Der Schweizer Tierschutz (STS) ist seit einigen Tagen permanent in den Schlagzeilen. Es ist die Rede von Palastrevolte, Inkompetenz, autoritärer Führung und zerbrochenem Geschirr. Am Sonntag nahm auch der «Blick» seine grossen Buchstaben hervor: «Vorstandsmitglieder packen über Missstände aus – Massive Vorwürfe gegen Tierschutz-Präsidentin».

Vier Geschäftsführer(innen)

Öffentlich geworden ist die angespannte Stimmung im traditionsreichen Dachverband – Gründungsjahr 1861 – durch einen Bericht auf dem Wirtschaftsblog «Inside Paradeplatz». Dieser hat sich der Sache offenbar angenommen, weil mit Nicole Ruch seit 2021 eine Ökonomin und CS-Bankerin als Präsidentin des STS am Ruder ist. Sie folgte auf die über zwei Jahrzehnte dauernde Amtszeit von Heinz Lienhard (Präsident) und seiner Frau Otilie (die als Finanz- und Personalchefin im Vorstand agierte).

«Sie führt autoritär und lässt keine kontroversen Diskussionen zu.»

Ex-STS-Vorstand Kurt Aeschbacher über Präsidentin Nicole Ruch im «Sonntagsblick».

Die neue Präsidentin wird im Blog und im «Sonntagsblick»-Artikel als «Fehlbesetzung» bzw. «Alleinherrscherin» betitelt. Ihr Verhalten soll mit zum für Ende August vorgesehenen Abgang des seit 2018 angestellten Geschäftsführers Stefan Flückiger beigetragen haben. Er war der Nachfolger von Hansuli Huber, der 34 Jahre für den Verband tätig gewesen war und grosse Fussstapfen hinterlassen hatte.

«Ich führe vernünftig, partizipativ, zukunftsorientiert und kollegial.»

STS-Präsidentin Nicole Ruch, ebenfalls im «Sonntagsblick».

Flückiger war kurz nach seinem Amtsantritt an den früheren Präsidenten geraten, der offenbar keine Widerrede in Führungsfragen geduldet haben soll. Zunächst sollte Flückiger entlassen werden, in einem Mediationsverfahren gelang es ihm aber, die Entlassung abzuwenden. Neu war Flückiger Teil einer vierköpfigen Führungsspitze als Geschäftsführer Agrarpolitik. Der ehemalige Bio-Suisse-Geschäftsführer wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen zum Konflikt.

Finanzielles Schwergewicht

Im Bericht des «Sonntagsblicks» ist auch von möglichen finanziellen Unregelmässigkeiten beim STS die Rede. Bewiesen ist allerdings noch nichts. Im Boulevardblatt tönt das dann so: Der STS sei «eine altehrwürdige Organisation, die gerade die Kontrolle über sich selbst verliert», so der Artikel. Und weiter: «Ein Dachverband, millionenschwer und steuerbefreit, geprägt von einem autoritären Führungsstil, einer Kultur der Intransparenz – und Streitereien auf Führungsebene.»

Tatsächlich ist der STS finanziell kein Leichtgewicht. Allein im letzten Jahr beliefen sich die Spendeneinnahmen auf 2,5 Mio Fr. Weitere 4 Mio Fr. stammten aus Legaten und Erbschaften. Stattlich ist auch der Immobilienbesitz. Der STS besitze nicht weniger als 18 Liegenschaften mit einem Buchwert von 24 Mio Fr., hört man aus dem Umfeld.

In einer Medienmitteilung wehrte sich der STS am Sonntag kategorisch gegen die erhobenen Vorwürfe von zwei Vorstandsmitgliedern, namentlich SP-Nationalrätin Martina Munz und Agronom Michel Roux, einst Direktor des Berufsverbands Svial. Diese schössen mit ihrer Kritik weit über das Ziel hinaus, heisst es vonseiten STS, und schadeten dem Ansehen «einer gut funktionierenden Non-Profit-Organisation».

Viele Ausfälle im Kontrolldienst

Erste Abklärungen über angebliche finanzielle Unregelmässigkeiten haben laut der Mitteilung des STS keine entsprechenden Hinweise gegeben. Eine Vertiefung dieser Abklärungen werde nun von einer spezialisierten externen Beratungsfirma durchgeführt.

Im Mittelpunkt des Interesses steht für die Landwirtschaft die Kontrolltätigkeit des STS. Der Verband kommt in seiner Mitteilung auch auf die «ungewöhnlich vielen Ausfälle durch Unfall, Krankheit und persönliche Veränderungen» beim Kontrolldienst des STS zu sprechen (s. Kasten). Diese personellen Veränderungen hätten nichts mit der Tätigkeit des Kontrolldienstes zu tun.

Niemand will zurücktreten

Der Kontrolldienst habe soeben drei Grossprojekte lanciert, die zusätzliche Ressourcen erforderten, und die Pandemie in Kombination mit dem Fachkräftemangel habe die Anstellung neuer Leute erschwert. Trotzdem hätten im Jahr 2022 alle geplanten Aufgaben erfüllt werden können. Engpässe hätten aber bei einzelnen Mitarbeitenden zu erhöhter Arbeitsbelastung und Verunsicherung geführt, räumt der STS ein. Dies werde von operativer Leitung und Vorstand sehr ernst genommen.

Wie es nun weitergeht im krisengeschüttelten Verband, ist offen. Martina Munz und Michel Roux denken, anders als der ehemalige TV-Moderator Kurt Aeschbacher, offenbar nicht daran, aus dem Vorstand zurückzutreten, Ähnliches scheint auch für die Präsidentin zu gelten. Wahrscheinlich wird viel davon abhängen, wie sich die Belegschaft positioniert.

Kontrolldienst: Eine organisatorische, nicht eine fachliche Krise
Der Kontrolldienst des Schweizer Tierschutzes hat in den letzten Jahren im Bereich Tierhaltungskontrollen stark an Bedeutung gewonnen. Er kontrolliert mit rund zwanzig Mitarbeitenden in den Bereichen Tierhaltung, Tiertransport und Schlachtung. In Sachen Tierhaltung ist der Kontrolldienst u. a. für die Tierwohlprogramme von
- Coop Naturafarm (Eier, Poulet),
- IP-Suisse (Schweine),
- Lidl Terra Natura (Schweine),
- KAG Freiland,
- Mutterkuh Schweiz und
- Silvestri Freilandschweine/ Alpschweine unterwegs.

Viele sind gegangen
Derzeit steht es um den Kontrolldienst aber nicht zum Besten: «Wir haben sehr viele Mitarbeitende verloren», sagt einer der Angestellten, der lieber anonym bleibt. Darunter waren auch viele Kaderleute. Seit Beginn des letzten Jahres haben nicht weniger als zwölf Mitarbeiter(innen) den Kontrolldienst verlassen und meist wieder sehr gute Stellen gefunden. Spezialist(innen) für Tierhaltungskontrollen und die weiteren Aufgaben sind zurzeit sehr schwierig zu finden.
Gleich zu Beginn des Gespräches ist es dem STS-Mann aber sehr wichtig, festzuhalten, dass der Kontrolldienst ungeachtet der derzeit angespannten Situation funktioniert; das Team sei an Bord und führe das Tagesgeschäft motiviert weiter, so der Mitarbeiter. 2022 konnten laut der Mitteilung des STS über 2000 Tierhaltungskontrollen, rund 240 Tiertransportkontrollen und 18 Schlachthofaudits durchgeführt werden. Es handle sich um eine organisatorische und nicht eine fachliche Krise, betont der befragte Mitarbeiter.
Die Probleme sieht er in erster Linie in der Führung des Kontrolldienstes und in mangelnder Wertschätzung begründet. Der Leiter des Kontrolldienstes, der auch Einsitz in der vierköpfigen Geschäftsleitung hat, ist derzeit krankgeschrieben. Die Geschäftsführung umfasst ab Ende August nur noch drei Personen, weil Stefan Flückiger das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt verlässt (wir berichteten).

Kein Zurück zum Bisher
Der Mitarbeiter betont aber, dass es nach der Rückkehr des Leiters nicht gleich weitergehen könne wie bisher. Darüber herrsche unter den Mitarbeitenden des Kontrolldienstes breiter Konsens. Erstmals gehe das Team nun gemeinsam vor, um seine Ziele zu erreichen, sagt ein Beobachter. Dieser Teamgeist ist nicht so einfach zu erreichen, da der Kontrolldienst in Aarau, weit entfernt vom Verbandssitz in Basel, angesiedelt ist. Zudem arbeiten die Kontrolleure und Kontrolleurinnen mehrheitlich von zu Hause aus bzw. sind sie im Aussendienst unterwegs. Zwar trifft man sich zu regelmässigen Sitzungen, in Corona-Zeiten seien aber die online abgehaltenen Sitzungen aufgrund der stark wachsenden Belegschaft auch kein Quell für Teambuilding gewesen, so der Mitarbeitende auf unsere Fragen.
Diese Woche finden nun laut dem Kontrolldienstmitarbeiter noch mehre wichtige Gespräche statt. Dabei werde man über das «wie weiter» und die nötigen Anpassungen in der Führung diskutieren.