"Die Agrarpolitik ist vielleicht der Auslöser für einen Anruf bei uns, aber der Kern des Problems liegt woanders", sagt Ueli Straub, Geschäftsleiter des Bäuerlichen Sorgentelefons, der Nachrichtenagentur sda. Wer sich über die Landwirtschaftspolitik aufregen wolle, tue dies selten am Sorgentelefon.

Die Telefonberaterinnen und -berater spürten vorab die indirekten Folgen von politischen Ankündigungen und Entscheiden: "Wer schon im Dunkeln sitzt, für den kann die Politik eine Bestätigung sein, dass es nicht heller wird." Die Zukunft ihres Betriebs, Geldsorgen, Überlastung, aber auch familiäre Probleme treiben Bauern um.

"Im Gespräch tauchen Lasten auf"

"Einen Schwall von Anrufen hat die Gesamtschau des Bundesrates nicht ausgelöst", sagt auch Ernst Flückiger, Leiter Fachbereich Beratung am Inforama Rütti in Zollikofen BE. "Aber ich bekomme täglich Coaching-Anfragen zum Umgang mit der Belastung oder auch zur Zukunft eines Betriebes."

"Im Gespräch tauchen dann die Lasten auf", erzählt er. "Die Arbeitswoche auf dem Hof hat oft über 60 Stunden." Manchmal komme für die Bäuerin und den Bauern ein weiterer Job dazu, Kinder, Weiterbildung, ein Amt bei einer Organisation oder in der Politik.

"Von jedem Bauern wird heute verlangt, unternehmerisch zu handeln. Aber wie in anderen Branchen auch ist lange nicht jeder, der den Beruf erlernt hat, ein echter Unternehmer", sagt Flückiger. Landwirtschaftliche Betriebsleiter arbeiteten in allen Funktionen: CEO, Fachkraft und Hilfsarbeiter. Zur hohen Arbeitslast kommen könne finanzieller oder sozialer Druck für die Familie.

Bauern hätten zwar Probleme wie andere Berufsleute auch, sagt Straub. Doch ihnen stellten sich spezifische Schwierigkeiten, zum Beispiel durch das bäuerliche Bodenrecht. Es gebe vor, dass Höfe ab einer gewissen Grösse zum Ertragswert weitergegeben werden könnten statt zum Verkehrswert.

"Tendenz, nicht loszulassen"

Bei kleinen Betrieben sei das nicht möglich. "Es gibt darum eine Tendenz, nicht loszulassen. Denn wer draussen ist, kommt fast nicht mehr hinein. Einige Bauern krampfen darum bis zur Erschöpfung", führt Straub aus.

Auch die grosse Nachfrage nach Landwirtschaftsland kann Anlass zum Kämpfen bis zur schieren Verzweiflung sein. "Betriebe wollen wachsen. Sobald einer in der Nachbarschaft Schwäche zeigt, beginnen die Geier zu kreisen", sagt Straub.

Bauern arbeiten im Schaufenster: Geht es den Tieren auf dem Hof nicht gut oder hängen keine Geranien mehr vor den Fenstern, wird das sofort gesehen und kommentiert. Straub erwähnt auch den Berufsstolz: Man will saubere Arbeit abliefern, sein Können im haushälterischen Umgang mit dem Boden beweisen.

"Viele arbeiten, bis es nicht mehr geht, und im schlimmsten Fall heisst es dann, die Agrarpolitik sei schuld. Häufig ist die Ursache aber eine ganz andere", sagt der Geschäftsleiter des Sorgentelefons.

"Ohne Vorurteil zuhören"

Den Betrieb in Frage stellen können auch Scheidungen, etwa wenn der Partner oder die Partnerin mit viel Geld ausbezahlt werden muss. "Meistens zieht die Frau weg", sagt Straub. "Sie verliert so nicht nur die Beziehung, sondern oft auch den Beruf und ihr soziales Netz."

"Ohne Vorurteil zuhören können ist zentral", umschreibt er die Aufgabe der zurzeit neun ehrenamtlich tätigen Berater und Beraterinnen. Lebenserfahrung und eine Beziehung zur Landwirtschaft sind weitere Anforderungen.

"Im Idealfall finden sie mit den Anrufenden heraus, was der nächste Schritt sein könnte". Hilfesuchende können auch an eine Fachstelle verwiesen werden. Die Zahl der Coaching- und Mediationsangebote für Bauern und Bäuerinnen hat in den letzten Jahren zugenommen. Auch Kantone bieten Beratungen an - in Bern das Inforama.

Wirtschaft als Beispiel

Flückiger coacht nach dem Beispiel der Wirtschaft und bezieht die gesamte "Geschäftsleitung" des Hofes in die Standortbestimmung ein, wie er sagt. "Also nicht nur den Betriebsleiter, sondern auch dessen Frau." Auch heikle Fragen spricht er an, etwa Probleme in der Familie. "Als Coach, der von aussen kommt, kann und muss ich das."

Das Inforama bietet Beratung zudem in Arbeitskreisen an: Bauern legen ihre Frage auf ihrem Betrieb mehreren - auswärtigen - Berufskollegen vor. Flückiger: "Das ergibt für alle Beteiligten wertvolle und umsetzbare Tipps von Praktiker zu Praktiker."

sda