Franziska Schärer schaut die Triebe kritisch an. Auch wenn die Holundersträucher noch nicht blühen: «Die Knospen sehen vielversprechend aus», meint sie. Das Problem ist ein anderes. Es ist Blattlaus-Saison. «Wenn Ameisen auf dem Holz herumkrabbeln, ist das ein sicheres Zeichen, dass es Blattläuse hat. Nächste Woche werde ich dagegen vorgehen müssen», erklärt sie. Heute steht vorerst das Mulchen der Anlage auf dem Programm. Schärer startet den Motormäher und fährt ruhig durch die Reihen. Das geht in die Arme, gibt sie zu und lacht. Doch sie ist sich körperliche Arbeit gewohnt. «Ausserdem arbeite ich sehr gerne draussen an der frischen Luft», ergänzt sie.

Landwirtin auf Umwegen

Bereits als Kind war Franziska Schärer gerne und viel draussen. Sie wuchs auf dem Festihof oberhalb von Melchnau BE auf. Wenn möglich, half sie dem Vater im Stall und auf dem Feld. In der achten Klasse war ihr Berufswunsch Landwirtin. Die Eltern und Lehrerinnen gaben zu bedenken, dass die Zukunft dieses Berufs in der Schweiz nicht so sicher sei. Ausserdem sei sie eine etwas gar feine Person, für solch einen harten Job. Auf Anraten begann Schärer, selber etwas unsicher, das Lehrerseminar. Das brach sie nach einem Jahr ab. Es folgten ein Zwischenjahr und eine Lehre zur Biologie-Laborantin. Das war schon eher nach ihrem Gusto. Doch sie suchte immer noch nach dem gewissen Etwas im beruflichen Alltag. So entschied sie sich nach einem Jahr Bauernhofpraktikum, in Zollikofen Agronomie zu studieren. «Das war meine Welt. 
Besonders das Praktikum machte mich sehr zufrieden», sagt sie rückblickend. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie einige Zeit für Biofarm und Urdinkel, bevor sie vor bald zehn Jahren den Hof von ihren Eltern übernahm. Ihr Werdegang zur Landwirtin war also kein direkter, sie nahm ein paar Umwege. «Das bereue ich gar nicht. Ich konnte viele unterschiedliche und spannende Erfahrungen sammeln», sagt die 44-Jährige.

2013 machte Franziska Schärer bei einem FiBL-Versuch zur Pflege von Holunderbäumen mit. Seither hat sie jedes Jahr neue Stecklinge gepflanzt und die Plantage laufend vergrössert. Mittlerweile sind es rund 530 Holunderbäume auf einer Hektare. Während rund drei Wochen im Juni braucht sie jeweils fleissige Helfer, die ihr bei der Ernte der Blüten helfen. Dabei kann sie auf ihre Eltern und Nachbarn zählen. «Unser Lieblingsbetriebszweig. Diese Arbeit machen wir gerne», gibt Schärer zu und schmunzelt. Die abgelesenen Blüten werden zu Ricola-Bonbons verarbeitet.

Am selben Strick ziehen

Ein anderes Projekt, das Franziska Schärer in den bisherigen Jahren als Betriebsleiterin beschäft-igte, war der Bau eines grossen Gemeinschaftsstalls. Zusammen mit drei anderen Landwirten aus dem Dorf hält sie dort ihre Milchkühe. Das ermöglicht allen Beteiligten mehr Freiheiten. «Ich habe einen fixen stallfreien Tag in der Woche und zwei freie Wochenende im Monat», erklärt sie. Das ermöglicht ihr, die eigenen Projekte auf dem Hof zu verwirklichen. Oder sich – seit kurzem – als Präsidentin der Landi Melchnau-Bützberg zu engagieren. Oder einfach einmal ihre Freizeit zu geniessen. 

Neben all den Vorteilen, die ein Gemeinschaftsstall bietet, gilt es auch, aufeinander Rücksicht zu nehmen und die Fünf einmal gerade sein zu lassen. «Das gelingt uns nicht schlecht, so dass wir schliesslich alle am selben Strick ziehen», so Schärer. 

In ihrem Alltag wird sie nicht nur von ihren Berufskollegen entlastet, sondern auch von ihren Eltern unterstützt. «Mein Vater hilft, wo er kann. Bei meiner Mutter esse ich unter der Woche Frühstück und Mittagessen», sagt Schärer. An den Wochenenden und in seinen Ferien packt zudem ihr Freund auf dem Hof mit an. Der gelernte Landmaschinenmechaniker fährt unter der Woche Lastwagen. Auf dem Betrieb von Franziska Schärer kümmert er sich in erster Linie um den Unterhalt der Maschinen. «Er und meine Eltern sind eine grosse Unterstützung, die ich sehr schätze», sagt die Landwirtin. 

Schwächen eingestehen

Alles in allem ist dieser Bauernhof ein Familienbetrieb, wie es in der Schweiz viele gibt. Doch die interne Rollenverteilung ist anders. Das spürt Franziska Schärer beim Kontakt mit anderen. Unter Berufskollegen sei der Umgang sehr respektvoll. Aber bei den Gesprächsthemen kann sie doch nicht immer mitreden: «Ich war weder im Militär, noch bin ich in der Feuerwehr», erklärt sie. Am Frauentisch ergeht es ihr ähnlich: Da sie keine Kinder hat, bleibt sie auch dort teils aussen vor. «Ich passe in keine Schublade.» Das lässt ihr viele Freiheiten, macht manchmal aber auch etwas einsam. 

Schärer ermutigt jede Frau, ihren Traumberuf zu wählen. «Wenn es eine Herzensangelegenheit ist, dann trau dich und mach es einfach. Ich bereue es überhaupt nicht – im Gegenteil! Frauen müssen ihren Platz einnehmen, auch in der Landwirtschaft. Dann wird das immer selbstverständlicher», ist sie sich sicher. Helfen könne Offenheit und ein besseres Netzwerk. «Ich bin froh, wenn ich mich zum Beispiel mit Frauen in anderen, ähnlich frauenungewohnten Berufen austauschen kann.» Im Berufsalltag sieht sie für sich als Frau keine grossen Nachteile. Frauen haben zwar nicht so viel Kraft, wie Männer: «Aber wir können uns unsere Schwächen besser eingestehen. Wenn ich Hilfe brauche, dann organisiere ich mir diese, statt zu murksen», erklärt die Landwirtin. 

Deborah Rentsch

Dieser Bericht ist aus der Printausgabe der BauernZeitung vom 4. Mai 2018. Lernen Sie die BauernZeitung jetzt 4 Wochen kostenlos kennen und gewinnen Sie einen Reisegutschein im Wert von 3000 Franken