Kanada ist für Alexandra und Markus Ruckstuhl fast schon Schicksal. Beide sind in der Ostschweiz auf einem Milchwirtschaftsbetrieb mit Obstbau aufgewachsen. Beide haben nach der ersten Lehre die Zweitausbildung Landwirt(in) absolviert. Und 2007 reisten beide unabhängig voneinander nach Vancouver, um für ein paar Monate auf einer Farm zu arbeiten. Eines Tages sollte Alexandra den neuen Mitarbeiter aus der Schweiz vom Flughafen abholen. Das war Markus, und so kam eines zum anderen.
Von Kanada fasziniert war Markus Ruckstuhl schon als Kind. «Die Tiere, die Grösse, die Landschaft», zählt er auf. Zurück in der Schweiz ist für das junge Paar rasch klar, dass sie nach Kanada auswandern möchten. Sie träumten von einem eigenen Hof, der in der Schweiz nicht zu finden ist.
2012 wagen sie – mittlerweile verheiratet – das Abenteuer Kanada erneut, diesmal soll es für immer sein. Markus Ruckstuhl hat eine Stelle als Supervisor auf einer 8000 Hektaren grossen Farm gefunden. Die Farm mit 600 Mutterkühen und einem Feedlot für 5000 Rinder befindet sich in Nanton, eine Autostunde südlich von Calgary. Alexandra Ruckstuhl ist schwanger. Das Glück ist perfekt.
Niederschmetternde Diagnose
Aber am ersten Geburtstag ihrer Tochter Josephine bricht die Welt zusammen. Ruckstuhls erhalten die Diagnose, dass die Kleine an einer seltenen, angeborenen Stoffwechselkrankheit, Mukopolysaccaridose (MPS) Typ 1 (Hurler Syndrom), leidet. Ohne eine Stammzellentransplantation würde sie kaum zehn Jahre alt werden.
Da Alexandra Ruckstuhl wieder ein Kind erwartet, beschliesst die junge Famillie für die Behandlung in die Schweiz zurückzukehren. «Das kanadische Gesundheitssystem ist gut, wir hätten hier die gleiche Behandlung auch bekommen. Aber wir brauchten in diesem Moment unsere Familien», erzählt Alexandra Ruckstuhl. Zwei Fremdspender kommen für Josephine in Frage. Einer erklärt sich bereit. Die Stammzellentransplantation im Alter von 18 Monaten rettet das Mädchen.
Zurück in Kanada - und bald im Fernsehen
Heute hat Josephine eine kleine Schwester namens Elena, und es geht ihr viel besser. Sie muss nicht täglich Medikamente nehmen, aber sie hat eine Skoliose (seitliche Wirbelsäulenverkrümmung) und eine Spinalstenose (Verengung des Wirbelkanales) nebst vielen anderen Symptomen, die typisch sind für MPS-1-Patienten. Ein- bis dreimal pro Monat muss sie für Untersuchungen und Behandlungen ins Spital. «Wir sehen so ziemlich jede Abteilung, die es in einem Spital gibt», sagt Alexandra Ruckstuhl.
Doch es geht Josephine gut genug, dass sich Ruckstuhls den Traum vom Auswandern ein zweites Mal erfüllen konnten.
Im Mai dieses Jahres fliegen sie wieder nach Kanada – diesmal begleitet von Fernsehkameras. Die Familie wird in der nächsten Staffel der Auswanderersendung «Auf und davon» des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) zu sehen sein. Die erste Sendung läuft am Freitag, 8. Januar, um 21 Uhr auf SRF . Ruckstuhls haben die Sendung früher immer selbst geschaut. «Einerseits wollten wir zeigen, dass Kanada aus mehr als nur Wald besteht. Aber wir wollen auch auf Stoffwechselkrankheiten und die Wichtigkeit von Stammzellenspenden aufmerksam machen», erklärt Alexandra Ruckstuhl. Mit dem Kamerateam hätten sie nur gute Erfahrungen gemacht, und sie würden jederzeit wieder mitmachen.
Markus Ruckstuhl konnte seine alte Stelle auf der gleichen Farm wieder übernehmen. Auf der Farm mit zehn Angestellten ist der ausgebildete Zimmermann und Landwirt u.a. mit Unterhalt und Bauarbeiten beschäftigt. Im Februar beginnt die Abkalbesaison. Bis zur Aussaat im April sind die meisten Kälber geboren. Auf der Farm werden Gentech-Raps, Weizen, Gerste und Suppenerbsen angebaut. Während Aussaat und Ernte ist viel Traktor- und Mähdrescherfahren angesagt, was ihm ebenfalls viel Spass macht.
«Etwas Eigenes wäre am schönsten»
«Es ist ein guter Job mit einem guten Lohn», sagt Markus Ruckstuhl. An Kanada gefällt ihnen neben der Weite auch die Mentalität. «Wenn ich mit den Kindern unterwegs bin, werde ich oft angesprochen. Hier wird einem immer die Türe aufgehalten oder man fragt, ob man die Lebensmittel zum Auto tragen soll», erzählt Alexandra Ruckstuhl. Auch die Arbeitsmentalität sei etwas anders als in der Schweiz. Wenn es nicht nötig sei, könnten die Kanadier auch mal die fünf gerade sein lassen.
Was bleibt, ist der Traum von der eigenen Farm. «Etwas eigenes wäre am schönsten», sind sich die beiden einig. Allerdings sind die Landpreise in den letzten zehn Jahren derart gestiegen, dass eine Farm praktisch unerschwinglich ist. Für einen Acre (0,4 ha) zahlt man in der Gegend zwischen 2000 und 4000 kanadische Dollars (ca. 1420 bis 2850 Fr.) je nach Landqualität. Deshalb könnten sie sich auch vorstellen, einfach einen kleinen Teil Land mit einigen eigenen Mutterkühen zu kaufen, und dass Markus Ruckstuhl weiterhin Teilzeit arbeiten würde.
Klar ist eines: Diesmal möchten sie für immer in Kanada bleiben. Vor Kurzem haben sie den Antrag auf permanent residency (Daueraufenthaltsbewilligung) abgeschickt.
Jeanne Woodtli