Wer Tansania hört, denkt in erster Linie an Sansibar, die Serengeti, an Löwen, Zebras, Gnus und die grosse Migration derselben. Tansania ist aber noch viel mehr als eine beliebte Reisedestination für Touristen. Tansania ist flächenmässig fast 25-mal grösser als die Schweiz, nach Bevölkerung das sechstgrösste Land Afrikas und Heimat von etwa 125 verschiedenen Sprachen.

Tansania ist aber auch eines der ärmsten Länder der Welt. Während in der Schweiz etwa 3,5 Mrd Franken direkt und indirekt für die Landwirtschaft und weitere 4,5 Mrd für die Landesverteidigung ausgegeben werden, verfügt der Staat Tansania trotz seiner Grösse über ein Regierungsbudget von 5,2 Mrd. USD. Alleine die Schweizer Ausgaben für Landwirtschaft und Landesverteidigung übersteigen den Gesamtetat, über den Präsident John Magufuli und sein Parlament verfügen können. Nach wie vor kann ein Drittel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, Berufsbildung wie wir sie kennen existiert praktisch nicht.

Von den jedes Jahr 800'000 - 1'000'000 neu in den Arbeitsmarkt eintretenden jungen Menschen kann die Wirtschaft nur etwa 300'000 beschäftigen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein grosses Problem. Gleichzeitig arbeiten etwa 70% der Bevölkerung in der Landwirtschaft - vorwiegend Selbstversorgung - und steuern rund 30% zum BIP bei. Pro Kopf beträgt das Bruttoinlandprodukt nicht einmal 1000 US-Dollar pro Jahr. Wie in vielen Entwicklungsländern ist Korruption ein Dauergast im Alltag, unter der Bürokratie und der Vetternwirtschaft leidet generell die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wie auch das Vertrauen in die Regierung.

Jung, jünger, am jüngsten

 

Doch die Vereinigte Republik Tansania, wie das Land richtig heisst, ist nicht nur gut, um Klischees über Entwicklungsländer und den afrikanischen Kontinent zu bestätigen. Tansania ist noch viel besser, um diese Klischees zu widerlegen. Denn das Land ist sehr jung - etwa 65% der Bevölkerung sind unter 35.

Und die Tansanier blicken auf eine reiche Geschichte zurück. Es war 1961 das erste ostafrikanische Land, dass die Unabhängigkeit von der britischen Krone erlangte. Und es war der damalige Präsident Julius K. Nyerere, der selbst für Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela ein grosses Vorbild war. Nyerere trug massgeblich dazu bei, dass die Ostafrikanische Gemeinschaft gegründet werden konnte. Und es war Nyerere, der mithalf, dass Kenia ein Jahr später auch unabhängig werden konnte.

Bis heute wirkt das Vermächtnis des Vaters der Nation - oder Baba wa taifu - wie er auf Suaheli ehrfürchtig genannt wird, nach. Sein Konterfei ist in allen Regierungsgebäuden auf einem vergilbten Foto zu finden. Obwohl Nyerere 1999 in London starb, seine Ideen sind geblieben. Und sie leben zu einem guten Teil in John Pombe Magufuli weiter. Dieser ist seit November 2015 Präsident der Republik. Ihm wird attestiert, dass er mit dem Kampf gegen die Korruption ebenso ernst macht, wie mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass seine Rezepte sehr stark an jene von Nyerere erinnern. Manche Beobachter halten diesen "Post-Nyerereismus" für verfehlt und nicht angebracht, da sich das Umfeld zu stark gewandelt habe.

Grosse Herausforderungen

Rein rechnerisch ist Tansania ernährungssouverän und kann sich mit Nahrungsmitteln selbst versorgen. Allerdings steht auch die tansanische Landwirtschaft vor grösseren Umwälzungen:

Landflucht: Immer mehr junge Menschen ziehen in die Städte und ihre Vororte. Sie machen das, weil sie sich dort bessere Verdienstchancen ausrechnen. Die Landwirtschaft ist in ihren Augen unattraktiv und nicht entwicklungsfähig. Zurück bleibt die ältere Generation.

Fehlende Technologie: Gleichzeitig fehlt den Bauern einerseits das Geld, um in neue Technologien wie Bewässerungsanlagen investieren zu können. Allerdings sind auch die Technologien nicht überall einfach so verfügbar. Dasselbe gilt für Wissen zum richtigen Anbau und dem richtigen Management. Kleine, mittlere und grosse nationale wie internationale Organisationen arbeiten daran, dies zu ändern und Technologie verfügbar zu machen.

Land-Grabbing: Historisch bedingt unterhalten Tansania und China sehr enge Beziehungen. Und das führt mitunter dazu, dass sich die Chinesen grosse Landstücke pachten und für den Anbau von Sisal und anderen Pflanzen unter den Nagel reissen. In der Bevölkerung sind die Chinesen trotz ihrer enormen Wirkung für Infrastrukturbauten deshalb ziemlich unbeliebt.

Partnerschaften: Zwar sind die tansanischen Kleinbauern formell eher schlecht organisiert. Allerdings ist die Ernährungskette ein Mikrokosmos von tausenden von Akteuren, die mehr oder weniger eng kooperieren. Die Lebensmittelversorgung ist dadurch zwar sehr chaotisch und von aussen kaum zu überblicken. Gleichzeitig ist das System der Nahrungsmittelbereitstellung sehr schocktolerant. Kaum ein Akteur ist "too big to fail" oder so marktmächtig, dass er Lieferanten oder Konsumenten zu stark unter Druck setzen könnte.

Lebensmittelverluste: Trotzdem bleibt in diesem System ein grosses Problem. Lebensmittelverluste. Weil es wenig grosse Firmen gibt, ist auch die Verarbeitung und Lagerung von Lebensmitteln mehr dem Zufall als dem gezielten Einsatz von Technologie zu verdanken. In der Folge geht bis zu einem Drittel der produzierten Nahrung verloren, bevor sie auf dem Teller der Menschen landen könnte.

Hansjürg Jäger, lid