Als Swissherdbook-Präsident, Viehzüchter und Milchproduzent Markus Gerber am letzten Samstagmorgen den «Blick» liest, verschlägt es ihm die Sprache. Ausgerechnet die Migros will nicht zu den Bauern stehen? Ausgerechnet Migros, die mit der Nähe zu den Bauern wirbt? Gerber will das nicht in den Kopf. Er geht wieder in den Stall, er hat noch Arbeit. «Wie kann man sich als einfacher Bauer gegen so etwas wehren?» fragt er sich im Stall. Dann ruft er Emil Zwingli an.

Richtpreis steigt nicht

Grund für das Telefongespräch war der Richtpreisentscheid der Branchenorganisation Milch (BOM) am Mittwoch vor einer Woche und die darauffolgende Berichterstattung. Die BOM hat beschlossen, den Richtpreis für das dritte Quartal 2017 bei 65 Rappen zu belassen. Der Entscheid enttäuschte die Schweizer Milchproduzenten (SMP), was sie in einer Medienmitteilung am selben Abend noch kundtaten. Die SMP forderte an der Sitzung eine Richtpreiserhöhung um drei Rappen, konnte die Vertreter der Industrie und des Handels aber nicht überzeugen.

Coop nutzte die Gunst der Stunde und kündete ebenfalls am Mittwochabend an, den ausbezahlten Milchpreis per 1. Juli freiwillig um drei Rappen zu erhöhen.

Dass sich die SMP nach der Richtpreisverhandlung zu den Ergebnissen äussert, ist zwar die Regel, aber nicht unbedingt im Sinne des BOM-Vorstandes. Denn die Kommunikation der Vorstandsbeschlüsse obliegt eigentlich der BOM-Geschäftsstelle. Die SMP kommentiert die Entscheide in der Regel trotzdem; nicht zuletzt, um «ihren» Milchbauern den Richtpreisentscheid zu erklären und sich vom impliziten Vorwurf der Untätigkeit reinzuwaschen.

Migros gegen die Bauern

Bis am Mittwochabend vergangener Woche deutete nichts darauf hin, dass noch weitere Akteure von diesem Protokoll abweichen würden. Emmi-CEO Urs Riedener tat es dann doch. Gegenüber dem «Blick» legte er die Karten auf den Tisch. Freimütig gab er zu Protokoll, dass sich Emmi an der Vorstandssitzung mit den Bauern solidarisierte und deren Forderung für eine Richtpreiserhöhung unterstützt habe. Der «Blick» ging in seinem Artikel noch weiter und kritisierte die Migros, die «laut Branchenvertretern dagegen» stimmte.

Für Markus Gerber war das zu viel des Guten. Er wollte sich mit Emil Zwingli besprechen. Zwingli ist Viehzüchter aus Wattwil SG und hat zusammen mit Markus Gerber vor einem Jahr den Kuhlieferboykott lanciert (Die BauernZeitung berichtete). Gerber produziert Milch für eine Tête-de-Moine-Käserei. Zwingli lässt seine Milch von Walter Arnold abholen. Beide sind in der Viehzucht prägende Figuren und mit den Sorgen ihrer Kollegen vertraut. «Im letzten Winter war der schlechte Milchpreis ständig ein Thema», sagt Gerber. Die Existenzen, die am seidenen Faden hängen; Bauern, die nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll – Gerber macht das betroffen. Zwingli auch.

«Es geht nicht an, dass Migros mit den Bauern einfach macht, was sie will und sich in der BOM gegen die Produzenten stellt», sagt Zwingli am Montag.

Gute Lösungen sind schwierig

Doch Emil Zwingli und Markus Gerber sind keine Milchfunktionäre und für sie ist guter Rat teuer. Lösungen sind nämlich meist kompliziert, arbeitsintensiv und vom Zugang zu den einzelnen Akteuren abhängig. Dem Ärger über das Migros-Verhalten wollen sie trotzdem Luft machen. Sie beschliessen, per SMS zum Migros-Boykott aufzurufen. Die SMS ist dabei einfach und schnell zu organisieren. Für Gerber, Zwingli und die Bauern. «Die Landwirte müssen nicht vom Hof weg, sie können sich trotzdem einfach und rasch beteiligen», sagt Gerber. 

Am Samstagmorgen machen sich Zwingli und Gerber daran, den Textentwurf zu schreiben. Sie orientieren sich am Text vom Kuhlieferboykott, wollen sogar die gleichen Parlamentarier gewinnen, den Boykott mitzutragen. Doch dann missglückt die angedachte Kampagne: Am Samstagnachmittag, kurz nach dem Telefongespräch, gelangt der Textentwurf der SMS in Umlauf.

Trotz Panne viel Echo

Die mitunterzeichnenden Nationalräte Andreas Aebi (SVP/BE), Toni Brunner (SVP/SG) und Erich von Siebenthal (SVP/BE) distanzieren sich rasch vom Aufruf, wollen nicht mit dem Boykott-SMS in Verbindung stehen. Nur Marcel Dettling (SVP/SZ) lässt sich als Bundesparlamentarier einspannen. Neben ihm, Zwingli und Gerber unterstützt auch Milchbauer Martin Haab aus Mettmenstetten ZH den Migros-Boykott. Haab betont später, dass er den Text für noch nicht ausgereift hält.

Trotz der Panne nehmen viele Landwirte die SMS auf und tragen sie weiter. Über Whatsapp, Facebook und SMS verbreitet sich die Nachricht in der Deutsch- und Westschweiz. Und im «Blick» wird die Bauernaktion in mehreren Berichten thematisiert. 

Und so treten dann auch Politiker wieder auf den Plan. Andreas Aebi kündet noch am Wochenende im «Blick» ein Treffen mit Migros-Vertretern an, das am Mittwoch in Bern stattfand (siehe Kasten). Am Montag zeigte sich Gerber überrascht, dass die Aktion ein derartiges Echo auslöste. «Wir wollten sicher nichts zerstören. Aber wir wollten eine einfache Möglichkeit zur Mitsprache schaffen», sagt Gerber.

Dem Tatendrang von Gerber gegenüber steht die technische Kühlheit von BOM-Geschäftsführer Stefan Kohler. «Der Schuss kann auch nach hinten losgehen», sagt er. Wenn Konsumenten wegen der Aktion denken, dass die Migros die Produzenten sowieso schlecht bezahle und deshalb dann im Ausland und nicht mehr in der Migros einkaufen würden, «dann ist das gefährlich.»

Als in der Berichterstattung dann noch Spekulationen über das Abstimmungsverhalten der einzelnen BOM-Vorstandsmitglieder ins Kraut schossen, sah sich Kohler zum Handeln gezwungen. Am Montag verschickte er eine zweite Mitteilung. Er dementiert das Gerücht, wonach einzelne BOM-Vorstandsmitglieder für das Verhandlungsresultat verantwortlich sind. So haben sich verschiedene Exponenten der Verarbeiter enthalten oder gegen den Erhöhungsantrag der Produzenten gestimmt.

Migros reagierte auch

Nicht nur die BOM, sondern auch die Migros hat sich zu einem Communiqué durchgerungen. Am Montagabend verweist der Detailhändler auf die Tatsache, dass Migros im Vergleich mit der Konkurrenz einen um zehn Prozent höheren Milchpreis (5,7 Rappen) ausbezahlt. Das Aufschliessen von Coop ist vor diesem Hintergrund  eigentlich längst überfällig. Elsa, die Migros-Molkerei, macht keine Überschussverwertung und stellt kaum Exportprodukte her und kann als einzige Schweizer Grossmolkerei den Richtpreis franko Rampe auszahlen. Zwar ist der Transportkostenabzug zum Teil bedeutend, aber Abzüge für Importabwehr oder für die Finanzierung von Schoggigesetzlücken sind der Elsa fremd – ganz im Gegenteil zu Hochdorf, Cremo und Emmi, die die Bauern teilweise kräftig zur Kasse bitten.

Lieferanten stützen Elsa

Die Elsa-Lieferanten sind dann auch mässig überzeugt, dass der Migros-Boykott die richtige Massnahme ist. «Die Migros hält sich grundsätzlich an den Richtpreis», sagt einer von ihnen. Dass man in Zeiten von Absatzschwierigkeiten den Richtpreis nicht unbedingt erhöhe, könne er nachvollziehen. «Aber es ist schon auch so, dass man als Produzent gerne einen etwas höheren Preis hätte», fügt er an.

Markus Gerber und Emil Zwingli betonen, dass man niemanden vor den Kopf stossen wollte. «Wir wollten nur auf das Abstimmungsverhalten von Migros aufmerksam machen», sagt Gerber. Dass an der Aktion vor allem die BOM keine Freude hat, war Gerber schon von Anfang an klar. Die Reaktion lässt ihn aber kalt. Schliesslich hat er gemacht, was er für richtig hielt: den Bauern eine Möglichkeit gegeben, ihren Frust zu äussern.

Die Aktivitäten der letzten Woche zeigen, dass dies gelungen ist und zu weiteren Gesprächen geführt hat.

Hansjürg Jäger