BauernZeitung: Herr Herren, Sie sind Kovorsitzender des Weltagrarrates und Bürger des Agrarlandes Schweiz. Befürworten Sie die Stossrichtung des Bundesamtes für Landwirtschaft?

HANS HERREN: Ich finde es sehr gut, dass das BLW sich Gedanken macht, wie eine Schweizer Landwirtschaft aussehen muss, damit sie die Ansprüche der Konsumenten erfüllt, den Bauern eine befriedigende berufliche Tätigkeit sowie einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht und zugleich den Anforderung an eine ökologische und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion genügt.

Strukturell verkleinert sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe stetig, und sie werden tendenziell immer grösser. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?

HERREN: Für die ideale Betriebsgrösse gibt es kein allgemeingültiges Mass. Generell ist eine «menschengerechte» Grösse wünschenswert: Der Betrieb soll so dimensioniert sein, dass er die Bauernfamilie nicht überfordert, so dass diese die Übersicht bewahrt. Natürlich muss er auch ein anständiges Auskommen bieten. Es wäre an sich wünschenswert, dass die Bäuerinnen und Bauern von ihren Produkten leben könnten und keine Zuschüsse bräuchten. Dies würde Produzentenpreise erfordern, welche die wahren Kosten decken, die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Bauern für die Biodiversität, die Landschaft und die Erhaltung der Ökosysteme abgelten und darüber hinaus noch einen angemessenen Gewinn abwerfen.

Die Nahrungsmittel würden damit ein bisschen teurer. Die Preise für Bioprodukte sind auch höher, weil sie der Kostenwahrheit näher kommen. Längerfristig würden andererseits nicht bloss die Subventionen wegfallen, sondern auch ein Teil der Umwelt- und Gesundheitskosten, die heute die öffentliche Hand berappen muss. Dies erfordert allerdings einen grundlegenden Kurswechsel im globalen Landwirtschafts- und Ernährungssystem. Dafür braucht es auf nationaler wie auf internationaler Ebene den politischen Willen, der zur Zeit noch fehlt.

 Im Weltagrarbericht von 2008, bei dem Sie Mitautor waren, werden Kleinbauern als effizienter und für die Sicherung der Ernährungssouveränität sinnvoller bezeichnet, als industrielle Landwirtschaftsbetriebe. Wie ist das möglich?

HERREN: In Kleinbetrieben haben die Bauernfamilien die Kontrolle über Produktion bis in alle Einzelheiten. Sie behalten die Übersicht, können auf neue Anforderungen und Bedingungen rasch reagieren. Das menschliche Fingerspitzengefühl kommt zum Zug. Derzeit produzieren die Kleinbauern weltweit auf weniger als 50 Prozent des Agrarlands rund 70 Prozent der Nahrungsmittel. Eine kleinbäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft ist auch weniger abhängig von Importgütern wie zum Beispiel Kunstdünger und Pestiziden. Sie kann bestmöglich Ernährungssicherheit und -souveränität gewährleisten.

Aber wenn wir nur schon die Skalenerträge anschauen, ist doch klar, dass wenn von einem Produkt grössere Stückzahlen produziert werden, der Herstellungsaufwand pro Stück sinkt. Die Hektarenerträge in Australien oder der USA sind höher als diejenigen in Indien. Oder?

HERREN:Nicht unbedingt und vor allem nicht, wenn man die externen sozialen und ökologischen Kosten in die Rechnung mit einbezieht. Was die Hektarerträge betrifft, sind diese in den USA eher tiefer als in Europa, und oft nicht viel höher als in Indien oder Lateinamerika. Denn Kleinbetriebe setzen pro Hektare zwar generell weniger um, aber sie setzen auch  weniger Hilfsmittel ein, dafür aber mehr Arbeitskraft. Zudem haben industriell produzierte Nahrungsmittel einen geringeren Nährwert als solche aus nachhaltiger Landwirtschaft oder Biolandbau.

 Gelten die Befunde des Weltagrarberichtes vor allem in Entwicklungsländern, oder sollten Ihrer Ansicht nach auch in der Schweiz Kleinbauern mehr gefördert werden?

HERREN: Die Befunde sind – an die örtlichen Verhältnisse angepasst – auch für die Schweiz gültig. Wir haben zusammen mit dem globalen Report auch fünf regionale Berichte publiziert, worunter einer für Europa. Zurzeit wird im BLW diskutiert, wie dieser Bericht in die längerfristige Gestaltung der Schweizer Landwirtschaft einfliessen kann.

Interview Nadine Baumgartner