Es ist ein sonniger Tag Ende März im unteren Toggenburg auf dem Maihof.
Auf der Weide steht fausthohes
Gras. Nächste Woche, so erzählt
es Landwirt Peter Gämperli auf dem Weg zur Transformatorenstation der Dorfkorporation Schwarzenbach, würden hier seine Kühe weiden.
Die Gemeinde kassiert eine 700-fach höhere Entschädigung
Unter den Füssen verlaufen Leitungen der Wasser- und Stromversorgung und Drähte der Telekommununikation. Nach rund 300 Metern gelangt man zum Stromtransformator, der auf Gämperlis Land steht und für den er eine 25-jährige Baurechtsentschädigung erhält. Gämperlis Boden wird intensiv genutzt, denn insgesamt 6500 Meter Wasser-, Kabel-, Telefon- und Kanalisationsleitungen führen durch sein Grundstück.
Weil die Leitungen durch Gämperlis Land zur Grundversorgung gehören, wurde das Durchleitungsrecht bei der Leistungsanpassung im Enteignungsverfahren durch die Dorfkorporation erzwungen und Gämperli gemäss der Eidgenössischen Schätzungsskommission mit pauschal 10 000 Franken für ein
auf 25 Jahre befristetes Durchleitungsrecht der Wasser- und Stromleitungen und für «vorprozessuale Inkonvenienzen und Verzugszinsen» mit 15 000 Franken entschädigt. Ausserdem muss die Dorfkorporation Schwarzenbach Gämperlis Anwaltskosten tragen.
«Das Geld brauche ich für den normalen Unterhalt meiner Liegenschaft, wenn es dann endlich auf meinem Konto ankommt», plant Gämperli. Richtig freuen kann sich Gämperli nicht, weil er sicher weiss, dass er in einem krassen Verhältnis von 1 zu 700 schlechter entschädigt wird als seine politische Wohngemeinde Jonschwil, die 0,6 Rappen je Kilowattstunde (kWh) kassiert.
«Die Dorfkorporation und die St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) als zwei von drei Stromversorgern lieferten der politischen Gemeinde Jonschwil 2013 für das Durchleitungsrecht insgesamt 86 39 Franken ab, und für 2014 budgetierte die Gemeinde Jonschwil 135 00 Franken für die Benützung des öffentlichen Grundes wegen der neuen Stromgesetzgebung», empört sich Gämperli.
Der Kanton Zug hat die Entschädigungen angepasst
Seinen Unmut teilte Gämperli kürzlich dem zuständigen sanktgallischen Regierungsrat Willi Haag mit, der im Verwaltungsrat der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) sitzt. In seinem Schreiben betonte Gämperli, dass sich der Kanton Zug kürzlich für Anpassungen der Entschädigungsansätze für das Durchleitungsrecht, das zwischen dem Schweizer Bauernverband (SBV) und dem Branchenverband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) abgeschlossen sind, ausgesprochen habe. Im Kanton Zug seien denn auch schon 2009 die Entschädigungen für das Durchleitungsrecht angehoben worden.
Verhandlungen stocken
Seit 2012 laufen zwischen SBV und VSE Verhandlungen über ein neues Abkommen für das Durchleitungsrecht, die vor sich hin dümpeln. Bis auf Weiteres gelten deshalb für die Eidgenössische Schätzungsskommission die alten Ansätze zwischen VSE und SBV.
Der St. Galler Grossrat und Geschäftsführer des St. Galller Bauernverbands, Andreas Widmer, richtete auf die Anregung Gämperlis am 12. Februar dieses Jahres eine einfache Anfrage die St. Galler Regierung betitelt mit: «Kanton St. Gallen und SAK – ist Unabhängigkeit gewahrt?»
Widmer schreibt, dass der Kanton St. allen Mehrheitsaktionär an der SAK-Holding sei und dass zwei Regierungsräte im SAK-Verwaltungsrat sitzen. Widmer stellt der Regierung vier Fragen, wovon die zwei hier verkürzt aufgeführten:
- Kann der Regierungsrat trotz seiner Doppelrolle die Grundeigentümerrechte in jedem Fall gewähren?
- Wie verhält sich der Regierungsrat bei Fragen um Durchleitungsrechte, Enteignungen, Landumlegungen und Netzausbauten, wenn die SAK als Bauherrin gegenüber Dritten in einem Rechtsverfahren steht?
Eine Antwort des St. Galler Regierungsrats auf seine Anfrage «Kanton St. Gallen und SAK – ist Unabhängigkeit gewahrt?» sei noch nicht eingetroffen, sagt Widmer.
Zwei Nationalräte wollen Enteignungsgesetzes-Revision
Für eine zeitgemässe Entschädigung der Landwirte wäre
nicht nur eine Anpassungen der Entschädigungsansätze für das Durchleitungsrecht zwischen SBV und VSE nötig, sondern auch dringend eine Totalrevision des «Bundesgesetzes über die Enteignung».
Deshalb haben der St. Galler CVP-Nationalrat und SBV-Präsident Markus Ritter und vier mitunterzeichnende Nationalräte am 21. März des letzten Jahres die Motion «Marktkonforme Entschädigung der Enteigneten» eingereicht. In der Motion wird gefordert, dass das Bundesgesetz über die Enteignung vom 20. Juni 1930 einer Totalrevision unterzogen wird. Ritter führt folgende Gründe auf:
- 1930 wurde Boden nur für die öffentliche Hand enteignet, hingegen heute für privatisierte Aktiengesellschaften.
- Damit Boden nicht zu günstig enteignet wird und die Enteigner daraus wirtschaftliche Vorteile ziehen, soll der Preis auch ausserhalb der Bauzone marktwirtschaftlich bestimmt werden. l nteignungsrecht kann heute für Hochwasserschutz, Antennen, Leitungen, Entsorgungen, Golfplätze, ökologische Ausgleichsflächen und Leitungen beansprucht werden.
- Deshalb soll nicht nur der künftige Schaden, sondern auch der künftige Nutzen des enteigneten Bodens entschädigt werden.
SBV verlangt ein Ende der Enteignungen zum Billigtarif
Eine weitere Motion des Tessiner CVP-Nationalrats Fabio Reggazzi will ebenfalls eine Totalrevision des «Bundesgesetzes über die Enteignung» aus verfahrenstechnischen Gründen, weil darin auf inzwischen aufgehobene Gesetze verwiesen wird.
Der Bundesrat antwortet, dass er beschlossen habe, den Revisionsbedarf der Enteignungsgesetzgebung vertieft abzuklären. In dieser Überprüfung seien sowohl die nötigen verfahrensrechtlichen Anpassungen vorzunehmen wie auch die Überprüfungen der für die Entschädigung der Enteigneten massgebenden Artikel.
Der SBV verlangte letztes Jahr in einem Brief an die Umwelt- und Verkehrskommission (Uvek), dass bei der Revision des Enteignungsgesetzes der Landwirtschaftsboden nicht mehr
zu günstig und bis zu 100 Mal billiger enteignet werden dür
fe als das Bauland.
Auch ausserhalb vom Baugebiet solle
die Enteignungsentschädigung marktwirtschaftlich und entsprechend der künftigen Nutzung bestimmt werden, denn dieser Boden werde überbaut.
Hans Rüssli