BauernZeitung:  Osterzeit war einmal Kalbfleischzeit. Bald ist Ostern und die Kälberpreise sinken um 60 Rappen je Kilo auf 13 Franken. Was ist los?


Samuel Graber: Im Bereich Terra-Suisse-Kalbfleisch ist das Angebot knapp, weil Migros Aktionen macht. Bei den QM-Kälbern hat es genug, hier hat es Rückstaus. Aber dass deswegen jetzt vor Ostern die Kälberpreise um 60 Rappen sinken, hat mich schon erstaunt.


In den Händlerkreisen munkelt man bereits von 12 Franken je Kilo Schlachtgewicht, weil ab dann Proviande Lagerbeiträge bezahle. Sieht es so schlimm aus auf dem Kälbermarkt?


Graber: 12 Franken sind viel zu tief für uns bäuerliche Kälbermäster! Mit solchen Preisen können wir nicht mehr kostendeckend produzieren, erst recht nicht seit 2013 die neuen Fütterungsvorschriften gelten, wo die Kälber jederzeit Heu und Wasser zur Verfügung haben müssen.


Und jetzt mästen die Milchbauern selber Kälber, weil das besser rentiert als Milch abliefern. Was bedeutet das?


Graber: Das heisst, bald kommen diese Kälber zusätzlich auf den Markt und das erhöht den Preisdruck.


Letztes Jahr sind fast 10'000 Kälber verendet oder wurden vorzeitig geschlachtet. Schadet das dem Image des Kalbfleisches?


Graber: Die Konsumenten denken dabei leider sofort an «Kälber-Baby-Schlachtungen». Solche Schlagzeilen wollten wir 2011 mit dem damaligen «Wurstkälberprojekt» verhindern. Offenbar werden weiterhin junge Kälber geschlachtet, einfach ohne Beiträge. Ich wäre dafür, den Milchbauern für solche Kälber einen Beitrag zu bezahlen, damit diese Kälber gemästet werden.


Stimmt es, dass in der Westschweiz Milchrassenkälber nach der Geburt getötet werden?


Graber: Mir selber ist kein Fall bekannt, wo solches vorgekommen wäre. Immer nur spricht man davon vom Hörensagen, aber von konkreten Fällen weiss niemand etwas. Für ein grundloses Totschlagen eines neugeborenen Kalbes brauchte es einen abgebrühten Kerl! Ein gesundes Kalb hat es verdient, dass man es füttert und wenn es nur 120 bis 160 Tage sind. Dann hat man beim Schlachten Wurstfleisch und daneben noch ein paar Kalbsplätzli.


Es wird weniger Kalbfleisch gegessen. 2004 waren es 3,5 Kilo, letztes Jahr noch 2,9 Kilo je Kopf der Bevölkerung. Warum sinkt der Konsum?


Graber: Logisch, dass der Kalbfleischkonsum je Kopf sinkt, wenn man das Total auf immer mehr Köpfe verteilen muss! In der Schweiz Jahr leben jedes Jahr 80'000 Personen mehr, aktuell sollen es 8,3 Millionen sein. Die Leute, die zu uns ziehen, sind nicht Kalbfleischkonsumenten, aber der einheimische Kalbfleischkäufer ist ein treuer Kunde, der weiss, dass er beim Kalbfleisch eine gute Qualität bekommt. Ein weiterer Grund für den sinkenden Kalbfleischkonsums ist, dass man heute die jungen Leute zu wenig ausbildet, Kalbfleisch zuzubereiten. Bei jungen Leuten hat das Kalbfleisch ein schlechtes Image wegen der erwähnten Gerüchte um die Babyschlachtungen. Zudem gilt Kalb als teuer. Aber wie man ein günstiges Kalbsgeschnetzeltes oder -ragout zubereitet, wissen die Jungen nicht mehr. Zudem werden heute über die Hälfte der Mahlzeiten auswärts eingenommen. Es ist wahr, die Leute essen mehr Poulet, aber so billig wie das Geflügelfleisch kann Kalbfleisch niemals sein! Kein Wunder steigt der Konsum von Pouletfleisch so stark an.


Die Kälberschlachtungen nehmen von Jahr zu Jahr ab, von über 300'000 in den 1990ern auf noch 250'000 letztes Jahr. Mehr junge Kälber gehen in die Grossviehmast. Warum ist das so?


Graber: Das ist eine schwierige Situation, ich gebe es zu. Aber solange eine Milchkuh jedes Jahr ein Kalb hat, wird die Kälbermast nicht verschwinden, sei es die Mast über Integratoren oder die bäuerliche Kälbermast. Es braucht ja nie alle Kälber für die Aufzucht, der Rest muss gemästet werden. Was soll man denn anderes tun mit den Kälbern, die man nicht aufziehen will oder die sich nicht zur Grossviehmast eignen? Wir Kälbermäster sind aktuell die Sündenböcke, und man nimmt uns genau unter die Lupe. Dabei wird vergessen, dass Antibiotika auch bei kranken Tieren in der Aufzucht und in der Grossviehmast eingesetzt wird.


Im Juni 2013 einigte man sich auf dem «Kälbergipfel», dass für maximal 160 Tage alte Kälber kein Rotfleischabzug bei einem L-Wert von 39 und mehr gemacht wird. Warum wird diese Vereinbarung nicht lückenlos umgesetzt?


Graber: Die Vereinbarung funktioniert, aber noch nicht so wie sie sollte. Die Bell AG, die Micarna und die Ernst Sutter AG und einige andere halten sich an die Vereinbarung, ein paar halten sich leider nicht daran. Gerade gestern hat mir ein Mäster erzählt, dass ihm bei einem 150 Tage alten Mastkalb mit einem L-Wert von 43 zwei Franken Rotfleischabzug gemacht wurden. So geht das nicht! Kalbfleisch mit einem L-Wert von 43 ist helles und nicht rotes Kalbfleisch! Ich habe ihm geraten, gegen diesen willkürlichen Abzug zu rekurrieren.


Heisst das, dass es noch Aufklärung braucht, dass die mit den aktuellen Tierschutzvorschriften gemästeten Kälber heute rötliches Kalbfleisch liefern?


Graber: Unbedingt braucht es noch Aufklärung! Deshalb ist das von Agriquali mit der Bell AG und Prodega, Growa und Transgourmet gestartete Programm Swiss Quality Veal enorm wichtig, um in der Gastronomie Kalbfleisch aus bäuerlicher Kälbermast zu verkaufen.


Interview Hans Rüssli