Kein Schweizer Mastkalb soll an einem Eisenmangel leiden. Nach zähem Ringen hat man vor gut zehn Jahren die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen und nach und nach die Fütterungsvorschriften verschärft. Eigentlich alles gut?

Mitnichten. Zu rotes Kalbfleisch wird nach wie vor mit einem Preisabzug bestraft. Und der Schweizer Tierschutz hat herausgefunden, dass bis zu 56 Prozent der Kälber an einem Eisenmangel litten. Das sagte Alice Raselli an der 18. Nutztiertagung des Schweizer Tierschutz (STS) vom letzten Freitag in Olten SO.

Grundlage für die Aussage war eine Untersuchung, die Raselli gemeinsam mit Kollegen vom Tierschutz vor zwei Jahren vornahm. Damals hat man bei insgesamt 1058 Kälbern die Eisenversorgung untersucht, indem man den Hämoglobingehalt im Blut gemessen hat. Hämoglobin ist ein Blutbestandteil, bindet Eisen und macht nicht nur das Blut rot, sondern auch den Eisengehalt messbar.

Normwerte kritisiert

Dass der Tierschutz solche Ergebnisse präsentierte, passte nicht allen. So übten einzelne Personen methodische Kritik am Vorgehen des Tierschutzes. Auf Nachfrage der BauernZeitung wurden die Kritikpunkte dann bestätigt, kurz vor Redaktionsschluss hat man dann die Zitate aber zurückgezogen, man wollte mit der Kritik am Tierschutz plötzlich nicht mehr in Verbindung gebracht werden.

Im Kern der Kritik geht es um zwei Dinge: Erstens habe der Tierschutz für die Bestimmung der Norm-Werte auf Mutterkuhkälber zurückgegriffen. Ausserdem gibt es für die ausreichende Hämoglobin-Versorgung bei Kälbern keine Referenzwerte, sondern lediglich von den Studienautoren definierte Normalwerte.

Claus Mayer hat die STS-Studie mitverfasst. Die Kritik nimmt er ziemlich gelassen. «Es ist üblich, dass man Normwerte von einem Mittelwert plus minus zwei Standardabweichungen definiert», sagt er. Dass man Natura-Veal-Kälber als Grundlage für die Berechnung der Normwerte verwendete, liegt in einer einfachen Tatsache begründet: Der Tierschutz stellt das Tierwohl an die erste Stelle. Und er geht davon aus, dass Mutterkuh-Kälber so aufwachsen, wie das in der Natur der Fall ist - und entsprechend auch gesund sind. 

Nicht ganz korrekt

Dass der Tierschutz in der Kommunikation getrickst hat, fällt erst beim Durchlesen der Tierschutz-Studie auf.  Denn von den 1058 untersuchten Kälbern wiesen «nur» 346 Tiere einen zu tiefen Hämoglobingehalt im Blut auf. Das sind 32,7 Prozent, nicht 55,8 Prozent. Immerhin kommt auch der hohe Wert von 55,8 Prozent mangelernährter Kälber in der STS-Studie vor. Nämlich bei den Kälbern, die in der Kategorie «Coop Naturafarm mit Fütterungsfehler» untersucht wurden. 

Situation verbessert

Allen Diskussionen zum Trotz: Im Vergleich zur ersten STS-Studie, die 2010 durchgeführt wurde, hat sich die Situation nur leicht verbessert. Damals zeigten gut 38 Prozent aller Kälber Symptome eines Eisenmangels.

Tierärztin Corinne Bähler hat in der Vergangenheit viele Kälber auf ihre Eisenversorgung untersucht und bestätigt, dass Eisenmangel nach wie vor verbreitet ist. Doch woher kommt diese Eisenunterversorgung bei den jungen Kälbern? «In der Natur würden die Kälber im Frühling auf der Weide oder im Wald zur Welt kommen. Schon bald würden sie ihre Nase an den Boden halten und die Erde abschlecken. So kann es Eisen aufnehmen. In unseren Haltungssystemen werden junge Kälber oft auf Beton mit Stroheinstreue gehalten. Daher muss der Bauer dafür sorgen, dass das Kalb mit genügend Eisen versorgt ist.» 

Aufnahme ist individuell

Allerdings gibt es eine Schwierigkeit: Die Blutwerte sind je nach Kalb individuell. «Kälber sind keine Maschinen», sagt Bähler. Man könne die Kälber nicht dazu zwingen, das Eisen, das man ihnen gibt, aufzunehmen. So sei es in einer gut versorgten Kälbermastgruppe normal, dass jeweils rund 25% der Tiere rotes bis dunkelrotes Fleisch und 25% der Tiere helles Fleisch haben. Aufmerksamkeit sei dann geboten, wenn alle Kälber vom selben Betrieb bei der Schlachtung wiederholt zu helles Fleisch aufweisen. Da sollte der Betrieb über die Bücher gehen. Wissenschaftlich wird dem begegnet, in dem man eine Spannbreite bei den Normwerten zulässt. In der Realität können jedoch Tiere, die eigentlich gesund sind, eine Unterversorgung ausweisen. Bei anderen ist es umgekehrt.

Tipps für die Praxis

Den Landwirten empfiehlt Bähler, dem Kalb ab der zweiten Lebenswoche den Zugang und die Aufnahme von Eisen zu erleichtern. Das kann man mit einem Kübel Erde oder während der trockenen und warmen Monate mit Weidegang lösen. Als Alternative verabreicht man dem Tier Eisenpaste oder eine Eisenhaltige Lösung als Spritze. Wichtig ist, dass Kälber in den ersten Lebensmonaten mit genügend Eisen versorgt sind, um ihr Immunsystem optimal aufbauen zu können.

Jasmine Baumann 
Hansjürg Jäger