbstbefruchtend sind. Eine Ausnahme sind entsprechend gepfropfte Pflanzen, bei der verschiedene Sorten innerhalb der Krone für passenden Pollen sorgen. Die weissen Blüten locken scharenweise Insekten an. Sind Bienen darunter, entsteht der typische, bernsteinfarbene Kastanienhonig. Der ist mit seinem kräftigen, herben Geschmack nicht jedermanns Sache. Agroscope beschreibt das Aroma als schwach süss, muffig und an Apotheke erinnernd.
Vor der Wintersonne schützen
[IMG 7]Die ideale Pflanzzeit ist laut Toni Sidler im laublosen Zustand während der Vegetationsruhe von Mitte Oktober bis etwa Ende April. Bei starkem Mäusedruck sei aber eine Frühlingspflanzung ratsam, da die Schädlingsbekämpfung dann einfacher ist. «Das gilt für wurzelnackte Bäume. Mit Ballen kann man sie auch im Frühling oder sogar Sommer setzen.» Um sie an ihrem neuen Standort vor ungewohnter Sonne zu schützen, solange kein Blätterdach den Stamm beschattet, sei weisse Baumfarbe, eine Schilf- oder Kokosmatte empfehlenswert. So kommt die Edelkastanie unbeschadet durch die ersten vier bis fünf Jahre – auf die Jahrhunderte folgen können.
«Maroni alleine genügen nicht»
«Edelkastanien sind je nach Sorte und Region zwischen Mitte September und Anfang November reif. Dann fallen sie vom Baum, die Hülle öffnet sich meist von selbst», beschreibt Beat Felder, Berater für Spezialkulturen am BBZN in Hohenrain LU. Es gelte, die nach und nach reifenden Maroni zwei- bis dreimal pro Woche aufzulesen, da sie nicht zu lange auf dem Boden liegen sollten.
Teure Ernte meist von Hand
Die Früchte seien sehr verderblich, heisst es auch in einem Merkblatt der Forschungsinstituts für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Die Ernte, die in den meisten Fällen manuell mit oder ohne Netze oder aber mit Saug- oder Lesemaschinen geschehe, sei mit bis zu 60 Prozent des Verkaufspreises der teuerste Teil der Kastanienproduktion. Traditionell werden Maroni gedörrt oder mit geschlossenen Fruchthüllen in einem Gärhaufen fermentiert. Industriell kommen laut WSL kalte Wasserbäder, Erwärmung oder Sterilisierung zum Einsatz. Beat Felder empfiehlt, eingesammelte Kastanien so rasch wie möglich in Gitter gefüllt zum Trocknen aufzustellen. Das Wässern verlängere die Haltbarkeit, die delikaten Früchte könnten aber auch in Kühllagern bei 0 bis 1 Grad und 80 bis 90 Prozent relativer Feuchtigkeit oder in kontrollierter Atmosphäre gelagert werden.
Zentralschweizer Markt im Aufbau
In der Zentralschweiz befindet sich der Kastanienmarkt dank der IG Pro Kastanien Zentralschweiz im Aufbau. «Die Nachfrage ist da», schätzt Beat Felder. An der jährlich stattfindenden Chestene-Chilbi reiche die lokale Produktion noch nicht aus. Dank der Fördermassnahmen der Kastanien in der Zentralschweiz rechnet der Fachmann mit einer künftig grösseren Menge in der Region. Damit das gemeinsame Marketing und die gemeinsame Verarbeitung erfolgreich sein könnten, sei das auch nötig. «Für einen wirtschaftlichen Anbau sind Verarbeitung und Vermarktung effizient zu gestalten. Maroni alleine genügen nicht», stellt Felder fest.