Sie sitzen in der gemütlichen Stube vor dem Adventsgesteck: Therese und Ernst Messerli aus dem bernischen Detligen. Er sitzt im Rollstuhl, sie am Tisch. Blicke gehen hin und her. Rasch wird klar, dass es zwischen diesem Alt-Bauernpaar eine ganz besondere Verbindung gibt. Eine Bindung, die auf gutem Fundament gebaut ist. Wäre das anders, sässe Ernst Messerli nicht in seiner Stube. Dann befände er sich im Pflegeheim, wo er nach Ansicht verschiedener Fachleute auch hingehörte. Aber nicht nur er sah das anders – auch seine Frau hatte andere Pläne.
«Nur keinen Gemüsebauern»
Aber nun schön der Reihe nach. Therese Messerli-Scheurer wuchs im Grossen Moos als Tochter eines Gemüsebauern auf. Das Freiburger Bauernmädchen liebte das Tanzen, deshalb trat es baldmöglichst in eine Trachtengruppe ein. Beim Tanzen lernte Therese Scheurer denn auch ihren späteren Mann, Ernst Messerli, kennen. Bald wurde aus der Freundschaft Liebe und so heirateten Therese und Ernst 1972.
Therese Messerli: «Für mich war klar: Ich will sicher nie einen Gemüsebauern heiraten – nur das nicht. Ein Bauer mit Kühen konnte ich mir aber durchaus vorstellen.» Auf dem 18-Hektaren-Betrieb zogen Messerlis drei Kinder gross: eine Tochter und zwei Söhne. «Ich arbeitete sehr viel im Stall und im Freien, war mit Leib und Seele Bäuerin.» Als die Kinder erwachsen waren, absolvierte Therese Messerli den Pflegehelferinnenkurs des Roten Kreuzes. Fortan arbeitete sie auf dem Hof und dazu in einem 60-Prozent-Pensum in einem Altersheim.
Essen, Trinken, Gehen – nichts war mehr möglich
2010 geschah es. Nach einem gemütlichen Wochenendausflug mit dem Jodlerchörli Frieswil weilte Ernst in einem Gasthof. Es sei ihm plötzlich übel geworden – danach weiss er nichts mehr, bis er sich an seinen Aufenthalt im Ziegler-Spital in Bern erinnert. Dazwischen waren viele Tage Intensivstation im Inselspital in Bern. «Daran kann ich mich nicht erinnern», sagt der jetzt 67-Jährige.
Seine Frau aber kann das sehr gut! «Für mich war es schlimm, als ich einen Telefonanruf aus dem Inselspital bekam. Schonend wurde mir beigebracht, dass mein Mann auf der Intensivstation liege und es ihm nicht gut gehe. Natürlich fuhr ich sofort hin. Der Schreck war gross, als ich meinen Ernst unter unzähligen Schläuchen und Geräten entdeckte – er war so ruhig, machte gar nichts mehr.»
Therese Messerli erfuhr, dass ihr Mann eine Hirnblutung erlitten hatte und deshalb eine Operation vorgenommen werden musste. «Ich war starr vor Schreck. Die nächsten Tage waren sehr schlimm – aus meiner Sicht ging es nicht aufwärts.»
«Ich fühlte mich total macht- und hilflos»
Als die Lebensgefahr gebannt war, wurde Ernst Messerli ins Ziegler-Spital verlegt. Beim Umzug fragte Therese Messerli den behandelnden Arzt, wie er sich die Genesung ihres Mannes vorstelle, was nach der Halbseitenlähmung und den vielen Problemen wieder möglich sein werde. Die Antwort sei kurz und bündig gewesen: «Frau Messerli, Wunder können immer geschehen.»
Diese Antwort hat Therese Messerli tief getroffen. «Ich stellte mir unzählige Fragen.» Ernst konnte auch mit sorgfältigster Hilfe weder essen noch trinken. Ständig kam die Flüssigkeit an den falschen Ort. Daraus resultierten Lungenentzündungen. Das war der Grund, warum dem Patienten eine Magensonde gelegt werden musste.
Therese besuchte ihren Gatten täglich. «Ich war zwischen Mann und Stall hin- und hergerissen. Mein Mann brauchte mich, mein Sohn hätte mich auf dem Hof gebraucht Ich kam an meine Grenzen, fühlte mich total macht- und hilflos.» Ende Oktober schaffte es Ernst, die linke grosse Zehe etwa einen Millimeter zu bewegen.
Das Ziel war klar – darauf wollte Ernst hinarbeiten
Von Oktober 2010 bis Januar 2011 weilte Ernst in der Rehabilitation im bernischen Tschugg. Über diese Zeit sagt seine Frau: «Hier wurde Ernst kompetent gefördert, hier konnte er vieles wieder neu lernen.» Ernst und Therese Messerli schauen sich liebevoll an und Ernst sagt, dass er ein einziges grosses Ziel hatte: «Ich wollte irgendwann wieder gehen können und unseren Kühen Heu füttern.» Natürlich habe niemand geglaubt, dass das je wieder möglich sein werde. Ernst habe aber einen ungeheuren Willen gehabt.
Nach der Rehabilitation in Tschugg kam Ernst in ein Pflegeheim. Therese Messerli: «Was ich dort sah und erleben musste, brachte mich beinahe um. Innert kürzester Zeit konnte Ernst vieles nicht mehr, was er mühsam antrainiert hatte. Jetzt wollte ich nur eines: Ernst nach Hause holen. Ich spürte zwar, dass man mir die Pflege nicht zutraute und auch nicht zumuten wollte. Ich gab aber nicht nach. Ich ging einen Tag ins Pflegeheim und schaute bei der Pflege zu. Und kurz darauf kam mein Ernst nach Hause.»
«Ich muss auf vieles verzichten – aber es stimmt für mich»
Jetzt ist Ernst schon lange Zeit zu Hause. Hier arbeitet und trainiert er hart – jetzt kann er mit seinem Rollator wieder gehen. Er schafft es tatsächlich, ein paar Kühen etwas Heu in die Krippe zu geben – so lange parkiert er den Rollator. Auf die Frage, ob ihr die Pflege nie zu viel werde, antwortet Therese: «Es ist schon nicht immer einfach. Wir haben einander versprochen, in guten und schlechten Tagen füreinander da zu sein. Das gilt für mich.» Es sei immer ein wunderbares Gefühl, wenn ihr Ernst danke sage und seine Dankbarkeit zeige.
Beide Partner sind sich einig, dass ihre beiden Grosskinder und gemeinsame Ferien oder Carausflüge das Schönste für sie sind. «Dann ist Therese nicht so müde und hat viel Zeit für mich», sagt Ernst.
Die Bäuerin ist froh, dass freitags jeweils die Spitex kommt und Ernst anschliessend eine Tagesstätte für Senioren aufsucht. «So habe ich einen freien Tag. Den brauche ich, denn das ständige Organisieren verlangt viel, und ich will und muss bei Kräften bleiben.» Therese Messerli sagt offen, dass sie als Folge der intensiven Pflege auf einiges verzichten müsse – so beispielsweise aufs Wandern. «Alles kann man halt nicht haben.» Beide Partner wünschen sich, möglichst gesund zu bleiben.
Der heimliche Wunsch von Therese wäre ein Helikopterflug über die Alpen, jener von Ernst, dass Therese baldmöglichst wieder mit ihm in die Ferien komme und dann ganz viel Zeit für ihn habe. Die beiden sind sich einig, dass sie mit der gegenwärtigen Situation zufrieden sind. Therese sagt: «Dass sich Ernst so gut erholt hat, kommt tatsächlich dem besagten Wunder gleich.»
Agnes Schneider Wermelinger