Flink steuert Magdalena Pulfer auf das Netz zu, hebt den Hockeyschläger an und zielt. Elias Pulfer fängt den Ball ab. Beide lachen laut. Der Junge liebt das Spiel auf dem Hofplatz, besonders wenn seine Mutter mitmacht.
Der Traum vom zweiten Kind
«Es ist eine Herausforderung, Mutter von einem Einzelkind zu sein», sagt die bodenständige Frau. Silberne Strähnen in den dunkeln Locken verraten ihre 49 Jahre. «Immer mal wieder hat Elias niemand anders. Alles bist dann du.» Der quirlige Junge ist wie seine Mutter, ein sehr sozialer Mensch, der auflebt in Gesellschaft. Magdalena Pulfer selbst wuchs auf einem Bauernhof auf, in der Geborgenheit einer Gross- familie. «Ich wollte jung Mami werden», erzählt sie sachlich. «Mit 26 begrub ich diesen Traum.» Sie wurde hauswirtschaftliche Betriebsleiterin und Eventmanagerin in einem grossen Schulungsbetrieb. Später lernte sie den Geflügelzüchter Matthias Pulfer kennen und mit 34 heirateten sie. Hoffnung keimte. «Jetzt könnten Kinder doch noch ein Thema sein!» Der Traum wurde fast begraben, ehe Elias ein Monat vor ihrem 40. Geburtstag geboren wurde. Ihr Gesicht leuchtet: «Er war das schönste Geburtstagsgeschenk!» Der Traum vom zweiten Kind wurde nicht erfüllt. «Solch eine Trauer, nicht noch ein Kind haben zu können. Das hätte ich nie gedacht.» Die dunklen Augen füllen sich mit Tränen. Magdalena Pulfer bemüht sich, nicht mit anderen Familien zu vergleichen. Elias hat Wahrnehmungsstörungen über die Augen und Ohren, was das Leben für und mit ihm anstrengender gestaltet. Jede Woche fährt seine Mutter zweimal in die Logo- und einmal in die Ergotherapie. «Du musst dich den Pädagogen stellen. – Da geht viel Kraft rein, die dir für nichts anderes zur Verfügung steht.» Es braucht Zeit, die Hausaufgaben von Elias zu beaufsichtigen. Er besucht die zweite Klasse einer Privatschule in Bern. Dort wird auf seine besonderen Bedürfnisse Rücksicht genommen.
«Das Soziale fehlt mir»
Zum Mittagessen kommen Magdalena Pulfers Götti mit Gattin. Das Essen ist einfach: Reis, glasierte Rüebli und gebackene Pouletschenkel. Sie will Zeit haben für die Gäste. Es gibt Kaffee, dazu ein kanadisches Gingersnapcookie (Gebäck mit Ingwer). Früher sei sie viel gereist – Kanada, Südafrika, Costa Rica, Thailand. Elias stürmt, will dass die Erwachsenen mit ihm UNO (Kartenspiel) spielen. Der Götti vertröstet ihn damit, dass er später mit ihm Unihockey spielen wird. Sein Vater legt ihm in seinem Zimmer eine CD auf. Jetzt können die Erwachsenen in Ruhe sprechen. «Es ist gut, das ich Elias mit 40 und nicht mit 27 hatte», sinniert Magdalena Pulfer. «Ich weiss eher, was ich will, was ich brauche, was nicht.» Das gelte auch für ihre späte Heirat auf die Geflügelfarm. «Meine Schwiegereltern hatten feste Vorstellungen. Als jüngere Frau hätte ich wahrscheinlich nicht den Mut gehabt, zu sagen, was ich brauche.» Nach der Heirat arbeitete sie einige Zeit 50 Prozent im Beruf. Zurzeit ist sie Hausfrau und Mutter. «Das Soziale – die Znünipausen, die politischen Gespräche – das fehlt mir.» Die Umstellung von einem vollen Arbeitsleben auf ein Zuhausesein mit Kind oder Hof sei für viele Frauen enorm, behauptet Magdalena Pulfer. So half sie längere Jahre beim Mutter-Kind-Treffen der Kirchgemeinde mit. «Das war eine Plattform, um Frauen im Kleinkinderalltag einen Treffpunkt zu ermöglichen.»
Viele Herausforderungen
Seit dem plötzlichen Tod seines Vaters vor zwei Jahren lastet die ganze Verantwortung für die Geflügelfarm auf Matthias Pulfer. Er musste lernen, seine Frau um Hilfe zu fragen. In seinem herkömmlichen Umfeld waren die Rollen von Mann und Frau klar. «Die letzte Generation wurde nicht gefragt, was sie wollte, auch die Männer nicht», meint Magdalena Pulfer. «Unsere Generation kann eher wählen und dafür Verantwortung übernehmen. Matthias und sein Umfeld hatten Erwartungen. Wir konnten darüber diskutieren. Als ich hierher kam, habe ich mir sehr klar ausbedungen, was ich brauche.» Ihre Berufserfahrung bringt sie bei der Vorausplanung und der Zielsetzung ein. Sie hilft im Stall, wenn die Mitarbeiter frei haben, und steht für spontane Sondereinsätze nach Möglichkeit bereit. Vor zwei Jahren meinte Magdalena Pulfer, endlich mehr Zeit für sich zu haben. Dann kam es anders. Der Mann war einige Zeit krank. Der Schwiegervater starb. Letzten Sommer zog die Schwiegermutter gesundheitsbedingt ins Altersheim. «Wenn das Leben nicht nach Vorstellungen verläuft, heisst es für mich: Loslassen und sich der Realität stellen», hält Magdalena Pulfer fest. «Die letzten Jahre waren gespickt mit mancherlei Herausforderungen. Das waren Chancen, zu wachsen. Wir hatten auch ganz viele gute Momente und Tage!»
Marianne Stamm